Dienstag, 19. März 2024

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Rechtsstaatlichkeit in der EU
"Orbán kämpft hart gegen die liberale Demokratie"

Franziska Brantner (Grüne) fordert, die nationalen Parlamente miteinzubeziehen, sollte es eine unabhängige Kommission zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit der EU-Mitgliedsländer geben. So eine Kommission sei wichtig, um eine echte Handhabe gegen "die Orbans und Co" zu bekommen, sagte sie im Dlf.

Franziska Brantner im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.03.2019
Franziska Brantner sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag, davor war sie Mitglied des Europäischen Parlaments
Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner begrüßt den Vorstoß des EVP-Spitzenkandidaten Weber für ein neues Rechtsstaatsverfahren (imago)
Ann-Kathrin Büüsker: Wie umgehen mit Mitgliedsstaaten, die sich nicht mehr an die Regeln halten? Mit diesem Problem hat die Europäische Union zu kämpfen. Wenn Mitgliedsstaaten ihre Gesetzgebung so verändern, dass an der Rechtsstaatlichkeit gezweifelt werden muss, dann hat die EU mit Artikel sieben nur ein sehr schwaches Schwert zur Aussetzung von Mitgliedsrechten, und um dieses anzuwenden, müssen auch alle Mitgliedsstaaten zustimmen bei Artikel sieben. Seit langem wird deshalb überlegt, was man da ändern könnte. Nun hat der Spitzenkandidat der EVP, Manfred Weber (CSU), gemeinsam mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo Di Fabio in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Vorschlag veröffentlicht. Darin werden namentlich Polen und Ungarn als potenzielle Übeltäter benannt. Die EVP wird ja in dieser Woche entscheiden, ob sie die Fidesz-Partei aus ihrer Fraktion ausschließt – nach Vorwürfen des Antisemitismus. Rechtsstaatlichkeit in der EU – dazu ist jetzt Franziska Brantner am Telefon, ehemalige Europaabgeordnete der Grünen, seit 2013 im Bundestag und dort Obfrau der Grünen im EU-Ausschuss. Guten Morgen, Frau Brantner!
Franziska Brantner: Guten Morgen, Frau Büüsker.
Büüsker: Herr Weber schlägt jetzt ein Gremium vor, um die Rechtsstaatlichkeit zu prüfen. Maximal neun Personen, besetzt mit ehemaligen Richtern, die die Rechtsstaatlichkeit prüfen sollen. Auf der Basis soll es dann möglich werden, zum Beispiel Strukturhilfen der EU zu streichen. Sie fordern ja Ähnliches seit Jahren. Da müsste Ihr Herz jetzt aufgehen im Angesicht dieser Vorschläge?
Brantner: Ja! Das ist das Konzept, für das wir Grüne wirklich schon seit Jahren uns einsetzen. Wir haben das 2015 zum ersten Mal in den Bundestag eingebracht. Ich habe das Anfang 2019 noch mal eingebracht, übrigens ohne Begeisterungsstürme bei CDU- und CSU-Fraktion.
Für uns Grüne ist wirklich der Erhalt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten und übrigens nicht nur in Ungarn und Polen, sondern in allen – uns besorgt gerade auch Italien mit Salvini – wirklich eine der zentralen Aufgaben der EU. Und wie Sie gesagt haben: Wir brauchen dringend eine unabhängige Kommission, um eine echte Handhabe zu haben gegen Orbáns und Co. dieser Welt. Wir haben bis jetzt weder Kriterien, wir haben keine kontinuierliche Überprüfung, wir haben auch keine wirklichen Sanktionsmöglichkeiten unterhalb dieses großen Artikels sieben mit dem Stimmrechtsentzug, und interessanterweise haben wir ja beim Euro zum Beispiel das alles. Wir überprüfen jeden Cent beim Haushalt, Defizite, da gibt es Sanktionsmöglichkeiten, und wir brauchen jetzt die gleiche Ernsthaftigkeit und auch das gleiche Durchsetzungsvermögen endlich mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Von daher begrüße ich es, wenn Herr Weber sich unseren Positionen anschließt. Aber ganz ehrlich wäre es mir wichtiger, wenn er nicht nur Gastbeiträge schreibt, sondern endlich entsprechend handelt. Da muss er gegenüber Herrn Orbán wesentlich klarere Kante zeigen.
"Die nationalen Parlamente sollen mit einbezogen werden"
Büüsker: Auf Herrn Orbán würden wir gleich noch mal schauen. Ich möchte noch mal bei den Vorschlägen bleiben, weil dieses Gremium, das er jetzt vorschlägt, das Sie offensichtlich auch für eine gute Idee halten, wie könnte man das denn tatsächlich so zusammenstellen, dass das wirklich unabhängig ist?
Brantner: Die Idee, wie wir sie vorgeschlagen haben, ist, zu sagen, es gibt Verfassungsexperten, ehemalige Verfassungsrichter, große Persönlichkeiten, und die Idee ist, zu sagen, jedes nationale Parlament benennt eine Person, dass man auch die Anbindung an die nationalen Parlamente hat. Herr Weber hat jetzt von neun gesprochen, bei uns ist es ein bisschen größer, weil wir es wichtig finden, dass die nationalen Parlamente mit einbezogen sind, damit auch ein Herr Orbán nicht nachher sagen kann, das ist ja nur Brüssel, irgendein Bürokrat, sondern dass klar ist, jedes Parlament benennt einen, das Europaparlament auch. Dann hat man ein Gremium von Experten und Expertinnen, die ihr Leben lang mit dieser Thematik sich beschäftigt haben, unabhängig benannt werden, und danach wirklich auch nicht mehr sich gegenüber irgendjemandem rechtfertigen müssen, sondern unabhängig die Situation in allen Mitgliedsstaaten beurteilen müssen.
Büüsker: Und auf Basis dieser Beurteilung ist dann was die Strafe, wenn ein Mitgliedsland seine Rechtsstaatlichkeit schleifen lässt?
Brantner: Da hat Herr Weber übrigens den Punkt der Sanktionsmöglichkeiten nicht weiter ausgeführt. Ich kann Ihnen sagen, wie wir uns das vorstellen. Es ist ja klar, dass einer der großen Hebel das Geld ist, das europäische Geld, und die Frage ist, ob man dann dem Land komplett das Geld wegnimmt. Wir halten das eher für kontraproduktiv, weil wenn ein ungarischer Student Erasmus machen will und bei uns in Heidelberg oder Hamburg studieren will, dann ist das ja in unserem Interesse. Das wollen wir ja nicht aufhören, nicht stoppen. Von daher ist unser Vorschlag zu sagen, die Gelder bleiben für das Land da, aber wir nehmen die Vergabemacht weg von dem Herrn Orbán. Er darf damit nicht mehr weiter seine Klientelpolitik finanzieren. Er kann nicht mehr weiter seine Macht stärken mit europäischen Steuerzahlergeldern, sondern eine unabhängige Behörde würde dann die Gelder verwalten, statt Herrn Orbán. Das wäre unser Vorschlag für eine Sanktionsmöglichkeit.
"Orbán hat de facto die Medienvielfalt lahmgelegt in Ungarn"
Büüsker: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ungarische Regierung dieser neuen Regelung zustimmen würde.
Brantner: Nein! Das Gute ist aber, dass man für diese Regelung auch keine Einstimmigkeit braucht. Das kann man im Rahmen des Haushaltsverfahrens machen und da brauchen wir nur eine qualifizierte Mehrheit. Die haben wir heute noch. Selbst mit Kaczynski und Orbán haben wir die heute noch. Ich sage noch, weil wer weiß, wie lange wir die haben. Deswegen ist es wirklich dringend an der Zeit, das einzuführen, damit wir die Mehrheiten dafür noch haben. Wie gesagt, wir fordern das seit 2015. Jetzt ist 2019. Wenn sich die CDU dem jetzt anschließt, vielleicht kommen wir da endlich hin. Auf jeden Fall momentan brauchen wir dafür keine Einstimmigkeit.
Büüsker: Also sollte sich die EVP tunlichst hüten, die Fidesz-Partei auszuschließen, damit die Mehrheit für diese Gesetzesänderung Zustandekommen kann?
Brantner: Wir glauben immer wieder, dass die Handhabe oder die Kritik an der Fidesz nicht so hart ist, weil die EVP, die Europäische Konservative Partei an ihren eigenen Machterhalt denkt. Das kann Herr Weber jetzt endlich mal beweisen, dass er es ernst meint mit Rechtsstaatlichkeit. Und was ist denn ein Gastbeitrag wert, wenn es gleichzeitig keine klare Distanzierung von Herrn Orbán gibt? Und ehrlicherweise ist Herr Orbán ja auch nicht erst der Kämpfer gegen die liberale Demokratie seit gestern, sondern seit Jahren, und er hat de facto die Medienvielfalt lahmgelegt in Ungarn, die Wissenschaftsfreiheit beschnitten, die Zivilgesellschaft beschränkt. Wir haben im letzten Herbst noch gesehen, dass die CSU-Abgeordneten im Europaparlament, seine eigenen Parteikollegen mit Orbán gestimmt haben, gegen die Einleitung vom Artikel-sieben-Verfahren. Da fehlt wirklich einfach die Glaubwürdigkeit. Und wenn wir uns die Kriterien anschauen, die Herr Weber mit seiner Partei definiert hat, dann ist es zwar richtig, dass Herr Orbán sich entschuldigen soll, dass er die unsäglichen Plakate aufhören soll und dass auch die eine Uni gerettet werden soll. Aber was für die Ungarn wichtig ist, ist der Erhalt der Medienvielfalt. Die wollen eine Wissenschaft, die weiterhin frei arbeiten kann. Die wollen eine lebendige Zivilgesellschaft. Das sind die Kriterien, die die Konservative Partei stellen müsste, wenn es ihr wirklich ernst ist mit der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Leider haben wir das bis jetzt nicht gesehen.
"Orbán kämpft hart gegen die liberale Demokratie"
Büüsker: Die EVP argumentiert aber auch immer wieder damit, dass sie Viktor Orbán und die Fidesz-Partei nicht den Anti-EU-Kräften in die Arme treiben wollen. Sie haben gerade gesagt, dass die Fidesz-Partei unter Umständen auch für eine Mehrheit notwendig sein könnte, um die Vorschläge zur Rechtsstaatlichkeit umzusetzen. Finden Sie das nicht in gewisser Weise auch nachvollziehbar, dass die EVP hier sagt, lieber mit Orbán reden, statt ihn anderen destruktiven Kräften in die Arme treiben?
Brantner: Reden kann man mit allen. Aber was die machen, ist ja immer wieder den roten Teppich ausrollen. Und dieser Ansatz zu glauben, wir nehmen jemand besonders eng in den Arm, dann bleibt er bei uns, den konnte man vielleicht vor fünf, sechs Jahren noch haben. Aber Herr Orbán hat seither kontinuierlich gezeigt, dass es ihm egal ist, dass er hart gegen die liberale Demokratie kämpft, und deswegen kann man diese Hoffnung nicht mehr haben, dass er irgendwann wieder in den Schoß zurückkommt, sondern man braucht hier klare Kante. Sonst ist man nicht mehr glaubwürdig. Momentan wie gesagt haben wir noch die Mehrheit der Stimmen ohne Fidesz. Es gibt wahrscheinlich keine Mehrheit der Stimmen ohne Fidesz für Herrn Weber als Kommissionspräsidenten, aber das ist ja noch mal ein ganz anderes Thema. Wir wollen keinen Kommissionspräsidenten von Orbáns Gnaden, sondern jemand, der sich klar zur Rechtsstaatlichkeit bekennt und Demokratie. Dafür brauchen wir jetzt Zeichen und da reicht es auch nicht, wenn sich Herr Orbán entschuldigt bei Herrn Juncker.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.