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Rechtsterrorismus
Das graue Jahrzehnt nach der Wende

Für ihren Artikel "Uwe Mundlos und ich" wurde die 1974 in der DDR geborene Journalistin Sabine Rennefanz mehrfach ausgezeichnet. Er bildet die Keimzelle ihres neuen Buchs "Eisenkinder", in dem sie ihre Erfahrungen der Wende und Nachwendezeit schildert und nach Parallelen zu den Lebensläufen des NSU-Trios sucht.

Von Ralph Gerstenberg | 20.02.2014
    In dem Artikel "Uwe Mundlos und ich" zeigte Sabine Rennefanz am eigenen Beispiel, wie empfänglich junge Ostdeutsche in der Nachwendezeit für radikales Gedankengut waren. Dennoch sei Rechtsterrorismus, der in den Mordanschlägen des NSU-Trios seinen traurigen Höhepunkt fand, kein ostdeutsches Phänomen, argumentierte sie in der "Berliner Zeitung".
    "Es ist immer der gleiche Reflex: Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem 'ostdeutschen' Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in West-Berlin aufgedeckt Trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsche Spezialität. Der Ostdeutsche wird zum Fremden gemacht, genauso wie der Türke. Beide machen den Westdeutschen nur Ärger, stören die Idylle."
    Der Artikel war aus einer Empörung heraus geschrieben worden. Er traf einen Punkt und zeigte zugleich, dass es auch mehr als zwanzig Jahre nach dem Mauerfall noch notwendig war, über ostdeutsche Biografien der Wende- und Nachwendezeit zu reden. Was lag also näher, als ein Buch daraus zu machen? "Eisenkinder" heißt das Werk, in dem die Autorin über "die stille Wut der Wendegeneration" schreibt, wie es im Untertitel heißt. Wissenschaftler - welche eigentlich? - sprächen auch von einer "verlorenen Generation", die "ein Unbehagen, eine tiefe Verunsicherung" und eben jene "stille" oder "unterschwellige Wut" verbinden würde. Sabine Rennefanz kreiert auch gleich einen Begriff für diese Generation, den sie nicht weiter erläutert: "Eisenkinder". Die Wende- und Zonenkinder gab es ja schon. Und genau das ist das Problem des Buches. Die Tür, die Sabine Rennefanz damit aufstoßen will, steht längst offen. Die Fragen, die sie im Prolog recht plakativ formuliert, werden nicht zum ersten Mal gestellt.
    "Wie war es in den neunziger Jahren aufzuwachsen? In diesem grauen Jahrzehnt, in dem die DDR noch nicht verschwunden und ein neues Deutschland noch nicht entstanden war? In dem Behörden nicht funktionierten und Arbeitslosigkeit grassierte? Was bedeutete es, mitten in der Pubertät von überforderten Eltern und Lehrern alleingelassen zu werden? Seine Jugend mit einem Schlag zu verlieren? Wie viel DDR steckt in der Generation? Was hat sie mehr geprägt, die DDR oder das vereinigte Deutschland?"
    Spurensuche in Eisenhüttenstadt
    Der Bezug zu Uwe Mundlos und dem NSU-Trio gerät zunächst in den Hintergrund. Sabine Rennefanz begibt sich auf Spurensuche nach Eisenhüttenstadt. Sie trifft einen alten Lehrer, der jetzt als Stadtführer arbeitet, besucht das Internat, in dem sie gewohnt hat, schildert den Verfall der einstigen DDR-Vorzeigestadt. Wie die meisten DDR-Kinder hat sie früh gelernt, sich anzupassen und die geforderten Antworten herunterzuleiern. Ihr Ziel war es, das Abitur zu machen und zu studieren. Doch bald nachdem sie in die Erweiterte Oberschule kommt, fällt die Mauer. Der sächselnde Staatsbürgerkundelehrer diktiert nun die Phrasen der Marktwirtschaft. Die ehemaligen Eliteschüler aus dem Internat gelten nicht mehr als hoffnungsvolle Kader.
    "Niemand brauchte jetzt mehr die Talente der DDR. Es wirkte so, als seien wir gerade noch gut genug, um einen Traktor über die Felder zu fahren. Wie die meisten Menschen war ich davon ausgegangen, dass das Leben eine gute Zukunft für mich plante. Die DDR war nicht perfekt, aber man musste sich nicht um Arbeit, Wohnung und das Gesundheitssystem sorgen. Ich war davon ausgegangen, dass ich studieren und einen guten Arbeitsplatz finden werde. Jetzt war ich mir nicht mehr so gewiss."
    Nach dem Abitur geht Sabine Rennefanz nach Berlin. Sie studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität und findet eine Unterkunft in einem Lichtenberger Studentenwohnheim. In der Großstadt und an der Massenuni findet sie keinen Anschluss, der Besuch einer evangelikalen Freikirche in Hamburg hingegen wird für sie zu einem Erweckungserlebnis. Die Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die einfachen Wahrheiten - endlich scheint sie einen Halt gefunden zu haben. Sie schneidet sich die Haare kurz, trägt lange Röcke und verurteilt Homosexualität, bis eine sommerliche Missionsreise nach Russland sie auch an der Strahlkraft der christlichen Botschaft zweifeln lässt. Der detaillierte Erfahrungsbericht über den religiösen Irrweg nimmt etwa ein Drittel des Buches ein. Sehr sporadisch sucht Sabine Rennefanz noch den Vergleich zu den Biografien von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, etwa wenn sie von ihrer damaligen Begeisterung für den charismatischen Anskar-Kirchengründer Wolfram Kopfermann schreibt:
    "Was die Altnazis in Jena waren, war Kopfermann für mich: eine Autorität, eine Vaterfigur, ein Vorbild. [...] Seit der Wende waren mir wenige Erwachsene begegnet, die für ihre Überzeugungen einstanden, mögen sie noch so unpopulär sein."
    Von der Zeitung ins Buch
    Am Ende besucht Sabine Rennefanz noch die Eltern von Uwe Böhnhardt. Doch viel erfährt man über diese Begegnung nicht, abgesehen davon, dass es guttut, von sich zu erzählen und zuzuhören. So wirkt der Schluss wie eine abrupte Erinnerung an die thematische Klammer des Buches. Sabine Rennefanz hat sich mit der Ausweitung ihres Zeitungsartikels auf Buchlänge keinen Gefallen getan. Die Orientierungslosigkeit und den Identitätsverlust der Wendekinder haben andere vor ihr bereits mit eindringlicheren Worten und Bildern beschrieben - zum Beispiel Andrea Hanna Hünniger in ihrem Buch "Das Paradies - meine Jugend nach der Mauer". Zudem nervt auf Dauer ihr magazinjournalistischer Plauderton, der keine Scheu vor Redundanzen, Klischees und Plattitüden zu kennen scheint: Ihre dörfliche Kindheit wurde vom "Rhythmus der Jahreszeiten" bestimmt, der Herbst '89 war eine Zeit "voller Widersprüche". Das Buch von Sabine Rennefanz mag persönlich und ehrlich sein, die publizistische Schlagkraft des zugrunde liegenden Zeitungsartikels geht in den lang ausgeführten autobiografischen Passagen jedoch verloren. Es wird vielmehr deutlich, dass ihre eigene Lebensgeschichte als Beispiel für die behauptete still schlummernde Wut einer ganzen Generation von Ostdeutschen wenig taugt.
    Sabine Rennefanz "Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration"
    Luchterhand, 256 Seiten. 16,99 Euro.