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Referendum in den Niederlanden
Europapolitiker van Baalen: "Nein-Seite hat Unsinn geredet"

Nach dem Nein der Niederländer zum Assoziierungsabkommen der EU und der Ukraine glaubt der niederländische EU-Abgeordnete Hans van Baalen weiter an eine Ratifizierung. Er versteht aber auch die negative Stimmung in der Bevölkerung. "Brüssel macht viel zu viel", sagte der Europapolitiker (VVD) im DLF.

Hans van Baalen im Gespräch mit Christiane Kaess | 08.04.2016
    Der niederländische EU-Abgeordnete Hans van Baalen.
    Der niederländische EU-Abgeordnete Hans van Baalen (AFP / Bart Maat)
    "Die Regierung kann nur erläutern, warum es ein gutes Abkommen ist. Sie kann nicht wie die Nein-Seite Unsinn reden", sagte der EU-Politiker im Deutschlandfunk. Hans van Baalen, der auch Mitglied der niederländischen Regierungspartei ist, räumt ein, dass die Regierung vor einer Ratifizierung einige Punkte klarstellen müse. Es stimme zum Beispiel nicht, dass es in den Abkommen um eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine gehe.
    Der EU-Abgeordnete zeigte Verständnis für die Wut mancher Niederländer auf die EU-Institutionen und das Gefühl, übergangen zu werden: "Europa sollte nicht alles machen, es sollte nicht alles aus Brüssel kommen." Doch van Baalen betonte auch: "Wir brauchen Zusammenarbeit, darum ist die EU für die Niederlande sehr wichtig."

    Christiane Kaess: Das Nein der Niederländer zum Handelsabkommen der EU mit der Ukraine, es war ein Paukenschlag sowohl für die niederländische EU-Ratspräsidentschaft, die die EU ja eigentlich voranbringen wollte, als auch für die EU-Institutionen selbst. Große Freude dagegen im Lager der EU-Skeptiker und Gegner, auch wenn das Referendum für die Regierung in Den Haag nicht bindend ist. Premierminister Rutte hat bereits angekündigt, sein Land könne das von den anderen 27 EU-Mitgliedern schon gebilligte Abkommen jetzt nicht ohne Weiteres ratifizieren.
    Stimmauszählung im niederländischen Schiermonnikoog beim Referendum über ein Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine
    Stimmauszählung im niederländischen Schiermonnikoog beim Referendum über ein Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine (dpa / picture-alliance / Catrinus Van Der Veen)
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Hans van Baalen. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments, dort Delegationsleiter der niederländischen Volkspartei für Freiheit und Demokratie, die in Den Haag Regierungspartei ist und der auch Ministerpräsident Mark Rutte angehört. Guten Morgen!
    "Die Leute sind wütend, aber nur ein Drittel hat gewählt"
    Hans van Baalen: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Herr van Baalen, bevor wir nach vorne blicken, lassen Sie uns noch etwas Analyse betreiben. Was hat die niederländische Regierung falsch gemacht, dass die EU-Gegner das Referendum für sich entscheiden konnten?
    van Baalen: Die Regierung hat nicht richtig Fehler gemacht. Denn wenn sie vorher einen Wahlkampf geführt hätte, wäre es auch möglich, dass noch mehr Leute Nein gesagt hätten. Denn die Leute sind wütend, aber es ist nur ein Drittel der Wähler gekommen und hat gewählt und von dem Drittel haben 60 Prozent Nein gesagt. Das ist natürlich alarmierend, aber zwei Drittel haben gesagt, wir gehen nicht, das Referendum ist für uns nicht interessant, oder wir haben zu tun, oder das ist von der Regierung zu machen. Zwei Drittel der Wähler haben nicht gewählt.
    Kaess: Das bedeutet aber nicht, Herr van Baalen, dass zwei Drittel in den Liederlanden EU-Anhänger sind. Zumindest kann man davon nicht ausgehen bei allem, was man bisher weiß. Noch mal zurück zu diesem Vorwurf, den gestern auch Europapolitiker geäußert haben, dass Regierungschef Mark Rutte zu wenig für ein Ja zum Ukraine-EU-Abkommen geworben hätte.
    Den Unterschied zwischen Mitgliedschaft und Assoziierung erklären
    van Baalen: Das stimmt nicht, denn die Regierung kann nur sagen, dass es ein gutes Abkommen deswegen, deswegen und deswegen ist. Die Regierung kann auch nicht wie die Nein-Seite Unsinn sagen. Die Nein-Seite hat gesagt, es geht nicht um das Assoziierungsabkommen, aber über die EU und so weiter. Die Regierung hat nicht wirklich Fehler gemacht. Es ist eine negative Stimmung in der Bevölkerung. Aber ich denke, ein Referendum in Deutschland oder in Frankreich kann auch diese Resultate ergeben. Für mich ist es wichtig, dass wir weitermachen, aber wir müssen natürlich das eine Drittel und die 60 Prozent von dem einen Drittel ernst nehmen. Das heißt, die Leute glauben, es gibt eine Mitgliedschaft der Ukraine. Das gibt es nicht! Es geht um eine Assoziierung. Das müssen wir deutlich machen. Die Leute denken, es wird Geld kosten wie in Griechenland. Das wird nicht so sein. Aber wir müssen deutlich sagen, was es nicht ist, und dann denke ich, dass die Regierung das Recht hat zu ratifizieren. Aber wir können es nicht ohne Weiteres machen. Das hat Rutte gesagt.
    Kaess: Aber wenn Sie sagen, Schuld war die negative Stimmung, dann ist diese Stimmung nicht entsprechend von der Regierung oder von den etablierten Parteien aufgegriffen worden und damit umgegangen worden, denn es war ja eigentlich davor schon klar, dass die Rechtspopulisten um Geert Wilders das Referendum für sich ausschlachten würden.
    Weniger machen, aber dafür besser
    van Baalen: Das war vor elf Jahren auch der Fall. Der Konstitutionsvertrag war auch abgelehnt worden. 60 Prozent der Wähler haben dann abgestimmt und 60 Prozent haben Nein gesagt. Diese Stimmung gibt es und da kann man nicht mit einem Wahlkampf das ändern. Aber was Europa tun muss, ist weniger machen, weniger, aber das, was man macht, besser. Die Flüchtlingskrise soll man meistern und da gelingt es nicht, das zu tun, und das ist negativ für die Bevölkerung in Holland, in Deutschland und in all den anderen Mitgliedsstaaten. Europa soll nicht sprechen, aber machen.
    Ukrainische Aktivisten halten vor einem Porträt des niederländischen Malers Vincent van Gogh Plakate in Ohrform hoch mit der Aufschrift "Nicht auf russische Propaganda hören."
    Ukrainische Aktivisten halten vor einem Porträt des niederländischen Malers Vincent van Gogh Plakate in Ohrform hoch mit der Aufschrift "Nicht auf russische Propaganda hören." (Imago / ZUMA Press)
    Kaess: Lassen Sie uns später noch näher auf die Flüchtlingskrise und alles, was gerade in Europa schiefläuft, eingehen. Aber ich möchte noch einmal nachfragen: Warum ist es so schwer, gerade in so einem kleinen Land wie den Niederlanden, wo es ganz offensichtlich ist, dass man abhängig ist von der Globalisierung und vom freien Handel, warum ist es so schwer, das der Bevölkerung klar zu machen?
    van Baalen: Die Bevölkerung sieht: Vor elf Jahren hat man gesagt, Nein gegen die europäische Konstitution. Und dann gibt es ein Abkommen namens Lissabon, das ist dasselbe. Also man hat die Idee, wir haben keinen Einfluss auf Brüssel. Brüssel handelt so: Ich bin das Europaparlament, ich kann sagen, Brüssel macht viel zu viel. Aber wir brauchen Zusammenarbeit, also wir brauchen auch Brüssel. Aber das ist nicht das Gefühl in der Bevölkerung.
    "Ein Referendum ist kein gutes Mittel"
    Kaess: Das niederländische Parlament hatte ja dem Vertrag bereits zugestimmt. Bestätigt das diesen Vorwurf der Rechtspopulisten, dass man in der Regierung, im Parlament, in den Eliten, wie es ja von der Seite genannt wird, zu weit weg ist von den Bürgern?
    van Baalen: Ja, das sagen die Populisten. Das war gegen den Vertrag, aber es war gegen die EU. Da nimmt man auch die Wähler nicht ernst. Deswegen glaube ich, dass ein Referendum kein gutes Mittel ist. Man hat das in Irland gesehen, Dänemark und so weiter. Es ist sehr schwierig, die Leute davon zu überzeugen, Ja zu sagen. Normalerweise sagt man Nein auch in anderen Ländern.
    Die Gegner des EU-Ukraine-Abkommens in den Niederlanden haben ein Referendum erzwungen.
    Die Gegner des EU-Ukraine-Abkommens in den Niederlanden haben ein Referendum erzwungen. (dpa/picture-alliance/Bart Maat)
    Kaess: Man könnte auch sagen - Entschuldigung, wenn ich da unterbreche -, das ist echte Demokratie.
    van Baalen: Nein, das ist es überhaupt nicht. In der Schweiz ist es auch nicht ein gutes Mittel. Die Parlamente mit repräsentativer Demokratie, das sind die Mittel, um richtig zu kontrollieren, und die Bevölkerung kann sich erkennen in den Parteien. Aber es ist ein Problem, was geschehen ist. Das ist deutlich.
    Kaess: Und wie muss dieses Problem jetzt gelöst werden? Was muss die Regierung jetzt machen in Den Haag, damit die Bürger sich ernst genommen fühlen?
    Die Bevölkerung liebt die Institutionen Europas nicht
    van Baalen: Das heißt Deutlichkeit. Man kann nicht sehr lange warten. Vier Wochen, das ist natürlich möglich. Aber man sollte deutlich machen, dass es nicht um Mitgliedschaft geht, nicht Geld kosten wird wie Griechenland und dass es deutlich ist, dass die EU das überwacht. Dann kann man im Parlament darüber sprechen und wenn eine Mehrheit im Parlament sagt, so machen wir’s, kann man ratifizieren. Aber es bleibt ein seriöses Problem, dass die Bevölkerung sagt, Europa nein, dass sie die Institutionen nicht liebt. Das ist ein Problem.
    Kaess: Und dass die Bevölkerung offenbar einfach weniger Europa will und nicht mehr. Man muss sich ja fragen, was kommt jetzt als Nächstes. Die Initiatoren des Referendums, die haben schon weitere Referenden angekündigt. Es soll gehen um den Euro, um TTIP, um offene Grenzen, und Geert Wilders hat bereits davon gesprochen, das ist der Anfang vom Ende der EU. Ist das so?
    van Baalen: Das ist nicht so, aber ein Referendum, ein Rat gebendes Referendum, das geht überhaupt nicht. Das wirkt nicht. Meine Partei war immer dagegen, aber Sozialdemokraten und andere waren dafür. Das ist ein negatives Ding, so ein Referendum. Aber man hat es und TTIP, das Handelsabkommen mit Amerika, ist auch ein Problem. Das hat einen negativen Ruf. Aber es sind Ratschläge der Bevölkerung und die Regierung muss regieren.
    "Ein Handelsland wie England sollte keinen Brexit haben"
    Kaess: Und die niederländischen EU-Gegner haben jetzt eine Grundlage gelegt für den Brexit, wenn sich diese Stimmung noch weiter über die Grenzen der Niederlande hinaus verbreitet?
    van Baalen: Brexit in Großbritannien, das weiß man überhaupt nicht. Ein Brexit ist gegen die Normalität. Ein Handelsland wie England sollte keinen Brexit haben. Aber das sind alles Gefühle wie in Holland. In Deutschland hat man diese Volksabstimmung nicht, aber solche Gefühle kann es auch geben. Wenn nur Emotionen regieren, bekommt man so einen Kram.
    Kaess: Herr van Baalen, Sie haben den Zustand in der EU angesprochen: keine Einigung in der Flüchtlingspolitik. Diese Woche hat die EU-Kommission Vorschläge gemacht, um dieses Problem zu lösen, die eigentlich keine Chancen haben, Realität zu werden. Unterm Strich: Haben Sie auch Verständnis für den Frust der Bürger, ich drücke es mal so aus, über die die EU?
    van Baalen: Ja, denn man hat die Idee, was wir auch wählen, welche Parteien wir auch wählen, der Zug geht weiter. Und das heißt, wir müssen daraus Konsequenzen ziehen, dass Europa, dass Brüssel nicht alles machen soll. Die Mitgliedsstaaten sollten ihr eigenes Terrain haben und ihre eigenen Möglichkeiten, Sachen zu machen, oder bilateral soll nicht alles aus Brüssel kommen. Aber wir brauchen Zusammenarbeit. Deswegen ist Holland, Brüssel, Europa, die EU wichtig, sehr wichtig.
    Kaess: … sagt Hans van Baalen. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments und der niederländischen Volkspartei für Freiheit und Demokratie. Danke für dieses Interview heute Morgen.
    van Baalen: Gerne gemacht!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.