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Reform der Krankenkassen kann nur mit Ruhe angegangen werden

Lange: Vor ein paar Wochen haben mehrere Krankenkassen angekündigt, die Beiträge zu erhöhen - und schon war sie wieder da, die Debatte um das Gesundheitssystem in Deutschland. Den einen ist es zu teuer, den anderen zu ineffizient, und für die Dritten rentiert sich das alles nicht mehr. Ärzte, Krankenkassen und Pharmaindustrie haben ihre Lobbyisten wieder in Stellung gebracht für eine Debatte, die die Koalitionsparteien in Berlin gerne vermieden hätten, denn das Sommerloch ist bedrohlich nahe. Aber die Diskussion ist da über ein Gesundheitssystem, das offenbar so fragil ist wie sonst nur ein Friedensvertrag auf dem Balkan. Am Telefon ist die Bremer Senatorin für Soziales und Gesundheit, Hilde Adolf. Guten Morgen Frau Adolf.

    Adolf: Guten Morgen.

    Lange: Frau Adolf, die Debatte ist nun ziemlich aufgeregt geworden, auch weil da der Vorwurf mitschwingt, die SPD wolle unbequeme Antworten auf die Zeit nach der Bundestagswahl vertagen. Ist die Aufregung berechtigt?

    Adolf: Also ich glaube, dass kein Thema so viel Ruhe erfordert, wie die Gesundheitspolitik. Das wissen wir aus den Diskussionen der vergangenen Jahre, die ja auch nicht immer einfach waren; aus den anstehenden Reformdiskussionen wissen wir das auch schon, und ich glaube, dass es uns gut täte, wenn wir jetzt auch an dieser Stelle uns besinnen würden, dann auch zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren.

    Lange: Aber einige Krankenkassen haben die Beiträge, wie gesagt, deutlich angehoben; von einer drohenden Beitragsexplosion war die Rede. Das signalisiert ja doch einen gewissen Zeitdruck.

    Adolf: Natürlich gibt es den Druck zur Reform. Das hat auch die Bundesministerin ja nie bestritten. Nur - wir müssen natürlich auch versuchen, diese Reform dann so anzulegen, dass sie für lange Zeit trägt. Und es sind ja bereits jetzt in den letzten Monaten einige kleinere Schritte in die Wege geleitet worden; der Bundesrat hat in der letzten Woche einige Dinge auf den Weg gebracht. Das ist ein großer Erfolg für die Bundesministerin. Und bevor wir uns vom Solidarprinzip verabschieden, was ja jetzt auch in die Debatte geworfen wird - finde ich -, muss man sehr sorgfältig prüfen, ob nicht doch in diesem System mit dem Solidarprinzip, was wir jetzt haben, genügend Geld vorhanden ist, was man nur anders steuern muss.

    Lange: Was ist denn aus Ihrer Sicht eine grundlegende Änderung des Systems - so wie etwa bei der Altersrente, oder wird es ausreichen, einige Stellschrauben neu zu justieren?

    Adolf: Es spricht viel dafür, dass es ausreichen könnte, neu zu justieren. Nur - das bedingt, dass wir wirklich auch ernsthaft alle, und auch die Lobbyisten, die Sie in Ihrem Eingangsstatement angesprochen haben, uns darum bemühen, Lösungen zu finden. Mir hat der ‚runde Tisch' sehr viel Hoffnung gemacht - er wird im September ja jetzt noch einmal mit der Bundesministerin zusammenkommen -, und ich hoffe, dass wir auch da dann - nach dem Sommerloch - zu einer sachlichen Debatte zurückfinden können.

    Lange: Was könnte denn aus Ihrer Sicht vor der nächsten Bundestagswahl geregelt werden, und was hat Zeit bis nach der Wahl?

    Adolf: Ich glaube, dass wir soviel wie möglich vor der Bundestagswahl regeln sollten. Es sind ja aber auch schon - das habe ich eben gesagt - einige Dinge auf den Weg gebracht worden. Wir haben zum Risikostrukturausgleich uns auf den Weg gemacht; wir machen eine Umstellung bei der Krankenhausfinanzierung, die erhebliche Veränderungen bringen wird, auch für die Krankenhauslandschaft. Ich glaube, dass wir den Menschen in unserem Land auch schulden, dass wir ehrlich natürlich mit ihnen umgehen, dass wir auch ehrlich darüber diskutieren, was ist für die Zukunft leistbar. Und diese Diskussion müssen wir natürlich auch beginnen.

    Lange: Halten Sie den die Wirtschaftlichkeitsreserve für ausgereizt? Gibt es noch Spielräume für Einsparungen?

    Adolf: Es gibt sicherlich noch Spielräume . . .

    Lange: . . . zum Beispiel?

    Adolf: Ich glaube, dass wir über Veränderungen auch noch bei den Arzneimitteln eine Menge erreichen können; ich glaube, dass wir noch mehr tun müssen für Transparenz, damit die Menschen auch mehr sehen, was eigentlich für sie abgerechnet wird - damit ihnen auch ein Kostenbewusstsein entsteht. Ich glaube, dass es richtig ist, zum Hausarztprinzip mehr zurückzukommen. Also, es gibt viele Dinge, die wir noch machen können.

    Lange: Nun sagt Ulla Schmidt, Ihre Kollegin auf der Bundesebene, das Solidarprinzip bleibt erhalten, aber es ist mehr Eigenverantwortung nötig. Das hört sich doch an wie nach einer Lösung á lá Rentenversicherung. Der Staat sichert den Sockel, den Rest muss jeder Einzelne privat regeln. Ist das der Weg, den die Krankenversicherung langfristig gehen wird?

    Adolf: Also, mir ist auch das Solidarprinzip ein sehr hohes Gut. Und bevor ich das aufgeben würde oder Einschnitte machen würde, würde ich versuchen, alles das auszureizen, was wir eben angesprochen haben. Und Eigenverantwortung - das bedeutet auch zum Beispiel, was ich eben angesprochen habe, das Kostenbewusstsein der Patienten. Wenn Sie sehen, wieviel an Medikamenten Patienten gar nicht nutzen, die ihnen verschrieben wurden, die teuer waren. Das wissen wir alle auch aus unserem eigenen Erleben, dass man diese Dinge oft auch gar nicht so nutzt, wie sie verschrieben sind. Also, bei solchen Kleinigkeiten kann es dann schon anfangen und kann auch zu erheblichen Einsparungen führen.

    Lange: Es wird immer gesagt, der medizinische Fortschritt wird teurer, die Behandlungen werden aufwendiger. Was ich vermisse, ist medizinischer Fortschritt, von dem auch gesagt wird, dass er mal was billiger macht. Wie ehrlich ist diese Debatte?

    Adolf: Ich glaube, dass medizinischer Fortschritt einer ist, der uns ja immer zu neuen Dingen führt und immer schwierigere Eingriffe auch ermöglicht, und natürlich auch lebenserhaltend wirken kann. Und deswegen ist diese Debatte so schwierig. Also, dass etwas billiger wird durch medizinischen Fortschritt, das ist - glaube ich - nicht so ohne weiteres der Fall, weil die Eingriffe ja in der Regel komplizierter werden; die wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen wir bezahlen. Also ich glaube, dass wir schon darüber nachdenken müssen, was wir eigentlich alles nutzen wollen von diesem wissenschaftlichen Fortschritt.

    Lange: Aber zum Beispiel mikroinvasive Chirurgie sorgt dafür, dass die Leute wesentlich kürzere Zeiten im Krankenhaus verbringen. Das ist doch ein Einsparfaktor. Der kommt dabei aber zu kurz.

    Adolf: Ja, aber die Liegezeit allein ist es nicht, sondern der Eingriff ist natürlich sehr teuer, der da vorgenommen wird.

    Lange: Gut, jetzt bleibt unterm Strich ein Kuchen übrig, der wieder verteilt wird, der vielleicht neu verteilt wird - je nach Kräfteverhältnissen unter den Lobbyisten. Wer müsste denn im Zweifel zurückstecken, die Leistungserbringer oder die Leistungsanforderer?

    Adolf: Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang alle ihren Beitrag leisten müssen, dass keiner davon verschont bleiben kann. Und das wird auch die Schwierigkeit sein in der Debatte mit den Lobbyisten, wo natürlich jeder für sich in Anspruch nimmt, dass sein Part der Leistungserbringung der wichtigste ist und daran überhaupt nichts verändert werden kann.

    Lange: Das heißt, die medizinische Versorgung für den Normalbürger kann teurer werden, ohne dass sich das für Ärzte in höheren Honoraren auszahlt?

    Adolf: Auch das könnte so sein.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Hilde Adolf, die Bremer Senatorin für Soziales und Gesundheit. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Adolf: Danke

    Link: Interview als RealAudio