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Reformation quergedacht
Feridun Zaimoglu dramatisiert Luther am Schauspiel Kiel

Mit seinem Roman "Evangelio" hat der türkischstämmige Autor Feridun Zaimoglu im 500. Reformationsjahr an der Luther-Beschwörung teilgenommen. In seiner Heimatstadt Kiel hat er nun zudem ein Stück über den Reformator auf die Bühne gebracht. In "Luther" geht es auch um die Zweifel des Kirchenmannes.

Von Michael Laages | 09.10.2017
    Eine Art "Docu-Fiction" hat Feridun Zaimoglu entworfen, um vom alternden Luther zu erzählen, von dessen Zweifeln und der Angst vor dem Ende aller Zeiten und Dinge … Und so lässt er den Reformator Zeuge jener Wittenberger Hexenverbrennung im Sommer 1540 werden, von der die Nachwelt durch den Holzschnitt des jüngeren Lucas Cranach weiß. Der ältere Cranach ist Bürgermeister der Stadt in diesem Klimakatastrophen-Jahr; so heiß wie 1540 ist es seit ewigen Zeiten nicht gewesen, die Ernte verkümmert auf den Feldern, das Vieh verreckt. Wenn die Leute überhaupt Wasser haben, stellen sie sich mit den Füßen in die Eimer, um den Kreislauf zu kühlen…
    Die Wittenberger Bürgerin Prista Frühbottin wird zum Opfer, weil ihr teuflische Zauberkünste unterstellt werden – konkret: sie könnte "Regen machen", tut es aber nicht. Sie wird gefoltert und vier Tage lang "geschmäucht", wie die Quellen sagen, sozusagen geräuchert bis zum Tod in unsäglicher Qual. Für alt- und neugläubige Wittenberger ist das eine Art Jahrmarktsfest; auch Luther und Gemahlin, Bürgermeister Cranach und der Theologe Melanchthon schauen zu, als wär's im Kino heute; mit Popcorn und Drinks.
    Luther als Zeuge statt als Bewerter der Zeit
    Luther also als Zeuge, nicht so sehr als Beweger der Zeit – Luther mag zwar zweifeln am eigenen Weg mit den letzten Theater-Worten, aber den Horror, den er gerade miterlebt hat im Stück stellt er nicht in Frage:
    "Unser Gut ist so tief vergraben, dass es unter dem Gegenteil vergraben liegt: das Heil unter dem Verderben, der Himmel unter der Hölle. Wir sind dann allein schon gut, wenn wir den guten Gott und das böse Selbst anerkennen."
    …derweil lässt Uraufführungsregisseurin Annette Pullen von der Decke im Kieler Schauspielhaus herab Flugblätter segeln mit dem Cranach-Holzschnitt drauf.
    Um die Hexenverbrennung herum haben Zaimoglu und Co-Autor Senkel eine recht komplizierte Familien-Fabel gestrickt – die vermeintliche Hexe hat eine Nichte, die die Geliebte des Theologiestudenten Christoph ist, der bei Luthers zur Untermiete wohnt; gemeinsam mit Thomas, der bei Cranach lernt. Er wird später den Holzschnitt fertigen … und mit der Nichte aus Wittenberg fliehen, weil auch aus Christoph einer jener Killer-Fundamentalisten geworden ist, die in der Wittenberger Dürre zu herrschen beginnen. Luther ist zunächst mit aller Kraft dabei, praktiziert mit Cranach, Melanchthon und Gattin Katharina auch eine Art Exorzismus am moralisch nicht ganz sattelfesten Thomas; und wendet sich erst gegen Ende halbwegs ab vom mörderischen Glaubensterror.
    Der Reformator zusammengeschnurrt auf Nachbarschaftsgröße
    Das Stück ist in Pullens Inszenierung vollauf damit beschäftigt, die verschlungene Fabel zu beglaubigen; vor einer bühnenhohen Wand, die eine Klostermauer sein könnte und in den Szenen nach hinten wegklappbar ist, die bei der armen Frühbottin zu Hause oder auf dem Markt und am Feuer spielen. Zaimoglu und Senkel, sonst durchaus bekannt für zuweilen ziemlich grobianische Sprachgewalt, bemühen sich derweil diesmal - durchaus überraschend - ansatzweise um den "Sound der Zeit" – wie sie sich halt so den Alltagston anno 1540 vorstellen: wenn etwa Luther über jene Größen der Zeit räsoniert, die er schon überlebt hat …
    "Wofür hast Du, Thomas Müntzer, Deine Seele verpfändet? Giovanni de Medici – Du nahmst den Namen Leo X. an; ich hieß Dich Antichrist! Dich, Haupt des Hökers, halt ich als Prachtstück in Händen: Johann Tetzel, Ablass-Krämer in des Papstes Gnaden ..."
    … dazu zieht er Totenschädel um Totenschädel unter dem Podest hervor, auf dem später die vermeintliche Hexe unter der Folter alle verraten wird, die ihr nahestanden.
    Die Sprache bleibt das zentrale Problem des Abends. Sie lässt den Reformator, der nach allgemeinem Verständnis immerhin eine Welt ins Wanken brachte, zusammenschnurren auf Nachbarschaftsgröße – und ob das nun so gewollt ist, anti-ikonisch sozusagen, das wird nie ganz klar. Und wie siegesgewiss auch Zacharias Preen in der Titelpartie diesen Luther sprechen lässt, so deutlich wird diese Haltung konterkariert durch das Bild, das er abgibt – ein kleiner runder Mann mit großen Worten und letztlich wenig Hoffnung.
    Und wenn die Welt voll Teufel wär … ja, das ist sie.