Freitag, 19. April 2024

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Reformation und katholische Kirche
"Wir brauchen mehr Pluralismus-Fähigkeit"

Aus katholischer Sicht hat es im Reformationsjahr eine "Reihe von starken ökumenischen Akzenten" gegeben. Die katholische Kirche müsse aber noch stärker "anerkennen, dass auch in anderen kirchlichen Formen authentisches Christ-Sein gelebt" wird, sagte der Theologe Thomas Söding im Dlf.

Thomas Söding im Gespräch mit Andreas Main | 16.10.2017
    Thomas Söding, katholischer Theologe und Professor für Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum.
    Was denken Katholiken 500 Jahre danach von der Reformation? (Privat)
    Andreas Main: Das Reformationsjubiläum - wer ist nicht alles zu Wort gekommen hier bei "Tag für Tag", Ihren "Informationen aus Religion und Gesellschaft". Die Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann und Dorothea Wendebourgh oder der Historiker Heinz Schilling. Aber auch in unserer Reihe "Luthers Thesen - neu gelesen": Zeitgenossen, wie der Komiker Eckart von Hirschhausen oder Martin Luther selbst, der Mechanikermeister aus Göppingen. Was sie gemeinsam haben, sie sind alle evangelisch. Heute ist ein Katholik dran - genauer ein katholischer Theologe. Mit Thomas Söding, Professor für die Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum, möchte ich sprechen über die Reformationen aus katholischer Sicht. Thomas Söding ist uns aus Münster zugeschaltet. Wir zeichnen das Gespräch auf. Guten Morgen, Herr Söding.
    Thomas Söding: Guten Morgen.
    Main: Herr Söding, vielleicht können Sie sich selbst nicht mehr daran erinnern, aber Sie haben mir mal vor vielleicht zwei Jahren erzählt, Sie würden gerade zur Vorbereitung aufs Reformationsjahr nochmals lesen, Luthers "Vorlesung über den Römerbrief". Können Sie noch rekapitulieren, welchen Erkenntnisgewinn Sie hatten?
    Söding: Ja, das war für mich wirklich etwas Neues. Ich muss das zu meiner Schande gestehen. Ich könnte ja sagen, Martin Luther ist ein Kollege von mir gewesen. Immerhin war er auch Professor für Neues Testament. Ich möchte mich nicht mit ihm vergleichen. Das ist eine etwas andere Liga. Aber für mich war das eine echte Entdeckung. Erstens, wie professionell Luther diese Sache angegangen ist, übrigens immer auf der Basis des lateinischen Bibeltextes, aber mit einem Seitenblick auf das Original. Und dann vor allen Dingen so, dass er durch die Auslegung der Heiligen Schrift genuin Theologie getrieben hat. Das hat mich beeindruckt. Da war er seiner Zeit weit voraus.
    "Luther wird auch zu einer Projektionsfigur"
    Main: Und darüber hinaus, hat Sie dieses Reformationsjubiläum persönlich beschäftigt oder bewegt? Oder ist es an Ihnen mehr oder weniger vorbeigegangen?
    Söding: Na, so ein bisschen war ich daran beteiligt, weil ich auch Teil des Wissenschaftlichen Beirates zum Reformationsjubiläum - so kompliziert klingt das - gewesen bin. Und da habe ich gesehen, welche starken Auseinandersetzungen es gegeben hat zwischen Politik und Religion, vor allen Dingen zwischen der evangelischen Kirche und dann der Bundesregierung und den Landesregierungen, hier so etwas wie eine große Erzählung zu finden.
    Bei vielem bin ich sehr, sehr skeptisch, weil ich meine, Luther wird auch zu einer riesigen Projektionsfigur, dass angeblich alle Errungenschaften der Moderne jetzt nun vor 500 Jahren begonnen wären. Da steht man dann als Katholik etwas beschämt in der Ecke und hat den Eindruck, man habe irgendwas nicht mitbekommen. Aber das hat eine gewisse Dynamik entwickelt. Und um die bin ich ganz froh, dass es insbesondere doch auch eine ganze Reihe von starken ökumenischen Akzenten in diesem 2017er Jahr gegeben hat.
    Das größte Lesevergnügen: "Schriften von Martin Luther selbst"
    Main: Ich habe zum Beispiel viele spannende Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt gelesen. Viele Bücher waren für mich ausgesprochen erhellend. Hatten Sie ein besonderes Lesevergnügen, das Sie mit uns und den Hörern teilen könnten?
    Söding: Ja, das größte Lesevergnügen, das ich gehabt habe, waren Schriften von Martin Luther selbst. Und zwar - das müssen Sie jetzt meiner eigentlichen Profession als Neutestamentler nachsehen - sind das die exegetischen Schriften. Das lohnt wirklich. Die sind übrigens auch im Internet sehr leicht zugänglich. Und da sieht man jetzt den Originalton. Und ich finde diesen Originalton von Martin Luther an vieler Stelle noch stärker als das, was über ihn geschrieben worden ist.
    Bei den Büchern über Martin Luther, die ich jetzt gelesen habe, finde ich die starke Biografie von Heinz Schilling sehr gut, nicht zuletzt auch das, was er kürzlich noch einmal vorgelegt hat, was eigentlich im Jahr 1517 alles losgewesen ist.
    Main: Dieser Querschnittblick, den er da vorlegt.
    Söding: Ganz genau, dass da irgendwo weit hinten - Entschuldigung - in Wittenberg - Sie mögen es mir nachsehen -, dass da auf einmal eine Revolution begonnen hat, das haben nicht alle auf dem Schirm gehabt. Das ist ein großer Teil des Problems der katholischen Kirche, eine angemessene Antwort auf Martin Luther zu finden, die es ja tatsächlich lange Zeit nicht gegeben hat.
    "Katholiken sind nicht gerade als Partymuffel bekannt"
    Main: Herr Söding, Sie sind engagiert in dem, was in den Kirchen als Ökumene bezeichnet wird, das Nachdenken über die Einheit der Kirchen. Gehen wir mal ins Detail. Vor zwei, drei Jahren wurde oft die Frage gestellt, ob Katholiken im Reformationsjubiläum da was zu feiern hätten. Die Frage mag etwas langweilen. Dennoch, um jetzt den Stier bei den Hörnern zu packen: Gibt es für Sie etwas zu feiern?
    Söding: Katholiken sind ja nicht gerade als Partymuffel bekannt. Aber wir müssen jetzt auch nicht die größten Feierbiester sein.
    Katholische Theologie, katholische Kirche tut sich traditionell etwas schwer mit der Reformation. Das hängt auch damit zusammen, dass es kein richtiges Ruhmesblatt gewesen ist, wie man auf Martin Luther reagiert hat. Es ist einfach auch so, dass die Reformation für die katholische Kirche nicht denselben Stellenwert hat wie für den Protestantismus. Aber es ist doch so, dass man nicht so tun sollte, als ob es die Reformation nicht gegeben hätte. Das wäre gerade in Deutschland natürlich eine bizarre Vorstellung. Und da finde ich, dass sich da doch einiges getan hat.
    Also, worüber ich mich freue, ist, dass es sowohl auf evangelischer Seite nicht wie früher bei den Jubiläen antikatholische Pointen gegeben hat, und dass auf katholischer Seite eben halt doch auch eine gewisse Neugier gewachsen ist: Was wollte dieser Luther eigentlich? Und hätte der nicht eigentlich doch auch von katholischer Seite eine Antwort finden sollen?
    "Triumph des religiösen Pluralismus? Ich bin da viel skeptischer"
    Main: Aber es bleibt dennoch eine grundverschiedene Einstellung zu diesem Phänomen. Katholiken reden gern von Kirchenspaltung, vom Verlust der Einheit. Protestanten betonen dann wiederum die Vielfalt, den Zuwachs an Perspektiven, den Modernitätsschub. Also, auf welche Seite Sie sich schlagen, muss ich nicht fragen.
    Söding: Na ja, ich bin katholisch, nicht? Aber ich denke schon, dass die Reformation hier sich in ihrer ganzen Ambivalenz zeigt. Wahrscheinlich würde man sagen - von heute her beurteilt -, es gibt keine pluralistischere Kirche als die katholische. Die ist eben halt eine Weltkirche. Und was alles katholisch sein kann, das ist ja ungeheuer und unglaublich, aber wahrscheinlich deswegen, weil die hierarchischen Strukturen ziemlich klar sind, kann sich ein breites Leben entfalten.
    Auf der anderen Seite muss man eben halt aber doch auch sehen, dass sich im Protestantismus eine Fülle von verschiedenen Gruppierungen, Kirchengemeinschaften, manche sagen Sekten, entwickelt hat. Das hört ja auch gar nicht auf. Das wird ja auch immer mehr.
    Viele feiern das als Triumph des religiösen Pluralismus. Ich bin da sehr viel skeptischer. Ich glaube, dass sehr viele in sich sehr homogene Gruppen entstanden sind. Und deswegen ist die ökumenische Bewegung so wichtig, dass es nicht einfach nur auseinandergeht, sondern dass man auch nach wie vor nach den Gemeinsamkeiten sucht.
    "Einheit ist nicht Uniformität"
    Main: Ich halte dagegen: Eine kirchliche Einheit hat es nie gegeben. Schon auf der Ebene des Neuen Testaments, Ihrem Arbeitsfeld - die Autoren vieler biblischer Texte hatten durchaus unterschiedliche Interessen. Also, es hat doch immer viele, viele Christentümer gegeben.
    Söding: Was man im Neuen Testament in der Tat beobachten kann, ist, dass sehr viel mehr Stimmen in einem Chor zusammengefunden haben, als man sich das später hat vorstellen können. Einheit ist nicht Uniformität. Einheit heißt aber, dass man einander erkennen und anerkennen kann, dass man sich nicht aus den Augen verliert. Und das ist ja leider Gottes dann doch auch mehrfach in der Geschichte der Kirche passiert, zunächst mal so um 1000 herum, zwischen den Orthodoxen und den westlichen Kirchen. Und dann leider Gottes doch auch vor 500 Jahren. Und, wenn man sich jetzt wieder einander etwas annähert, wenn man auch nach einheitsstiftenden Elementen fragt, daran kann ich nichts Negatives erkennen.
    "Katholische Kirche braucht größere Pluralismus-Fähigkeit"
    Main: Wie stark müsste sich die katholische Kirche ändern, wenn sie die Reformation integrieren wollte?
    Söding: Ja, integrieren - kann sie das so einfach? Sie muss sich damit auseinandersetzen, muss erkennen, dass es eine Alternative zur katholischen Kirche gibt. Und das fällt denen, die so den katholischen DNA-Code in sich aufgenommen haben, gar nicht so leicht.
    Was die katholische Kirche braucht, ist eben halt eine größere Pluralismus-Fähigkeit. Sie muss anerkennen, dass auch in anderen kirchlichen Formen authentisches Christsein gelebt ist. Das ist, glaube ich, die stärkste Veränderung. Ich meine aber, dass nicht nur die katholische Kirche sich verändern muss.
    Main: Das wäre meine zweite Frage gewesen.
    Söding: Genau. Sondern es ist ja ein lebendiger Prozess. Ökumene darf ja auch nicht den Status quo fixieren. Was ich denke, ist schon, dass die evangelische Seite sich heute mal klarwerden muss, welche Kraft es hat, dass die katholische Kirche einen Papst hat, dass sie einen Sprecher hat für alle Christen. So ist es ja heute.
    Papst Franziskus spricht vom Balkon des Petersdoms im Vatikan den Segen "Urbi et Orbi".
    Papst Franziskus spricht vom Balkon des Petersdoms im Vatikan. (dpa/L'Osservatore Romano/AP)
    Und ich würde sagen, in der gegenwärtigen politischen Debatte ist es ja so, dass der Papst einer der wenigen Sprecher überhaupt für Menschlichkeit, für Ethik ist. Da diese alten Kamellen vom Antichrist, da bin ich skeptisch. Da würde ich mir mehr Mut zur Veränderung und zur Klärung des Verhältnisses wünschen.
    "Religion als Brandbeschleuniger"
    Main: Herr Söding, Sie haben mal gesagt, die Kirchen müssten die Chance des laufenden Gedenkjahres nutzen, um den Gottesglauben in seiner friedensstiftenden Kraft zu bezeugen. Ist diese Chance genutzt worden?
    Söding: Man hat es wenigstens versucht. In der Tat glaube ich, dass das gegenwärtig die große Herausforderung ist, zu zeigen, dass Religion nicht den Hass schürt, wie das leider Gottes oft genug passiert, wie das ja auch in der Geschichte der christlichen Kirchen der Fall gewesen ist. Wir brauchen bloß an den Dreißigjährigen Krieg zu denken. Der war nicht nur ein Konfessionskrieg. Aber die Religion hat da doch als Brandbeschleuniger gewirkt.
    Dass man für Gott brennen kann, ohne dass man andere verbrennt, das wäre so eine Lehre aus der Geschichte. Und ich denke, diese Lehre haben aber - also im Rahmen ihrer menschlichen Grenzen - die evangelische und katholische Kirche in Deutschland gezogen und haben das auch an verschiedenen Stellen klar zum Ausdruck gebracht. Und solche Zeichen braucht die Gesellschaft.
    "Man muss als Kirche auch zusammenhalten können"
    Main: Weitere zentrale Herausforderungen im katholisch-evangelischen Verhältnis aus Ihrer Sicht?
    Söding: Was die Katholiken von den Protestanten lernen können, ist die Leidenschaft für den Glauben. Nicht, dass die Katholiken nicht glauben würden, aber Luther ist doch derjenige gewesen, der als Neutestamentler, alt-biblischer Theologe die grundlegende Bedeutung des Glaubens neu zum Vorschein gebracht hat.
    Und, wenn ich jetzt sozusagen in die Geschichte des Protestantismus hineindenke, an die vielen Lieder, die dort entstanden sind, an die Bibellektüre, also da hinkte der Katholizismus lange Zeit nach. Und das müssen wir auf jeden Fall dankbar zur Kenntnis nehmen. Und es ist ja auch faktisch so, dass in unserem Gotteslob eine Fülle von evangelischen Liedern - ich nehme das nur mal als Beispiel - aufgenommen worden sind.
    Auf der anderen Seite denke ich, dass die katholische Kirche doch immer sehr stark auch darauf geachtet hat, so wichtig die Freiheiten der Einzelnen sind, man muss auch zusammenhalten können. Also, es geht auch immer um die Kirche, und dass dieses kirchliche Denken sich weiterverbreitet, das ist vielleicht etwas, was Evangelische von der katholischen Seite mit übernehmen können.
    "Der teilweise brutale Polemiker Luther ist mir fremd"
    Main: Sie haben eben den Glaubenseifer bei Martin Luther angesprochen. Ihm geht es um Schuld, um Buße, um Hölle. Vieles davon ist uns fremd, uns Zeitgenossen. Was ist Ihnen besonders fremd?
    Söding: Mir ist fremd, der teilweise brutale Polemiker, derjenige, der in einer Weise gegen Juden - jetzt sage ich mal - gehetzt hat, gegen Türken, gegen die sogenannten Papisten - das sind wir -, dass da fast jede Brücke abgebrochen worden ist.
    Sicherlich, jetzt kommt sofort wieder der Hinweis darauf: "Das war der Ton der Zeit und es gibt nicht nur die Polemik, es gibt auch freundlichere Töne." Aber das finde ich in gewisser Weise abstoßend.
    Das ist auch dem an sich schätzenswerten Glaubensprinzip geschuldet: Wenn ich nämlich wirklich undifferenziert sage immer, 'nur der Glaube' und jenseits des Glaubens gibt es nichts, dann kann das auch ungeheuer hart werden. Und das sind die Dinge, die ich bei Luther nicht schätze. So sehr ich auf der anderen Seite seine zarte, seine weite Auslegung, nehmen wir des Magnifikat, nehmen wir der Psalmen, enorm schätze.
    Main: Herr Söding, lassen Sie uns nach vorne schauen. Wenn der 31. Oktober demnächst also vorbei ist, also der Reformationstag, der Stichtag, 500 Jahre Thesenanschlag, was wird bleiben von diesem mit großem Aufwand betriebenen Jubiläum?
    Söding: Ja, die Ausstellungen werden zu Ende sein und der Tourismus wird etwas abflauen. Aber was in den Gemeinden gelaufen ist, das wird weitergehen. Das sind jetzt nicht gleich spektakulärste Veränderungen. Aber beispielsweise muss eben halt das Gespräch intensiviert werden darüber, wie man sich Einheit der Kirche in Zukunft eigentlich vorstellen kann. Weil eben halt auch das, woran die Öffentlichkeit vor allen Dingen interessiert ist, Abendmahlsgemeinschaft, nicht einfach isoliert werden kann, sondern in diesen Zusammenhang hineingehört. Also, dieses Jubiläumsjahr muss nachhaltig werden und das auf vielen Ebenen.
    "Ökumenisch gibt es nicht nur alles oder nichts"
    Main: Es ist ja ein bizarres Bild. Die beiden prominentesten Vertreter der großen christlichen Kirchen, also der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, die sind nur noch zusammen zu sehen, sodass böse Zungen schon sagen: "Gibt es die auch solo?" Das ist das eine Bild. Auf der anderen Seite, in den essenziellen Fragen gibt es keine Fortschritte. Sie haben das Abendmahl angesprochen. Ist das die Diagnose? Nach außen hin Einheit, ja, und nach innen geht es nicht weiter?
    Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx umarmen einander bei einem Gottesdienst in Hildesheim im März 2017
    Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx - "Gibt es die auch solo?" (imago stock&people / Jens Schulze)
    Söding: Also, ich bin echt froh, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und der Vorsitzende des Rates der EKD offensichtlich miteinander können. Es gibt Schlimmeres. Aber in der Tat ist es so, dass damit noch nicht die theologischen Grundsatzfragen geklärt sind. Da gibt es auch sehr, sehr unterschiedliche Interessen, auf katholischer und auf evangelischer Seite.
    Die Katholiken haben ganz klare Vorstellungen darüber, was geschehen muss, damit eben halt das "Kirche sein" der anderen voll anerkannt werden kann, damit volle Eucharistiegemeinschaft geschieht. Auf evangelischer Seite sehe ich das nicht so klar, was eigentlich die Kriterien sein sollen.
    Mir ist wichtig, dass es nicht nur "alles oder nichts" gibt. Es muss jetzt was passieren, es muss von katholischer Seite her auch Bewegung geschaffen werden. Beispielsweise denke ich an die Ehepaare, bei denen Evangelische, Katholische zusammenleben. Dass die jetzt dauerhaft von der Eucharistie ausgeschlossen werden können, das leuchtet mir nicht ein. Also, an der Stelle muss auf jeden Fall etwas passieren. Und das kann nur der erste Schritt sein.
    "Allein-allein-allein-Wendungen können sehr rigoristisch sein"
    Main: Man könnte ja vielleicht auch über die Theologie mehr zueinanderfinden. Sola Scriptura, allein durch Schrift. Sola Gratia, allein durch Gnade. Sola Fide, allein durch Glauben. Diese zentrale Lehre Luthers, wenn ein Katholik Sie fragen würde, was dran ist für ihn, was für ihn künftig wichtig sein könnte an dieser Lehre, was würden Sie antworten?
    Söding: Ja, ich wäre zunächst mal skeptisch gegenüber diesen "Allein-allein-allein-Wendungen". Die können nämlich auch sehr rigoristisch sein. Über den Glauben haben wir vorhin schon gesprochen. Kann man auch bei der Gnade sagen. Was ist denn mit der menschlichen Freiheit?
    Persönlich denke ich, dass der katholische Impetus, "Seid vorsichtig, immer nur in eine Richtung zu schauen, weitet den Blick, seht starke Zusammenhänge", dass das eigentlich sozusagen, wenn ich das sagen darf, die größere Weisheit hat.
    Aber worum es, glaube ich, gegenwärtig vor allen Dingen geht, ist klarzumachen, dass diese Bindung an Gott, für die für mich mal der Glaube steht, dass der menschliche Freiheit nicht beschränkt, sondern dass der menschliche Freiheit ermöglicht. Und da sind wir bei einem der ganz, ganz großen Themen unserer gegenwärtigen Kultur, weil doch also seit der Aufklärung der Verdacht herrscht, Menschen können nur dann frei sein, wenn sie sich auch von Gott befreien können. Das halte ich persönlich für falsch, aber das kann man nicht theoretisch allein diskutieren, sondern das muss man eben halt auch praktisch zeigen.
    "Die Halbwertzeit tagespolitischer kirchlicher Kommentare ist überschaubar"
    Main: Sie sprechen jetzt über Religion, über Fragen des Glaubens. Was müsste geschehen, dass wieder offener und ehrlicher und ohne Schaum vor dem Mund über Religion gesprochen werden kann, was in Zeiten religiös motivierten Terrors eben oft schwerfällt.
    Söding: Das ist natürlich das Hauptproblem, dass der Verdacht herrscht, alle diejenigen Menschen, denen Religion ernst ist, die sind bereit, gewalttätig zu werden. Und ich habe jetzt nicht über andere Religionen zu sprechen. Ich habe jetzt nur über das Christentum zu sprechen. Im Zentrum des Christentums steht der gekreuzigte Jesus von Nazareth, den Gott von den Toten auferweckt hat.
    Ja, leider Gottes, zeigt die Geschichte der Kirche, dass das vielfach eben halt selber noch mal gewaltförmig geworden ist. Aber, wenn man irgendwo erkennen will, dass sozusagen in der Mitte des Glaubens selbst diese Gewaltförmigkeit überwunden wird, dann müsste das eigentlich der Kern der christlichen Botschaft sein. Und das zu verdeutlichen, das wäre aus meiner Sicht die ganz große auch gesellschaftspolitische Aufgabe der Kirche.
    Es wird ja im Moment von den Kirchen alles mögliche Tagespolitische schnell kommentiert und die Halbwertzeit dieser Kommentare ist auch überschaubar. Ich glaube, dass es viel wichtiger ist, die ganz großen Erzählungen, die ganz großen Bilder, die ganz großen Worte neu mit Sinn zu erfüllen. Und das wäre natürlich in erster Linie mal die Hauptaufgabe der Theologie.
    "In Deutschland fehlt eine Sprache des Glaubens"
    Main: Die Flucht in die Tagespolitik, die Sie da gerade auch anschneiden, mir scheint, dass das eine große Unzufriedenheit produziert, zwar nicht in den Medien, aber bei denen, die sich in den Kirchen engagieren. Teilen Sie diesen Eindruck offensichtlich?
    Söding: Ja, diesen Eindruck teile ich. Ich bin nicht der Meinung, dass die Kirche unpolitisch sein sollte, aber sie müsste sich ganz genau überlegen, wo sie tatsächlich interveniert. Aus meiner Sicht würde ich nicht direkt aus religiösen Grundüberzeugungen ganz konkrete praktische Handlungsanweisungen ableiten. Es geht mir mehr darum, dass sozusagen die Grundlagen der Politik, die Grundlagen einer Entscheidung durch den Glauben selbst mit eingefärbt werden. Und das muss man natürlich dann öffentlich zum Ausdruck bringen.
    Was in unserer gegenwärtigen Zeit besonders in Deutschland fehlt, ist eine Sprache des Glaubens, die sich verständlich machen kann, die aber auch gleichzeitig verbindlich ist, die also nicht den Eindruck erweckt, es sei im Grunde alles egal, es mache keinen Unterschied, ob man an Gott glaubt, oder ob man nicht an Gott glaubt. Ob man Jesus für den Sohn Gottes hält, oder ob man ihn nicht für den Sohn Gottes hält. Ob man dem Heiligen Geist Inspiration zutraut oder nicht Inspiration zutraut. Darauf würde ich die Aufmerksamkeit richten.
    Main: Eine Sprache, die zu finden ist, die aber auch dann diejenigen, die sich für Religion interessieren, die aber nicht religiös sind, am besten nicht ausschließt.
    Söding: So ist es. Und das war ja die große Leistung der urchristlichen Missionare, dass sie die Sprache der Zeit haben sprechen können, dass sie keine Berührungsängste gegenüber der antiken Philosophie gehabt haben. Das war so erfolgreich, dass es dann wieder auch schon zu einem Problem wird, weil man dann nur in der Vergangenheit hängt und nur an diesen alten Formeln festhängt. Also, diese innere Kraft zu gewinnen, also heute das Evangelium zu sagen, mit Bündnispartnern und -partnerinnen von heute, das wäre so mein großer Traum.
    Main: Wobei, jetzt benutzen Sie gerade den Begriff "Evangelium". Ist auch schon wieder eine verkündigende Botschaft.
    Söding: Und indem ich das gesagt hatte, hatte ich das schon im Hinterkopf, dass ich wieder also ein Fremdwort sozusagen benutze. "Evangelium" heißt "frohe Botschaft". Gute Nachrichten gibt es - auch im Deutschlandfunk - vielleicht zu selten.
    Main: Wir üben das beide noch.
    Söding: Ja.
    Main: Thomas Söding war das, Professor für Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum und engagiert in Ökumene-Fragen, zur Reformation in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Herr Söding, ganz herzlichen Dank für Ihre Position.
    Söding: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.