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Reformen
Wählen direkt an der Haustür

Die Politikverdrossenheit der Menschen alarmiert die deutsche Politik. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi fordert daher Reformen im Wahlrecht. Diskutiert werden eine längere Wahldauer und die Stimmabgabe jenseits der Wahllokale - beispielsweise im Supermarkt oder direkt an der Haustür.

Von Frank Capellan | 26.12.2014
    Wähler geben in einer Wahlkabine ihre Stimmen ab
    Die Stimmabgabe könnte in Zukunft auch außerhalb der Wahllokale möglich sein. (picture alliance / dpa / Franziska Kraufmann)
    Die Wahlkabine fährt demnächst gleichsam vor der Haustür vor. Die Politik kommt zu ihren Wählern - wenn es nach Yasmin Fahimi geht, soll das keine Zukunftsmusik, sondern bald schon Realität sein. Die fahrende Wahlkabine ist offenbar ein ernst gemeintes Projekt der SPD-Generalsekretärin, derzeit werde rechtlich geprüft, ob analog zu mobilen Büchereien in ländlichen Gebieten künftig auch die Wahlhelfer auf Tour geschickt werden können. "Wir sollten grundsätzlich das Wählen an viel mehr öffentlichen Plätzen ermöglichen", schlägt die Sozialdemokratin gegenüber der Zeitung die Welt vor. "In Rathäusern, Bahnhöfen oder öffentlichen Bibliotheken." Dass in Sachsen oder Brandenburg weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten zu den Urnen ging, hat die SPD alarmiert. Auch Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht macht sich schon lange Gedanken darüber, wie das Interesse an Politik gesteigert werden könnte: "Das ist ein Thema, das ist ganz aktuell auf der Tagesordnung. Und wir müssen uns über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg überlegen, was können wir dazu leisten."
    Verlängerung der Wahlperiode
    Anfang des Jahres sollen verschiedene Vorschläge auch mit dem Koalitionspartner diskutiert werden. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte angeregt, die Wahlperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern, um die Zahl des Wahlkampfes zu verkürzen. Ein Vorstoß, der von der SPD mitgetragen wird. Christine Lambrecht möchte aber auch über mehr direkte Demokratie, über Volksentscheide etwa sprechen und ähnlich wie die Generalsekretärin den Wahlakt selbst bequemer machen. Die Stimmabgabe im Supermarkt sollte ebenso diskutiert werden wie die Möglichkeit nicht nur an einem Tag, sondern gleich eine ganze Woche lang wählen gehen zu können: "Unterschiedliche Zeiten beispielsweise. In anderen Ländern wird länger gewählt, habe ich eine längere Zeitspanne. Kann ich woanders - auch an anderen Orten - wählen als nur im Wahllokal. Über all´ diese Dinge muss geredet werden, denn so kann es nicht bleiben."
    SPD-Generalsekretärin Fahimi möchte mit ihren Reformvorschlägen auch die Position der SPD verbessern. Für die nächste Bundestagswahl gibt sie das Ziel aus, die 30 Prozent Marke zu überschreiten und Kanzlerin Angela Merkel abzulösen: "Zwölf Jahre sind dann wahrlich genug", bekräftigt Fahimi. Noch aber steht sie in der Koalitionsdisziplin. Und da weisen SPD und Christliche Arbeitnehmerschaft heute einmütig die Kritik von Industrie-Präsident Ulrich Grillo an der Wirtschaftspolitik der Großen Koalition zurück. "Das ist Stimmungsmache zu Lasten der deutschen Wirtschaft", schimpft Christian Bäumler, stellvertretender Vorsitzender der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft CDA. "Wer Verantwortung in der Wirtschaft trägt, sollte für den Wirtschaftsstandort Deutschland werben" fordert Bäumler gegenüber dem Handelsblatt. Und SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi ist das ihrer Ansicht nach ewige, immer gleiche Lamento der Wirtschaftsvertreter allmählich leid. "Selten waren die Voraussetzungen für die hiesige Industrie so rosig wie im Augenblick", analysiert die linke SPD-Politikerin. BDI-Präsident sieht genau das ganz anders. "Das erste Jahr war verschenkt", bilanziert Grillo im Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur. "Ich hätte mir mehr erhofft. Da wurde viel Geld wenig zukunftsgerichtet ausgegeben. Wir wollen für die Zukunft Wohlstand, Wachstum und auch Arbeitsplätze in Deutschland sichern und dafür müssen wir mehr investieren", hatte Grillo immer wieder gefordert.
    Mehr investieren, weniger umverteilen
    Milliarden für Rente mit 63 und Mütterrente auszugeben, war nach Überzeugung des BDI-Chefs völlig falsch. Der Kurs für 2015 muss lauten: Mehr investieren, weniger umverteilen. Grillo: "Wir brauchen eine langfristig angelegte Investitionsoffensive am Standort Deutschland. Und die muss alle Arten von Investitionen umfassen - private und öffentliche. Investitionen in Bauten, Maschinen, Anlagen, Infrastrukturen."
    Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel reagiert im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur mit Verständnis auf die Grillo-Kritik, nimmt aber zugleich auch den SPD-Vorsitzenden und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Schutz: "Gabriel ist ja sehr stark auf die Wirtschaft zugegangen und ich empfinde es in gewisser Weise als angenehm, am zweiten Weihnachtstag festzustellen, dass er auf die Kritik von Ulrich Grillo nicht reagiert hat. Ich finde - im Gegensatz zu den Kritikern von Grillo - die Kritik ja berechtigt. Aber eines ist auch klar: Im Koalitionsvertrag, den Grillo ja kritisiert in gewisser Weise, steht ganz klipp und klar drin, dass diese Große Koalition den Schwerpunkt setzt auf die Arbeitsmärkte, auf den Abbau vor allem von prekären Arbeitsverhältnissen. Und das Jahr 2015 wird das Jahr der Mindestlöhne. Daran wird sich die Koalition messen lassen müssen. Dass sich Herr Grillo daran nicht messen lässt, kann ich verstehen." SPD-Generalsekretärin Fahimi sieht eben auch Grillo und die deutsche Wirtschaft in der Pflicht. "Deutschland muss besser werden, nicht billiger!" Wir brauchen bessere Tarifbindungen und endlich wieder mehr private Investitionen in Anlagen und Fortbildung", fordert die Sozialdemokratin.