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Reformierte Berufsausbildungen
Wie die Digitalisierung die Lehrpläne umkrempelt

Durch die zunehmende Digitalisierung müssen in Dutzenden Handwerksberufen die Lehrpläne verändert werden. Angehende Bäcker nutzen Registrierkassen und Ausrollmaschinen und in der Autoindustrie müssen Azubis alle paar Jahre lernen, neue Technik zu bedienen.

Von Alexander Budde | 12.09.2015
    Zwei Jugendliche stehen in einer großen Halle an einem Computerbildschirm.
    Auszubildende des Siemens-Konzerns in Berlin (dpa / picture alliance / Soeren Stache)
    In der Bäckerfachschule Hannover geht es an diesem Morgen um die Kunst, einen schmackhaften Snack darzubieten. Intuition und Fingerfertigkeit stehen hier noch immer hoch im Kurs. Lehrlinge wie Melissa Burmester und Tobias Friese, beide um die 20, sind aber längst auch von komplizierter Technik umstellt. Sie haben es mit Registrierkassen zu tun, die den Kunden auf Wunsch Nährwerte und Zusatzstoffe auf die Bons drucken. Und mit Ausrollmaschinen, die den Teig in die exakt immer gleiche Form bringen:
    "Es ist schon schön, wenn man halt in der Kasse gucken kann, wenn der Kunde zum Beispiel fragt: 'Ist da das und das drin?', kann man einmal kurz draufdrücken - und dann sieht man´s und man muss nicht irgendwen erst suchen, den man fragen kann!"
    "Ich kann mittlerweile so arbeiten, dass ich fast noch nicht mal mehr Teig anfassen muss! Aber warum soll ich dann ein Handwerk lernen, wenn ich noch nicht mal wirklich was wieder mit dem Handwerk zu tun habe? Die digitale Welt ist praktisch und hilft – für mich ist es aber das Handwerk, was mich reizt!"
    Kein Widerspruch, sagt Marcel-Alexander Engelke. Technik, die begeistert, so hofft der Fachlehrer, könnte viele Handwerksberufe in der begehrten Zielgruppe attraktiver machen. Bislang unterrichtet er vor halb leeren Bänken: das Bäckergewerbe gilt vielen noch als Knochenjob für Frühaufsteher.
    "Es gibt keine Bäcker mehr, die jetzt sich den Buckel krumm machen müssen! Mittlerweile kann man sogar schon sein Backprogramm auf dem Computer vorschreiben und steckt morgens nur noch einen USB-Stick in den Ofen. Aber das, was reinkommt in den Ofen, das muss immer noch vom guten Handwerker gemacht worden sein. Viele Kunden legen Wert auf den Charme von vorgestern – und dafür muss auch bei aller Modernisierung ganz viel Tradition wachbleiben!"
    Ortswechsel: Beim Autobauer Volkswagen begann die Automatisierung der Produktion schon vor Jahrzehnten. In der vernetzten Fabrik der Zukunft werden Lagersysteme, Maschinen und einzelne Werkstücke zunehmend eigenständig miteinander Informationen austauschen. Roboter können vollautomatisch zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln, erlernte Abläufe via Cloud mit anderen Geräten teilen. Immerhin, die Regeln, nach denen das geschieht, sind noch Menschenwerk, betont Ralph Linde. Er leitet die sogenannte Volkswagen Group Academy, eine Dachorganisation aller Akademien im Konzern. Die Wolfsburger untersuchen, wie sich Tätigkeiten und Anforderungen mit dem Einzug der digitalen Technik verändern. Experten des Bundesinstituts für Berufsforschung (BIBB) forschen in den Projektteams mit, die Erkenntnisse sollen in eine Reform der Aus- und Weiterbildung einfließen.
    Bedieneroberflächen der Geräte werden einfacher
    "Wir sind gerade dabei, das mit allen Berufsfamilien herauszufinden – und das ist gar nicht so einfach! Die Bedieneroberflächen für Roboter und Maschinen und Anlagen werden einfacher werden. Dadurch, dass sich aber die Vernetzung so entwickeln wird, wird natürlich das Warten dieser Maschinen und wahrscheinlich vor allem die Instandhaltung, das Reparieren, das Aufeinandereinstellen komplizierter werden."
    Vermutet Linde. Industrie 4.0, das bedeutet bei Volkswagen auch, dass die künftigen Mechatroniker, Industriemechaniker und Werkzeugmacher immer öfter mit Tabletts in der Hand durch´s Werk gehen.
    "Dieses Thema, programmieren zu können, glaube ich, wird sicherlich einmal zu einer der Grundfertigkeiten gehören – wie Lesen, Schreiben und Rechnen! Ich glaube, dass eine ganze Menge auch an Sozialkompetenz sich weiterentwickeln muss, weil ich eben auch überzeugt bin, dass diese komplexer werdende Welt, nur von Menschen beherrscht wird, die mit anderen zusammenarbeiten – und die im sozialen Kontext in der Lage sind, sehr komplexe Probleme zu lösen."
    Derzeit bildet Volkswagen weltweit 20.000 Menschen aus. Als Leiter Personalentwicklung verantwortet Linde die gesamte Aus- und Weiterbildung im Konzern. Kenntnisse im 3D-Druck zählen zu den umfangreichen Lehrinhalten künftiger Techniker, ebenso wie das virtuelle Schweißen, bei der die Auszubildenden nicht wirklich im Funkenregen stehen, sondern eine Maske tragen. Mit der lassen sich die Arbeitsschritte per Simulation vorgaukeln. Volkswagen setzt auch auf die Medienkompetenz der Generation Internet. Bei der Konzerntochter Audi etwa produzierten Auszubildende, die soeben erst das Verfahren der so genannten Kaltumformung von Metallen erlernt hatten, eigene Lehrmittel für ihre Nachfolger. Ralph Linde:
    "Hier bei Volkswagen ist dabei ein Video herausgekommen, was wirklich sehr schön ist! Das ist so ein bisschen wie ein Horrorfilm gemacht – weil die jungen Leute natürlich erst mal gucken, dass das unterhaltsam ist. Und das ist natürlich toll, den Lernenden in die Rolle des Lehrenden zu bringen, weil das pädagogisch noch einmal eine andere Form von Verstehen voraussetzt."
    Die Digitalisierung von Wissen: Ralph Linde geht davon aus, dass auch die eigene Profession nicht unberührt davon bleiben, dass sich Lernen und Lehren revolutionär verändern werden.