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Reformierte Zahnarztausbildung
Angstfrei zum Zahnarzt

Schweißausbrüche, Zittern oder gar nicht erst hingehen - die Angst vor dem Zahnarzt ist hierzulande weit verbreitet. Das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf hat nun einen Modellstudiengang gestartet, bei dem der Umgang mit den Patienten im Fokus steht. Der erhoffte Effekt: Angstabbau.

Von Thomas Samboll | 30.01.2020
Zahnbehandlung aus der Sicht eines Patienten in einem Behandlungsraum eines Zahnarztes in Frankfurt (Oder), aufgenommen am 16.11.2005 (Illustrationsfoto zum Thema Zahnarzt) Foto: Patrick Pleul +++(c) dpa - Report+++
Ein guter Patientenkontakt soll die Zahl der Angstpatienten mindern (picture-alliance/ dpa / Patrick Pleul )
In der Werkstatt der Zahnklinik des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf herrscht Hochbetrieb: Hier werden Kiefermodelle gefräst, Gipsabdrücke beschliffen und Kunststoffzähne geformt. Gloria Schmezer sieht aufmerksam zu. Die 26-Jährige studiert seit Herbst Zahnmedizin im neuen Modellstudiengang "iMED-DENT". Und der verlief bisher eher geräuschlos:
"Die erste praktische Übung war: einen Wachszahn schnitzen. Bedeutet: Wir haben Vorlagen auf dem Blatt bekommen und mussten sie 3-D umformen. Und dadurch kommt man so langsam hinter dieses Gefühl von einem Zahn: Wo liegen die Wurzeln? Was ist eigentlich die Schmelz-Zement-Grenze? Und dadurch, von Woche zu Woche, hat man sich näher herangetastet an diesen Zahn als Ganzes."
Zahnproblem aus mehreren Perspektiven beleuchten
Den Zahn "als Ganzes" zu betrachten - das ist ein wesentlicher Aspekt von "iMED-DENT". Und das soll am Ende vor allem auch den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Im Regelstudiengang, erklärt die Zahnmedizinerin Bärbel Kahl-Nieke, würden aber immer noch Vorschriften aus den fünfziger Jahren gelten. Das heißt: eine strikte Trennung der Ausbildung nach Fächern und Studienabschnitten:
"Was ist normal? Dann: Was ist falsch? Und dann: Wie kann man es behandeln? Aber das Moderne an unserem "iMED-DENT" ist, dass wir von Anfang an diese Inhalte Schritt für Schritt den Studierenden zusammen vermitteln. Das heißt, Sie kommen mit einem schiefen Zahn. Dann schauen wir aber erst mal: Haben Sie ein normales Kiefergelenk oder ist das auch irgendwie nicht in Ordnung? Ist Ihr Zahnfleisch in Ordnung? Fehlen Ihnen Zähne? Und eigentlich sind Sie gekommen wegen des schiefen Zahns. Aber dieses nur isoliert, mit Scheuklappen auf Sie schauen, das gibt es jetzt nicht mehr in diesem Studium. Das ist das Integrative, deshalb auch "iMED-DENT".
Kommunikation als Pflichtfach
Wer frühzeitig gelernt habe, ein Zahnproblem aus mehreren Perspektiven zu beleuchten, sei viel besser auf den Praxisalltag vorbereitet als bisher, so Bärbel Kahl-Nieke. Und schaffe so möglicherweise auch mehr Vertrauen bei den Patientinnen und Patienten:
"Es gibt ja eine zunehmende Zahl von Angst-Patienten. Das Thema steigt. Und was völlig neu ist in diesem Studiengang, ist ein sogenannter "Kommunikations-Strang". Wie spreche ich mit meinen Patienten? Wie gehe ich auf den zu? Das fängt schon bei der Körperhaltung an, dass ich ihn gewinne für die ja nicht immer sehr erfreuliche Tätigkeit des Zahnarztes. Das wird durch Psychologen, Allgemeinmediziner und Soziologen gelehrt."
Im Regelstudiengang gab es in dieser Hinsicht offenbar Verbesserungsbedarf. Denn: Die Lehrenden entschieden selber darüber, ob ihnen das Thema "Patientenkontakt" wichtig war oder nicht:
"Es war kein Pflichtinhalt! Es wurde nicht bepunktet. Nun gibt es dann auch Punkte. Jetzt ist es ein offizielles Langzeitmodul, ein vertikaler Strang, der von Anfang an bis zum Staats-Examen professionell gelehrt wird. Und die Studierenden werden also, vermute ich mal, sehr viel professioneller die Kommunikation mit ihren zukünftigen Patienten bewältigen können."
"Patiententraining" ab dem zweiten Halbjahr
Bislang konnten sie das in der Regel erst ab dem achten Semester üben. Im Pilotstudiengang bekommen Gloria Schmezer und ihre Mitstudierenden dagegen schon im zweiten Halbjahr "Patienten-Training":
"Im nächsten Semester machen wir das erste Mal von uns Abdrücke im Mund, also natürlich jetzt erst mal von unseren Studienkollegen. Aber es ist eine Möglichkeit, sich da heranzutasten und auch früher an den Patienten in Form von Assistieren. Und es wirkt vielleicht für Viele wie Mehrarbeit. Aber im Endeffekt haben wir ja was davon: dass man dadurch auch zufriedene Patienten schafft, wenn man gerne zum Zahnarzt geht. Dadurch wird auch die Zahnerhaltung vielleicht besser. Einfach weil Patienten regelmäßig kommen."
Vergleich mit Regelstudiengang soll positiven Effekt belegen
Auf solche positiven Effekte der neuen Ausbildung hofft auch Bärbel Kahl-Nieke. Aufschluss darüber sollen regelmäßige Vergleiche mit dem Regelstudiengang geben, der am UKE erst in vier Jahren ausläuft. Wichtigstes Kriterium: das Urteil der Patientinnen und Patienten in der Zahnklinik. Sie entscheiden, wer am Ende besser bei Ihnen ankommt – die Modell- oder die Regelstudierenden.
"Und die Patienten werden vermutlich, davon sind wir überzeugt, diesen Unterschied merken!"