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Reformland Frankreich (5/5)
Der Front National im Rückwärtsgang

Frankreichs Norden gilt als Le-Pen-Land. Doch bei den Präsidentschaftswahlen 2017 schnitt der parteilose Emmanuel Macron besser ab als die Chefin des Front National. Während ihre treuen Anhänger in vereinzelten Rathäusern die Stellung halten, sprechen die Ersten vom Niedergang der Populisten.

Von Suzanne Krause | 02.02.2018
    Der Bürgermeister von Villers-Cotterêts, Franck Briffaut, posiert vor dem Rathaus.
    Der Bürgermeister von Villers-Cotterêts, Franck Briffaut, ist bis heute der einzige FN-Bürgermeister in der Picardie (AFP / François Nascimbeni )
    Im schmucken historischen Rathaus von Villers-Cotterêts verabschiedet der Bürgermeister gerade ein Fernsehteam des öffentlich-rechtlichen Regionalsenders. Franck Briffaut ist knapp 60, hochgewachsen, ehemals Berufssoldat. Der Front-National-Bürgermeister lächelt jovial. Gut gelaunt schließt er die Bürotür von innen. Die Fernsehleute hatten ihn zum plötzlichen Rücktritt des Départements-Ratspräsidenten befragt.
    "Das ist typisch Frankreich! Die Linken und die Konservativen im Départements-Rat fusionieren. Das sagen wir schon lange vorher. Links und rechts gibt es nicht mehr, nur noch den Front National und die anderen Parteien. Vielleicht werden von denen alle demnächst zu Macron überlaufen."
    Briffaut lacht. Das tut er häufig. Seit 1977 ist er Mitglied des extremen Front National.
    Bereit zur Zusammenarbeit mit Macron
    Der Bürgermeister zieht seine Jacke über, für einen Sprung ins Stadtzentrum. Draußen deutet er auf ein altes Bauwerk nebenan. Das Schloss von François I., seit Langem verwaist. Ein geschichtsträchtiger Ort: 1539 erhob der König mit der "Ordonnance von Villers-Cotterêts" Französisch zur Amtssprache und löste das Latein ab. Kürzlich kündigte Staatspräsident Macron an, das Schloss werde wieder zum Leben erweckt. Als Symbol der Frankophonie. Franck Briffaut grinst.
    "Als ich im Rathaus antrat, wollte der Staat nichts von einer Rehabilitierung des baufälligen Schlosses wissen. Ich habe Paris gedroht, täglich eine Abmahnung wegen Sicherheitsmängeln auszustellen. So wurde 2015 ein Pilotkomitee einberufen und wir begannen, an einem internationalen Ideenaufruf zu arbeiten. Im Präsidentschaftswahlkampf kam Macron hierher und hat sich das Projekt angeeignet. Sein Engagement hat wohl auch damit zu tun, dass hier der Front National regiert."
    Er sei gerne bereit, mit Staatspräsident Macron zusammenzuarbeiten, sagt Briffaut mit süffisantem Unterton, als er im historischen Ortskern mit seinen intakten Häuserzeilen angelangt ist. Die gutbürgerlichen Fassaden in hellem Basalt zeugen von früherem Reichtum und Macht. Der Ortsvorsteher lässt den Blick schweifen.
    "Vor einem guten Jahrhundert war Villers-Cotterêts noch ein Dorf. Im Département Aisne verzeichnet unsere Stadt das größte Bevölkerungswachstum. Und die Einwohnerzahl steigt weiter. Während das Département insgesamt eher einen Schwund erlebt."
    Die Gemeinde ist arm
    Knapp 11.000 Einwohner zählt das Städtchen heute. Briffaut lobt das Freizeitangebot im ländlichen Umfeld, die dynamische Wirtschaft in der Gemeinde. Das VW-Werk, Frankreich-Standort des deutschen Autobauers, liegt am Ortsrand. Viele Pendler überbrücken die 80 Kilometer bis Paris täglich. In Villers-Cotterêts selbst steht es schlecht mit Arbeitsplätzen, die Arbeitslosenrate liegt deutlich über dem landesweiten Durchschnitt. Die Gemeinde ist arm. Briffaut zuckt mit den Schultern, seine Stimme wird lauter:
    "Von der Politik der aktuellen Regierung erwarte ich mir, weder im Guten noch im Schlechten, rein gar nichts für Villers-Cotterêts. Für das, was hier läuft, ist meiner Meinung nach ausschlaggebend, was wir im Rathaus unternehmen. Und so soll es auch bleiben. Ich verlange nur eins von der Regierung - nebenbei bemerkt: die früheren waren kaum besser als die jetzige. Man soll uns die Mittel lassen, selbst agieren zu können."
    Einziger FN-Bürgermeister in der Picardie
    Der Bürgermeister begrüßt erneut einen Passanten. Andere gehen starren Blicks an ihm vorbei. Bei Amtsantritt hatte der FN-Politiker angekündigt, er werde Villers-Cotterêts nicht in ein parteiideologisches Versuchslabor verwandeln. Briffaut agiert vorsichtiger. Er hat die Lokalsteuern gesenkt, zwei Mal, um je einen Euro. Dafür hat er den Sozialtarif in den Schulkantinen gestrichen. Und auch die traditionelle kommunale Zeremonie zur Abschaffung der Sklaverei findet nicht mehr statt. Doch verglichen mit Parteikollegen in anderen Rathäusern wirkt Briffaut nicht wie ein Hardliner.
    Das könnte Taktik sein, meint Olivier Spinelli, während er sich mittags im Restaurant einen Platz sucht. Der Bürgermeister bemühe sich, die Gemeindepolitik zu entpolitisieren. Spinelli, Ende 40, leitet die Sektion Picardie der Liga der Menschenrechte. Er beobachtet Briffaut seit mehr als vier Jahren. Ins Amt gebracht habe den Populisten die Misswirtschaft des alten sozialistischen Rathausteams:
    "Die Wähler wollten einen Wechsel, jemanden, der einen politischen Hausputz versprach. Genau der Slogan von Marine Le Pen damals. Aber Briffaut ist bis heute der einzige FN-Bürgermeister in der Picardie."
    Olivier Spinelli stochert in seinem Essen herum. Die FN-Woge ebbe ab, meint er. Eine Meinung, die längst nicht alle teilen. Aber der Menschenrechtsaktivist bleibt dabei. Der Front National stecke in einer tiefen Krise. Die Inkarnation der neuen Politik sei nun Emmanuel Macron. Spinelli legt beide Handflächen auf den Tisch.
    "Ich glaube, dass der Niedergang des Front National begonnen hat. Weil die Franzosen feststellen, dass die FN-Politik eine Schimäre, ein Trugbild ist."