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"Reformvertrag weiter ratifizieren"

Das Ratifizierungsverfahren des EU-Reformvertrags müsse fortgesetzt werden, fordert der Vorsitzende des Ausschusses für EU-Angelegenheiten im Bundestag, Gunther Krichbaum. Ein "Aufschnüren des Vertrages von Lissabon" käme nicht in Betracht.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Und am Telefon begrüße ich jetzt Gunther Krichbaum, CDU. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Guten Tag, Herr Krichbaum!

    Gunther Krichbaum: Ja, guten Tag!

    Kaess: Herr Krichbaum, weiter ratifizieren in der Hoffnung, dass der Druck auf Irland so groß wird, dass auch die Iren Ja sagen müssen. Ist das auch eine Position, die Sie unterstützen?

    Krichbaum: Zunächst ja. Ich denke, es ist jetzt wichtig, dass die Ratifizierungsverfahren in den noch ausstehenden Ländern fortgesetzt werden. Sie hatten es gerade auch angesprochen. Es ist ein tolles Signal, dass jetzt hier Großbritannien gestern ratifiziert hat, heute wird die Queen ihre Unterschrift leisten. Deswegen gelten diese positiven Signale, die braucht man jetzt. Und natürlich auch hier, in Deutschland sind die letzten Hindernisse noch nicht aus dem Weg geräumt. Ich selber würde mir natürlich auch wünschen, dass hier jetzt das Bundesverfassungsgericht diese Akte zügig aufschlägt und dann auch zu einer schnellen Entscheidung findet, so dass auch von Deutschland das entsprechende Signal ausgeht.

    Kaess: Bleiben wir noch bei Irland. Sollte, wenn es zu einem zweiten Referendum dort kommen sollte, über den gleichen Vertrag abgestimmt werden, oder muss man Irland ein Angebot machen, bestimmte Teile nicht umsetzen zu müssen?

    Krichbaum: Es kommt kein Aufschnüren des Vertrages von Lissabon in Betracht.

    Kaess: Warum?

    Krichbaum: Weil Sie sonst die Ratifizierungsverfahren in allen Mitgliedsländern von vorne beginnen müssten. Ich glaube, da würde man die Verdrossenheit in allen Mitgliedsstaaten nur bei den Bürgern auf ein Neues schüren. Das würde ein großes Unverständnis bedeuten. Und am Ende wäre ja wahrscheinlich auch kein anderer Text zu erwarten. Denn das, was wir hier haben, ist ja ein Kompromiss. Es ist bereits ja auch der Plan B, der vielfach zitierte, über den hier abgestimmt wurde.

    Deswegen, auch heute Morgen bei der Debatte im Bundestag hatten einige Redner dann gefordert, die Regierung müsse jetzt hier einen Plan B vorlegen. Das ist absurd, weil: Plan A war die Europäische Verfassung, und Plan B ist eben genau dieser Vertrag von Lissabon, der jetzt hier den Bürgern in Irland vorgelegt wurde.

    Kaess: Aber wenn es bei dem gleichen Vertrag bleiben sollte, dann entsteht ein bisschen der Eindruck, man lässt einfach so lange abstimmen, bis es hinhaut.

    Krichbaum: Deswegen, darin besteht auch zunächst ein gewisses Dilemma, weil Sie ja auch gar nicht wissen bei einem neuerlichen Referendum, wie dann dieses ausgeht. Denn keiner kann ja garantieren, dass dann ein positives Votum am Ende herauskommt. Aber ein Ausweg könnte ohne Zweifel sein, dass man blickt auf die Erfahrungen, die damals auch in Dänemark gemacht wurden, als seinerzeit der Vertrag von Maastricht abgelehnt wurde.

    Hier gab es dann die sogenannte Erklärung von Edinburgh. Das heißt, Dänemark hatte dann eine Reihe von sogenannten "Opting Outs" beziehungsweise es gab hier flankierende Erklärungen. Hier muss sich aber jetzt Irland positionieren und Irland einen Vorschlag für die übrigen Mitgliedsstaaten machen. Denn die Alternative, wenn es hier jetzt nicht zu diesem Vertrag von Lissabon kommt, hieße ganz klar Vertrag für Nizza.

    Deswegen, das muss jedem klar sein, dass wer gegen Lissabon ist, automatisch dann zu Nizza Ja sagen will. Und lassen Sie es mich mal vielleicht mal bildlich ausdrücken. Der Vertrag von Nizza, das waren die Kinderschuhe für Europa. Denn er wurde gemacht für ein Europa der 15, heute sind wir 27 Mitgliedsstaaten. Das heißt, diese Kinderschuhe drücken an allen Ecken und Enden. Und wir brauchen jetzt größeres Schuhwerk, wenn wir den vor uns liegenden Weg auch entsprechend engagiert bestreiten wollen.

    Kaess: Aber, Herr Krichbaum, noch einmal nachgefragt. Wie ernst nimmt man die Bürger, wenn sie eigentlich so entscheiden können, wenn sie wollen, und es sowieso keine Konsequenzen hat?

    Krichbaum: Die Bürger und die Bedenken muss man sehr, sehr ernst nehmen. Aber ich gebe jetzt mal ein Beispiel, dann wird es vielleicht etwas plakativer. In Irland war es ein großer Gegenstand der Debatte, dass die Befürchtung im Raume stand, die EU wolle das relativ strenge Abtreibungsrecht in Irland liberalisieren. Das war überhaupt nicht der Fall. Es war eine Scheindebatte, weil der Vertrag von Lissabon dazu überhaupt nicht sagt.

    Kaess: Warum erklärt das Politik nicht besser?

    Krichbaum: Die Debatte wurde in Irland geführt zu diesem Punkt. Aber man hat auch, die Befürworter des Vertrages haben sehr wohl gesagt, dass der Vertrag von Lissabon das nicht regelt und dazu auch gar keine Aussage treffen will. Und das genau könnte eine flankierende Erklärung sein, die eine rein bestätigende Funktion hätte, ohne Zweifel, dann aber zu sagen, wenn hier bestimmte Regelungen dann doch eines Tages erfolgen sollten, dann könnte sich hier Irland auch davon ausklammern.

    Wie gesagt, es wäre eine rein deklaratorische Funktion, weil der Vertrag von Lissabon dazu nichts sagt und auch gar nichts sagen will. Denn das bleibt ja den Mitgliedsstaaten überlassen. Denn wir dürfen bei aller Detaildiskussion jetzt eines auch nicht vergessen. Ziel ist es von dem Vertrag von Lissabon, genau dieses Europa klarer, transparenter zu machen für die Bürger. Das heißt, in Zukunft wird einfach viel besser erkennbar, wofür ist Europa zuständig und wofür die Mitgliedsstaaten. Das heißt, vieles, was jetzt gerade auch bemängelt wird, das will ja genau der Vertrag von Lissabon lösen. Aber was die Erklärung angeht, vielleicht dazu nur einen Satz. Auch da müssen wir aufpassen, wie wir die Diskussion führen.

    Nehmen Sie es so, alle Menschen hier, auch bei uns, wollen Auto fahren, aber wir verzetteln uns oft in Diskussionen, dass wir den Menschen erklären wollen, warum dieses Auto fährt. Aber das interessiert letztlich eigentlich niemanden, was den Verbrennungsprozess eines Motors angeht, wie viel Kraftübertragung auf die Achsen erfolgt. Und da muss man schauen. Die Bürger haben ein Interesse daran, dass sich dieses Europa nach vorne bewegt.

    Kaess: Herr Krichbaum, noch kurz zum Schluss mit der Bitte um eine kurze Antwort. Welche Rolle sollten Deutschland und Frankreich im weiteren Prozedere spielen?

    Krichbaum: Frankreich kommt eine ganz entscheidende Rolle zu, weil Frankreich jetzt die Ratspräsidentschaft übernimmt. Das haben sich die Franzosen sicherlich von der Themenschwerpunktsetzung auch etwas anders vorgestellt. Aber das kann man sich eben manchmal auch nicht aussuchen, und Deutschland kann hier sehr wohl mit unterstützen.

    Allerdings, der Ball liegt im Spielfeld von Irland, und alles, was jetzt von außen käme, da muss man sehr, sehr sensibel denken und vorgehen, könnte als ein Druck genau auf die Iren verstanden werden. Denn wie Sie es anfangs zu recht sagten, es ist ein souveränes gefälltes Votum der Bürger, das muss man ernst nehmen. Die Bedenken, die dort vorgebracht wurden, die wollen auch ernst genommen werden. Und das muss man auffangen und schauen, ob man dann wie gesagt auf dieser Grundlage auch eine Lösung finden kann.

    Kaess: Gunther Krichbaum, CDU, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch!

    Krichbaum: Ich danke Ihnen!