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Regel 50 der Olympischen Charta
Die Stimmen der Protestbewegung werden lauter

Politische Proteste sind im Sport eigentlich verboten, die Black-Lives-Matter-Bewegung hat aber in vielen Sportarten für einen Wandel gesorgt. Nur bei Olympischen Spielen werden Demonstrationen und Protest bisher noch hart bestraft. 

Von Raphael Späth und Arne Lichtenberg | 22.07.2020
    Tommie Smith (Mitte) and John Carlos (rechts) bei der Siegerehrung der 200-Meterläufer 1968 in Mexiko-City: Der Gold- und der Silbermedaillengwinner heben die Faust als "Black Power"-Geste für die Bürgerrechte der Schwarzen.
    Black Power: Wohl der bekannteste Protest bei Olympia: Die beiden US-Sprinter Tommie Smith (Mitte) und John Carlos (rechts) demonstrieren in Mexiko 1968 für die Bürgerrechte der Schwarzen. (picture-alliance / United Archives/TopFoto)
    Die Stimmen, die eine Abschaffung der Regel 50 der Olympischen Charta fordern, mehren sich. In der Regel 50 ist festgelegt, dass jegliche "politische, religiöse oder rassistische Demonstration oder Propaganda" bei den Spielen nicht gestattet sei. Diese Regel besteht schon seit langer Zeit und wurde erstmals in den 1950er-Jahren mit in die Charta aufgenommen.
    Schon mehrfach wurden Sportler für politische Äußerungen bei Olympia sanktioniert. So auch John Carlos, der 1968 in Mexiko-Stadt bei der Siegerehrung gemeinsam mit seinem US-Teamkollegen Tommie Smith die Black-Power-Faust gezeigt hatte und von den Spielen ausgeschlossen worden war.
    Aber auch erst letztes Jahr bei den Panamerikanischen Spielen wurden einige US-Athletinnen und Athleten sanktioniert, als sie sich auf dem Podest hingekniet hatten.
    Siegerehrungim Mannschaftswettbewerb der Florettfechter bei den Pan am Games in Lima. US-Goldmedaillengewinner Imboden kniet während der Hymne. 
    Protest bei den Panamerican Games 2019: Der US-Goldmedaillengewinner im Fechten, Race Imboden, kniet während der Siegerehrung. (Twitter)
    IOC hält an Regel fest
    Im Januar hatte das IOC dann noch einen Leitfaden veröffentlicht, in dem noch einmal klargestellt wurde, dass die politische Neutralität des Sports um jeden Preis zu wahren sei und damit die Regel 50 auch noch bestehen bleibt. Darin stand auch explizit, dass Handgesten oder Hinknien verboten sind. Das Das IOC-Argument: Wenn man einen Protest erlaube, müsse man alle erlauben, egal ob Anti-Rassismus-Demonstration oder der Militärgruß an einen Diktator.
    Neue IOC-Richtlinien - "Es ist nicht das richtige Signal"
    Politische Proteste von Athleten soll es bei Olympia in Tokio nicht geben. Das IOC hat Demonstrationen in bestimmten Situationen untersagt. Ein falsches Signal, sagte Johannes Herber von Athleten Deutschland im Dlf.
    Aktuell gibt es eine ähnliche Bewegung wie damals in den 1960er Jahren, was die Gleichberechtigung von Afroamerikanern angeht. Anders als damals gibt es inzwischen mehrere unabhängige Athleten-Vereinigungen, in Deutschland ist Athleten Deutschland e.V. das beste Beispiel.
    Die deutsche Athletenvereinigung ist in der Vergangenheit auch schon erfolgreich gegen das IOC vorgegangen. Denn von Athletenseite gibt es schon länger die Forderung, die Regel 50 zu überarbeiten, doch das IOC blieb bisher immer stur. Aber im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung und nachdem selbst Verbände wie die der Weltfußballverband FIFA einen Protest gegen Rassismus erlaubt hatten, ist auch das IOC ein bisschen zurückgewichen.
    Max Hartung im Dezember 2018 auf einer DOSB-Mitgliederversammlung
    Hartung: "Wichtig ist, dass eine breite Diskussion entsteht"
    Die IOC-Athletenkommission soll klären, wie Sportlerinnen und Sportler bei Olympia künftig politische Haltungen demonstrieren können. "Wir nehmen die Verantwortung an", sagte Max Hartung, der Vorsitzende von "Athleten Deutschland" im Dlf.
    IOC-Athletenkommission ist am Zug
    IOC-Präsident Thomas Bach betonte auf einer Pressekonferenz Anfang Juni, dass die IOC-Exekutive einer möglichen Regeländerung offen gegenüberstehe. Proteste dürfen erlaubt sein, wenn sie "die Prinzipien der Olympischen Charta auf würdige Weise ausdrücken". Aber nur, wenn es einen konkreten Vorschlag der IOC-Athletenkommission gibt. Bach nahm also die Athletinnen und Athleten in die Verantwortung, es liege an ihnen, einen Änderungsvorschlag auszuarbeiten.
    Dreisprung-Olympiasieger Christian Taylor hofft auf eine Überarbeitung der umstrittenen Regel 50 noch vor den Sommerspielen in Tokio 2021. "Ich bin sehr optimistisch, dass die Regel 50 bald geändert wird, weil der öffentliche Druck einfach zu groß wird", sagte der US-Amerikaner im Deutschlandfunk.
    US-Leichtathlet Christian Taylor bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London.
    Athletenvereinigung: "Athleten müssen eine Stimme haben"
    US-Dreispringer Christian Taylor von der "Athletics Association" sagte im Dlf, dass sich die Vereinigung unter anderem für das Recht von Athletinnen und Athleten einsetzen wolle, "friedlich zu protestieren".
    Davor hatte auch noch die weltweite Sportlervereinigung Global Athlete und der Athletenbeirat des US-amerikanischen olympischen und paralympischen Komitees (USOPC AAC) die Abschaffung der Regel gefordert. Die Macht über Regeländerungen hat die IOC-Athletenkommission, allerdings ist die dafür bekannt, oftmals mit dem IOC eine Linie zu fahren.
    "Politik hat im Sport nichts zu suchen"
    Am Montag betonte Kirsty Coventry, Vorsitzende der Athleten-Kommission und Schwimmerin aus Simbabwe im Telegraph, dass zwar Ende des Jahres eine Entscheidung getroffen wird, aber weiterhin alle Optionen offen sind, denn viele Athletinnen und Athleten seien weiterhin gegen eine Änderung der Regel. Politik habe im Sport nichts zu suchen, die Bühne des Sports soll nicht dafür missbraucht werden.
    Unter den Athletinnen und Athleten herrscht noch Uneinigkeit, wie genau und ob die Regel 50 überhaupt angepasst werden soll. Allerdings ist festzuhalten, dass bisher weder Athleten Deutschland e.V. noch die Athletics Assocication, in der alle großen Namen der Leichtathletik sitzen, einen intensiveren Austausch mit der IOC-Athletenkommission gehabt haben.
    Schwimmerin Kirsty Coventry betonte im Telegraph noch einmal, dass ein Podium vielleicht nicht die geeignete Plattform für einen Protest sei, man müsse über andere Orte nachdenken, wo jeder seine Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung bekunden könne.
    Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass nur die Proteste, die gegen die Regeln verstoßen, am meisten Aufmerksamkeit erzeugen.