Gerner: Herr Biedenkopf, Sie sagten in einem Interview, Sie erwarten, daß die CDU in absehbarer Zeit Koalitionen mit den GRÜNEN eingeht. Gehört das zur programmatischen Neuausrichtung Ihrer Partei?
Biedenkopf: Koalitionsfragen sind doch keine Programmfragen. Außerdem habe ich nicht gesagt, daß ich erwarte, daß die CDU solche Koalitionen eingeht, sondern ich habe gesagt, daß ich erwarte, daß in absehbarer Zeit die GRÜNEN dafür reif wären. Das ist ein Unterschied.
Gerner: Was heißt in absehbarer Zeit, und auf welcher Ebene muß man sich das denken?
Biedenkopf: Das kommt darauf an. Das hängt ja auch sehr stark von Personen ab. Die GRÜNEN-Partei wird jetzt in der Regierungsverantwortung sich bewähren müssen, und ich denke einmal, sie wird sich sehr anstrengen, sich zu bewähren. Man sieht in den Koalitionsverhandlungen, daß ihr eine ganze Reihe von Grenzen gezogen werden, die sie auch akzeptiert. Das halte ich auch für richtig. Daraus kann sich ein Zustand entwickeln, der es der CDU erlaubt, darüber nachzudenken, ob man auf Landes- oder später vielleicht auch mal auf Bundesebene auch mit den GRÜNEN koalieren kann.
Gerner: Sie haben gesagt, die SPD tut uns erst einmal den Gefallen und domestiziert die GRÜNEN. Was ist denn noch wild an den GRÜNEN?
Biedenkopf: Eine ganze Reihe von Vorstellungen, die die GRÜNEN geäußert haben - zum Teil haben sie sie ja selbst zurückgenommen -, sind nicht besonders realistisch. Ich habe ja nicht von wild gesprochen, sondern unter domestizieren versteht man auch, in eine bestimmte Struktur einzubinden, nämlich in die Struktur der Regierung.
Gerner: Halten Sie es denn für denkbar, Herr Biedenkopf, daß die GRÜNEN zum Koalitionsmacher werden, so wie die FDP es über drei Jahrzehnte war, daß sie langfristig die dritte Kraft im Parteienspektrum werden?
Biedenkopf: Wissen Sie, ich finde, wir sollten jetzt erst einmal abwarten, wie die neue Regierung funktioniert. Für Spekulationen langfristiger Art besteht keine große Veranlassung. Ich habe den Gedanken von Helmut Kohl noch einmal aufgenommen, habe ihn auf die jetzige Situation bezogen, aber jetzt würde ich ganz gerne erst einmal - und ich denke, das gilt für die ganze CDU - in der Opposition die uns zugewiesene Arbeit leisten und mal schauen, wie die Regierung mit sich zurechtkommt.
Gerner: Seit drei Wochen etwa gibt es Ideen seitens der neuen Regierung Schröder, die in die Koalitionsverhandlungen eingebracht werden sollen. Gerhard Schröder hat gesagt, er werde nicht alles anders, aber vieles besser machen. Ich erwarte jetzt keine Lobeshymnen auf Gerhard Schröder von Ihnen, aber können Sie dem, was bisher durchgesickert ist, etwas Positives abgewinnen?
Biedenkopf: Wissen Sie, für mich sind durchgesickerte Dinge keine Basis für ein Urteil. Mein Urteil würde ich gerne erst dann fällen, wenn die Koalitionsvereinbarung vorliegt, wenn man sich mit dem Zusammenhang beschäftigen kann. Jetzt sind das alles noch Fragmente. Mal wird über das, mal wird über das anders geredet, mal liest man von Knackpunkten, mal liest man von schweren Differenzen. Gestatten wir doch den Regierungsparteien, SPD und GRÜNE, daß sie jetzt erst einmal ihre eigenen Verhältnisse in Ordnung bringen und dann dem deutschen Volk die Basis vorlegen, auf der sie regieren wollen.
Gerner: Aber etwa bei der Steuerreform liegt Stoff genug vor, damit etwa die Zeitungen ganze drei Seiten dazu füllen. Ist diese Steuerreform der angekündigte große Wurf?
Biedenkopf: Ich kann Ihnen nur wiederholen: Ich schaue mir das an, wenn es fertig ist!
Gerner: Sie haben auch mitbekommen, was gestern zum Staatsangehörigkeitsrecht beschlossen wurde.
Biedenkopf: Ja, natürlich habe ich das mitgekriegt, wie Sie das nennen, aber mitgekriegte Informationen sind für mich keine Grundlagen für Bewertungen.
Gerner: Das heißt, Sie haben keine Meinung zum Staatsangehörigkeitsgesetz?
Biedenkopf: Ich habe eine ganz dezidierte Meinung zum Staatsangehörigkeitsrecht, aber ich habe noch keine Meinung zu der Position von SPD und GRÜNEN. Ich glaube, wir verstehen uns doch!
Gerner: Klar ist, was die IG Metall vorgeschlagen hat: 6,5 Prozent Lohnsteigerung. Trägt die neue Regierung an so etwas Mitverantwortung?
Biedenkopf: Natürlich nicht! Die Regierung hat doch mit der Lohnforderung der IG Metall, die durch ihre Tarifkommission beschlossen wird, nichts zu tun. Es wäre auch töricht, die Regierung - jede Regierung - für so etwas in Anspruch zu nehmen.
Gerner: Es gibt Leute, die stellen dort einen Zusammenhang der Nachfragepolitik her.
Biedenkopf: Wissen Sie, genau diese Art von Gespräch, die wir jetzt führen, halte ich nicht für besonders konstruktiv, weil wir von einem Punkt zum anderen springen und am Ende kein Mensch mehr weiß, worüber wir eigentlich geredet haben. Herr Zwickel hat immer die Auffassung vertreten - das hat mit Nachfragepolitik von Herrn Lafontaine relativ wenig zu tun , daß man die Einkommen der Arbeitnehmer stärken müsse, auch um die Kaufkraft zu stärken. Ich habe diese Position wie viele andere immer für falsch gehalten, denn erstens wissen wir nicht, ob das vermehrte Einkommen überhaupt in Deutschland oder für deutsche Produkte ausgegeben wird, und zweitens bedeutet vermehrtes Einkommen auf der einen Seite Kosten auf der anderen Seite. Wenn ich mir zum Beispiel unsere Situation hier in Sachsen ansehe, wo viele Metallunternehmen jetzt gerade darum ringen, auf Dauer bestehen zu können, sich im Wettbewerb durchsetzen zu können, dann kann ich mir vorstellen, daß eine ganze Reihe von denen mit einer Lohnsteigerung um sechs Prozent nicht zurechtkämen.
Gerner: Herr Biedenkopf, Sie kritisieren die "jungen Wilden" in Ihrer Partei, sie hätten die CDU seit der Niederlage bei der Bundestagswahl nicht weitergebracht. Sollen die Blüms und Co. doch am Ruder bleiben?
Biedenkopf: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe das ganz anders gesagt. Ich habe sie kritisiert, weil ich es, um es einmal ironisch zu sagen, für sehr merkwürdig halte, daß sich 40jährige und ältere als junge Wilde bezeichnen, daß sie sich selbst als junge Wilde bezeichnen. Ich habe kritisiert, daß man von eben diesen Herren vor der verlorenen Bundestagswahl so gut wie nichts gehört hat. Sie waren mit allem einverstanden, und jetzt plötzlich nach der Bundestagswahl sollen sie der Quell der Erneuerung sein. Auch dort bin ich der Meinung, sie sollen erst einmal zeigen was sie können.
Gerner: Das heißt, Ihnen kommt inhaltlich zu wenig von dieser Gruppe?
Biedenkopf: Bisher ist inhaltlich ja überhaupt nichts gekommen. Bisher ist nur der Anspruch gekommen, sie seien die Zukunft und sie seien die Reformer. Das mag ja sein, daß das stimmt. Nur Vorschußlorbeeren verteile ich nicht gerne!
Gerner: Wohin muß die programmatische Fahrt in der CDU denn gehen?
Biedenkopf: Jetzt muß erst einmal eine Art Bestandsanalyse gemacht werden: wo stehen wir, was haben wir falsch gemacht, wo haben wir uns nicht vermitteln können mit unserer Politik, wo sind innerhalb der Partei selbst Spannungen oder Bruchstellen, weil verschiedene politische Auffassungen vertreten werden, wie zum Beispiel im Bereich der Sozialpolitik. Wenn diese Bestandsaufnahme durchgeführt worden ist - ein Stück der Arbeit wird ja ohnehin durch die Oppositionsrolle diktiert, das heißt auch durch die Handlungen und Maßnahmen der Regierung -, dann müssen eine ganze Reihe von organisatorischen Defiziten aufgearbeitet werden. Die Partei muß ja nach 16 Jahren Regierungszeit nun wieder alleine die ganze Last der politischen Auseinandersetzungen mit der Oppositionsfraktion tragen.
Gerner: Herr Biedenkopf, Sie haben gesagt, Wolfgang Schäuble als Parteivorsitzender und Fraktionschef das ginge als Regierungspartei, nicht aber in der Opposition. Warum die Unterscheidung?
Biedenkopf: Ja, weil in der Regierung die Fraktion und die Partei durch eine dritte Kraft, nämlich die Regierung, nachhaltig mit unterstützt wird, und weil in der Opposition gerade jetzt - man kann das ja immer nur auf den jeweiligen konkreten Sachverhalt beziehen - so viel zu tun ist, sowohl im Bereich der Oppositionsfraktion im Bundestag wie im Bereich der Partei, daß ich große Zweifel habe, ob einer das alleine kann.
Gerner: Das heißt, Sie werden beim Parteitag am 7. November gegen Wolfgang Schäuble als Parteichef stimmen?
Biedenkopf: Ich bitte Sie! Ich muß sagen, ich verstehe Ihre Frage nicht. Deshalb lehne ich doch Wolfgang Schäuble nicht ab. Ich habe ein Strukturproblem diskutiert, habe das auch immer wieder betont, und Sie sehen, selbst die Lektüre und Wiedergabe von Interviews ist schwierig; wie soll ich mich dann in der komplexen Debatte, die zur Zeit über die Koalitionsvereinbarung geführt wird, schon über deren Ergebnis äußern.
Gerner: In den "Informationen am Morgen" war das Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident in Sachsen. Auf Wiederhören!