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Regie ohne Perspektive

Regisseur Andreas Kriegenburg springt in seiner Inszenierung der "Walküre" an der Bayerischen Staatsoper zwischen platter Machtkritik, Schrumpfmythos und Pseudomystik unentschlossen herum. Den Abend retten Anja Kampe als Sieglinde und Klaus Florian Vogt als Siegmund.

Von Christoph Schmitz | 12.03.2012
    Eine Kampfpantomime lässt Regisseur Andreas Kriegenburg während des ersten Vorspiels aufführen. Dämmerlicht, zerstörter Tannenforst rundum auf die Wände projiziert; in Zeitlupe verteidigt sich Siegmund mit Schwert und Schild gegen die Horde seiner Verfolger und hält sich erfolgreich wie ein Schwarzenegger alle vom Leib.

    Dieser Kampf wirkt aber nicht bedrohlich, sondern in seiner stereotypen Choreografie recht harmlos. Will Kriegenburg klarstellen, dass er von nun an nur so tun will, als ob, dass er also das Drama zu verkleinern gedenkt? Die Frage bleibt erst einmal offen.

    Dann trifft Siegmund auf Sieglinde. Sieglinde gibt dem Flüchtenden zu trinken. Das Glas wandert zwischen den beiden hin und her über eine Kette junger Frauen mit Lichtern in den Händen - eine eher schlichte, fast kitschige Metapher für den Funken der Kommunikation und der Liebe zwischen den Geschwistern.

    Richtigen Kitsch fährt Kriegenburg auf, wenn die ätherischen Damen der Dienerschaft die Tafel üppig decken und die Speisen mit ihren Lichtstrahlen segnen. Will der Regisseur die mythologische Geschichte als esoterischen Schnickschnack verulken oder will er sie in ihrer Tiefendimension kenntlich machen? Für letzteres sind die Zeichen zu trivial.

    Also wäre es auf eine Verkleinerung der Walkürenwelt hinausgelaufen - wenn nicht kurz darauf eine ganze Reihe bedeutungsschwerer Regietheatersignale ausgesandt worden wäre: Hunding springt auf den Tisch, schlägt mit dem Schwert direkt vor Siegmund eine Wassermelone entzwei, gräbt seine Hand in die Frucht und zerquetscht mit der Faust das rot triefende Fruchtfleisch. Damit jeder kapiert, was für ein grobschlächtiger Gesell dieser Hunding ist, trocknet er seine Hände am Kleid seiner Frau Sieglinde ab oder zerrt sie mit seinem Schal von Siegmund fort.

    Und damit kein Zweifel darüber aufkommt, wie Wotan und seine Herrscherclique die Gesellschaft unterdrücken, formieren sich auf ihren Befehl hin die buckelnden Diener zu Sesseln und Sofas, wo es sich die Götter bequem machen. So springt Andreas Kriegenburg zwischen platter Machtkritik, Schrumpfmythos und Pseudomystik unentschlossen herum auf der Suche nach einer Perspektive auf Wagners Werk, die er bis zum Schluss nicht findet.

    Schallendes Gelächter im Publikum, als vor dem Walkürenritt eine Rhythmen stampfende Tänzerinnentruppe die Bühne unter Stöhnen minutenlang belagert. Ein, gelinde gesagt, belangloser Abend - wäre da nicht zum einen Anja Kampe als Sieglinde gewesen, die den Kummer der geknuteten Frau und die Kraft der liebenden überzeugend spielte und sang, und wäre da vor allem nicht Klaus Florian Vogt als Siegmund gewesen. Sein lyrischer Tenor ist so gereift, dass er auch das Drama des zum Tode verdammten Helden ausloten und das ungetrübte Glück feiern kann.

    "Winterstürme wichen dem Wonnemond, im milden Lichte leuchtet der Lenz; auf lauen Lüften lind und lieblich, Wunder webend er sich wiegt; durch Wald und Auen weht sein Atmen, weit geöffnet lacht sein Aug'."

    Neben dem überragenden Klaus Florian Vogt war es Sophie Koch als kalkuliert hysterische Ehekriegerin Fricka, die die Premiere zu einem musikalischen Erfolg führte. Auch Thomas Mayer als verhalten-sonorer Wotan und Ain Anger als brachialer Hunding. Nur die Brünhilde der Katarina Dalayman forcierte und bändigte die hochdramatische Partie wenig mit Gesangskultur.

    Kent Nagano ging die Partitur mit minutiöser Klang- und Konstruktionsanalyse an, um die musikalischen Ideen über weite Strecken zu entwickeln. Das führte zusammen mit einer subtil abgestuften Dynamik zu einer faszinierenden Dauerspannung. Und bei aller Kontrolle ließ Nagano im richtigen Moment immer wieder auch die ganze Wucht der Komposition hervorbrechen. Und jene stille Szene, wenn Brünhilde Siegmund den Tod verkündet, geriet zu einem erschütternden Trauergesang. Hier hatte die Regie einmal keinen besonderen Einfall - und das Musiktheater glückte.

    "Siegmund, sieht auf mich! Ich bin's, der du bald folgst."