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Träumerisches Aneinandervorbeilieben

Auf den ersten Blick ist "Das Käthchen von Heilbronn" ein romantisches Ritterdrama mit einer 15-jährigen Kindsbraut, die abgöttisch einen viel älteren Grafen liebt. Doch die Inszenierung, die Andreas Kriegenburg vorstellte, ist eher ein Traumspiel über Kleist und seine Dramen.

Von Hartmut Krug | 09.12.2011
    Es ist eine wilde, unwahrscheinliche Geschichte, dieses "Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe", das Heinrich von Kleist "Ein großes historisches Ritterschauspiel" nennt. Hinter Märchenhaftigkeit und Kitsch verbirgt sich tiefere Bedeutung und offenbart sich unfreiwillige Komik.

    Kleists Stück über eine Frau, die die Wirklichkeit und den geliebten Mann nach ihrem Bewusstsein zu formen versucht, hat es seit jeher auf deutschen Bühnen schwer. Während Jan Bosse sich am Berliner Maxim Gorki Theater mit seinem Käthchen vor einem Monat in die Komödien-Rappelkiste gerettet hat und seinen Macho Graf Wetter von Strahl einen Bewusstwerdungs-Prozess hin zum Gefühl durchmachen ließ, interessiert sich Andreas Kriegenburg bei seiner Inszenierung am Deutschen Theater weder für Strahl noch für das Käthchen. Er lässt sich ohnehin von keiner der Figuren tiefer reizen, sondern benutzt sie nur für ein Regietheater-Spiel.

    Seine Inszenierung ist eine einzige große Ausweichbewegung vor dem Stück, zugleich kleinmütig wie auftrumpfend. Der Regisseur zeigt die Entwicklung des Stückes mit vielen autobiografischen Anspielungen und Zitaten als Fantasie eines Autors. Dafür hat Regisseur Kriegenburg als sein eigener Bühnenbildner die Bühne zu einer pittoresken engen Schreibstube eingerichtet. Die Wände sind bis an die Decke mit Manuskriptseiten bedeckt. Hier leiden sechs Kleist-Doppelgänger mit fahlweißen Gesichtern, bekleidet mit Kniehose und Frack und bewaffnet mit weißen Federkielen, an ihren Pulten an Schreibschwierigkeiten. Doch dann erwachen sie, hinein in Kleist-Zitate wie "dass mir auf Erden nicht zu helfen ist." Einer legt sich das Unterhemd eines Mädchens über den Kopf und beatmet sich daraus erotisch, und die Traum- und Wunscharbeit des Autors an seinem Werk kann beginnen. Erst einmal aber muss ein Name für das Werk gefunden werden: Von Gretchen kommt man auf Käthchen, und dann wird der Text gemeinsam entwickelt.

    In dieser Inszenierung gibt es keine festen Rollen, die Textfindung und Zitiererei ist ein individuell kollektiver Prozess von zwei Frauen und vier Männern. Das heißt, Texte werden oft schnell über mehrere Darsteller-Stationen weitergereicht und auch chorisch gesprochen, und jeder wird mal als Kleist angeredet oder verkündet Briefzitate des Autors. Und da Kleist sich von seinem "Käthchen" vor allem auch ökonomischen Erfolg versprach, wird unentwegt das Briefzitat "Ulrike, bitte schicke Geld" eingestreut.

    Doch der Begründungszusammenhang zwischen biografischen Details und Stückszenen wirkt beliebig, weder überzeugt er noch wirkt er durchdacht und erhellend. Kriegenburgs dramaturgisch-szenische Bastelei besitzt gelegentlich durchaus atmosphärischen Reiz, doch wann und warum welche Methoden gerade eingesetzt werden, wirkt völlig beliebig. Das Ganze ist leeres Beeindruckungs-Theater eines Regisseurs, der vor den Zumutungen von Kleists Stück zurückschreckt und ihm dabei Sinn und Sinnlichkeit nimmt. Wer den Text nicht genauer kennt, hat es bei Kriegenburg schwer und muss sich mit dessen kunsthandwerklichen Einfällen zufriedengeben. Oder mit der Parodie: Während Kleistsche Briefzitate vom ernsthaften Gestaltungswillen einer Kampfszene künden, wird diese mit vorgebundenen großen, klappernden Ritterfiguren parodiert. Und da Kleist den Doppelselbstmord angeblich nach einem Gemälde nachinszeniert hat, werden zwei Figuren so drapiert und mit Gras bestreut und kleinen Bäumen bedeckt.

    Ein netter Einfall, was sonst. Aber wie vieles in dieser Inszenierung eher belanglos. Natürlich weiß der Regisseur von Kleists Text über das Marionettentheater und kennt Shakespeares Worte über die Schauspieler, die Puppen seien. Also gibt es bei ihm Puppen in jeder Ausfertigung. Wenn von Käthchens Fenstersturz erzählt wird, lässt jemand eine Kinderpuppe fallen, die Szene in der Grotte wird mit grotesken Pappmache-Puppen gespielt, und die Holunderbuschszene gibt es zugleich dreimal: Zwei Schauspieler hängen hoch oben vor der Wand, ein anderer betatscht eine weitere rechts unten mit seiner Eisenhand, und links unten wird die Szene in einem winzigen Koffertheater gespielt.

    Die mehrmalige Verdoppelung von Situationen durch Schauspielervortrag und Puppenspiel ergibt jedoch weder inhaltlichen noch ästhetischen Mehrwert. Zum Schluss wird der Kaiser durch seine komische hohe Papierkrone hindurch in langen Schläuchen mit Text gefüllt, mit Einflüsterungen hinein in seine Ohren. Ja, sicher, eine Metapher, über Theater und seine Entstehung gefüllt wird, ist dies ein weiteres Zitat eines selbstreferenziellen Theaterabends. Die Kaiserpuppe fällt tot um, und die fünf anderen beschreiben, einer nach dem anderen in bedeutsam langwieriger Prozedur, seinen Körper mit Kleist-Zitaten. Viel überdeutliche Bedeutung über Theater und Schauspielerei, aber über diesen Kommentar-Einfall ist Kleists Stück längst vergessen, und das Licht geht einfach aus.