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Regieren am Parlament vorbei

Politische Kontrolle durch das Parlament war Reichskanzler Otto von Bismarck und dem preußischen König Wilhelm I. stets ein Dorn im Auge. Kurzerhand regierte Bismarck über Jahre ohne einen genehmigten Etat und ließ sich sein Handeln nachträglich legitimieren, als sich Preußen als deutsche Führungsmacht durchgesetzt hatte.

Von Klaus Kühnel | 14.09.2006
    "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden (...), sondern durch Eisen und Blut."

    Diese Belehrung hatte Ministerpräsident Otto von Bismarck bereits am 30. September 1862 der Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses erteilt. Zu ihr gehörten unter anderem: der Verleger Franz Duncker, Rudolf Virchow, Professor der Medizin, Max von Forckenbeck, Rechtsanwalt und gerade auf dem Weg, Parlamentspräsident zu werden. Die Worte Bismarcks erhitzten sofort die Gemüter innerhalb und außerhalb des Landtags. Bis heute wird die Politik des späteren Reichskanzlers durch die Begriffe "Eisen und Blut" charakterisiert.

    Rudolf Virchow, Gründer und Wortführer der Fortschrittspartei, durchschaute Bismarcks denkwürdige Offenheit:

    "Der Herr Ministerpräsident planen auf dem Felde der Außenpolitik eine gewalttätige Machtpolitik zu beginnen! Dazu aber fehlen ihm die Voraussetzungen: Wir werden von unserem Recht Gebrauch machen und die notwendigen Finanzen für kriegerische Auseinandersetzungen nicht bewilligen. "

    Auf diese Drohung schwieg Bismarck herablassend, denn er wusste, was keiner ahnte: Noch bevor er von seinem König in das Amt des Ministerpräsidenten eingesetzt worden war, hatte es ein Vier-Augen-Gespräch zwischen ihm und Wilhelm I. gegeben, der sehr darunter litt, nicht mehr absolut über sein Reich herrschen zu können, sondern seit der Revolution auf das Zwei-Kammern-Parlament Rücksicht nehmen musste. Der König wollte seine absolute Macht wiedergewinnen und Bismarck hatte versprochen:

    "Kein Zugeständnis ans Parlament. Notfalls Regieren ohne Budget!"

    14 Tage nach der erhitzten Debatte vor der Budgetkommission schloss König Wilhelm I. das Abgeordnetenhaus. Er entband auch die Mitglieder des Herrenhauses - vergleichbar dem heutigen Bundesrat - von ihren Aufgaben. Von nun an regierte Bismarck ohne Budget. Das verstieß nicht direkt gegen die preußische Verfassung. Sie kannte drei gesetzgebende Gewalten:

    "Seine Majestät der König,
    die Adligen des Herrenhauses, vom König berufen oder als Standesprivileg vererbt,
    die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, vom Wahlmännern erkoren."

    Die Macht lag nun in den Händen Bismarcks. Jetzt endlich konnte er beginnen, seinen lange gehegten Traum zu verwirklichen: Reichseinigung unter Führung Preußens.

    Skrupellos bediente er sich zunächst der Österreicher. Gemeinsam mit ihnen besetzte er 1864 die zu Dänemark gehörenden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Kein Jahr dauerte die Waffengemeinschaft mit Wien, dann brach das Bündnis der Rivalen um die Hegemonie auseinander. Zwölf Monate später erklärten Preußen, Italien und 17 norddeutsche Kleinstaaten Österreich den Krieg und schlugen es im Juli 1866 bei Königgrätz vernichtend. Bismarck hatte sein Ziel erreicht. Österreich war geschwächt, Preußen der mächtigste Staat unter den deutschen. Der bismarckfreundliche Historiker Heinrich von Treitschke jubelte:

    "Unsere Revolution wird von oben vollendet."

    In Wirklichkeit hatte Preußen große Teile Deutschlands annektiert und 17 Kleinstaaten zum Norddeutschen Bund gezwungen. Bismarck war der strahlende Held. Nun würde es keine Budgetkommission mehr wagen, die notwendigen Mittel für Erhalt und Ausbau des Heeres zu verweigern. Er konnte es wagen, innenpolitisch Frieden zu schließen. König Wilhelm I. erklärte vor dem längst wieder einberufenen Landtag:

    "Die politische Lage des Staates, die Erweiterung seiner Grenzen und die Errichtung eines einheitlichen Bundesheeres unter Preußens Führung haben gezeigt, dass es notwendig und richtig war, vier Jahre ohne Zustimmung der Herren Abgeordneten die Finanzen so einzusetzen, wie von Meiner Regierung geschehen. Ich hoffe und erwarte dafür Ihr Verständnis und fordere Straffreiheit. Lassen wir die Sache also auf sich beruhen. "

    Begeistert klatschten die meisten Abgeordneten in die Hände, erhoben sich von den Plätzen und nahmen die so genannte Indemnitätsvorlage mit 230 gegen 75 Stimmen an. Sie rechtfertigte im Nachhinein das bisherige Vorgehen der Regierung und verhinderte weitere parlamentarische Schritte. Als sie am 14. September 1866 in Kraft trat, war Bismarck seiner Vision von einem einheitlichen Deutschland unter Führung Preußens ein erhebliches Stück näher gekommen.