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"Regieren ist kein Selbstzweck"

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion sieht noch keine Annäherung an die Union. Gesprächsbereitschaft in gesellschaftlichen Fragen bedeute nicht Übereinstimmung, sagt Anton Hofreiter. In Zukunft müsse man sich aber auf neue Machtoptionen einstellen.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Christiane Kaess | 18.10.2013
    Christiane Kaess: Nach den Sondierungsgesprächen mit der Union haben die Grünen zwar beschlossen, es werde keine Koalitionsverhandlungen geben, aber alle schienen einigermaßen überrascht, dass man sich doch so gut verstanden hatte bei den Gesprächen, und man konnte sogar Bedauern herauslesen aus den Statements der Beteiligten, darüber, dass es kein schwarz-grünes Bündnis geben wird, es sei denn, die SPD springt doch noch ab. Ein schwarz-grünes Hintertürchen haben sich die Grünen nämlich offen gelassen. Mehrere führende Grünen-Politiker sind sich sicher, es wird weitere Gespräche geben mit der Union, sollten die mit der SPD scheitern. An diesem Wochenende wählen die Grünen auf einer Bundesdelegiertenkonferenz eine neue Spitze.
    Verbunden sind wir jetzt mit Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef im Bundestag. Guten Morgen.

    Anton Hofreiter: Guten Morgen!

    Kaess: Wir haben es gerade gehört: längerfristig wollen sich die Grünen öffnen für verschiedene Koalitionsoptionen. Herr Hofreiter, waren auch Sie überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten es bei den Sondierungsgesprächen mit der Union doch gegeben hat?

    Hofreiter: Teilweise war ich ein bisschen überrascht, aber man muss natürlich eins klar machen: Die Gemeinsamkeiten bezogen sich, teilweise wie gesagt ungewöhnlich, gerade von CDU/CSU, auf offene Gesellschaft, auf solche Bereiche wie doppelte Staatsbürgerschaft, da war zumindest Redebereitschaft erkennbar. Aber in anderen Bereichen wie ökologische Modernisierung, und zwar insbesondere bei den Maßnahmen, die echt was bringen würden, konnte man überhaupt keine oder sehr, sehr wenig Gesprächsbereitschaft erkennen.

    Kaess: Dennoch - hätten Sie mit einer solchen Begeisterung der Grünen von der Union gerechnet?

    Hofreiter: Na ja, ich glaube, ein Teil der Begeisterung kam einfach auch zustande, deshalb von manchen Leuten, weil erstens das Gespräch im Vergleich zum Gespräch am Donnerstag viel, viel ernsthafter und viel, viel offener war, und zweitens man durchaus überrascht war, gerade im Bereich offene Gesellschaft, Umgang mit Flüchtlingen, Umgang mit doppelter Staatsbürgerschaft, dass sowohl CDU als auch CSU Gesprächsbereitschaft gezeigt haben.

    Kaess: Haben die Grünen vor der Wahl auf den falschen Partner gesetzt?

    Hofreiter: Nein. Nur weil es eine Gesprächsbereitschaft plötzlich bei CDU/CSU gibt, heißt das ja nicht, dass das jetzt der Partner ist, mit dem man eine höhere Übereinstimmung hat, als wie mit der SPD, sondern die Überraschung war, dass es insbesondere in diesen gesellschaftlichen Fragen Gesprächsbereitschaft gab. Aber das heißt ja nicht, dass dort die Übereinstimmung besonders groß ist.

    Kaess: Wie groß ist jetzt die Hintertür, die sich die Grünen offen lassen wollen für Schwarz-Grün?

    Hofreiter: Die Hintertür ist nicht besonders groß, denn es ist klar, dass, wenn es wirklich scheitern sollte zwischen SPD und CDU/CSU, dann die Union mit einem anderen Angebot kommen müsste. Nämlich das bisherige Angebot haben wir ja klar gesagt, einvernehmlich gesagt, dass wir da der Partei keine Aufnahme von Verhandlungen empfehlen können.

    Kaess: Was ist denn besser an der Oppositionsrolle als der kleinere Koalitionspartner zu sein?

    Hofreiter: Daran ist nicht unbedingt was besser. Aber man geht ja nicht in eine Regierung um der Regierung willen, eine Regierung um der Posten willen, sondern man geht dann in eine Regierung, wenn es inhaltlich stimmt und man den Eindruck hat, dass man für vier Jahre eine stabile, vertrauensvolle Regierung bilden kann. Wenn beides nicht erfüllt ist, dann geht man in die Opposition. Das heißt nicht, dass das unbedingt besser ist, aber Regieren ist kein Selbstzweck.

    Kaess: Schauen wir mal auf die unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema. Winfried Kretschmann oder Cem Özdemir sagen ja durchaus, wir können mit der Union weiter sprechen, falls das mit der SPD doch nicht klappt. Sie haben relativ früh sich für rot-rot-grüne Optionen ausgesprochen. Zeichnet sich da eine Spaltung in der Partei ab?

    Hofreiter: Nein, da zeichnet sich keine Spaltung in der Partei ab. Es haben alle gesagt, nachdem es allein mit rot-grüner Option das dritte Mal nicht geklappt hat, eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, brauchen wir zukünftige Gestaltungsoptionen, und zu den zukünftigen Gestaltungsoptionen gehört Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Aber das heißt natürlich, dass man mit beiden nicht automatisch in eine Regierung kommt, sondern dass man darüber reden muss, dass man sich das anschauen muss, passt es sowohl inhaltlich als auch passt es vom Vertrauen her.

    Kaess: Aber vor dem Wochenende und vor der Bundesdelegiertenkonferenz sieht das allemal überhaupt nicht nach einer Geschlossenheit aus, was die künftigen Optionen betrifft. Es gibt einen Gegenantrag aus Nordrhein-Westfalen, der sagt, man solle Koalitionen mit der CDU ausschließen. Auch Simone Peter und Jürgen Trittin sehen eine schwarz-grünen Option eher skeptisch. Wie soll man denn hier zusammenkommen über mögliche künftige Bündnisse?

    Hofreiter: Es sehen sehr viele Menschen eine schwarz-grüne Option skeptisch. Es haben auch vor den Verhandlungen praktisch alle Teilnehmer der Sondierungsdelegation davon gesprochen, dass sie da skeptisch sind.

    Kaess: Aber es geht ja jetzt am Wochenende darum, gemeinsame Positionen zu finden.

    Hofreiter: Ja, und die gemeinsame Position ist, wenn es inhaltlich und vom Vertrauen her passt, dann kann man mit entsprechend allen reden.

    Kaess: Und da hinein passt auch zum Beispiel eine Initiative aus Brandenburg, die sich dafür ausspricht, dass die Grünen sich für Sondierungsverhandlungen mit SPD und den Linken einsetzen sollten. Von Geschlossenheit kann man da ja wirklich nicht sprechen.

    Hofreiter: Wieso kann man nicht von Geschlossenheit sprechen, wenn sich die ganz große Mehrheit einig ist, dass man mit allen demokratischen Parteien Gespräche führt?

    Kaess: Und einige sagen, man soll es ausschließen. Man soll bestimmte Optionen ausschließen.

    Hofreiter: Die Grünen sind eine große plurale Partei und Sie werden immer auf einem Parteitag mit vielen Hundert Delegierten einige finden, die mit bestimmten Optionen nicht einverstanden sind. Aber ich bin mir sicher, dass die große Mehrheit der Meinung ist, dass man mit allen demokratischen Parteien gesprächsbereit sein muss und dass das mit großer Selbstverständlichkeit dann an den beiden Kriterien gemessen wird, erstens Inhalte und zweitens zuverlässige Regierung.

    Kaess: Herr Hofreiter, bedeuten diese neuen Machtoptionen, die man sich erschließen will, auch keine Lagerwahlkämpfe mehr?

    Hofreiter: Das bedeutet nicht automatisch, dass es nie wieder Lagerwahlkämpfe gibt. Das bedeutet nur, dass man sich sowohl von der Vertrauensbildung, als auch letztendlich von der Vorbereitung her auf neue Machtoptionen einstellt. Eine neue Gestaltungsoption, eine neue Machtoption fällt nicht über Nacht vom Himmel ohne Weiteres, sondern da ist es klug, entsprechend vertrauensvolle Gesprächsbeziehungen in die verschiedensten Richtungen zu haben. Das bedeutet allerdings auch nicht, dass man entsprechend die Inhalte anpasst, sondern das geht ja überhaupt nicht, wenn man in unterschiedlichste Richtungen geht, sondern man versucht, seine Inhalte so stark wie möglich zu machen. Man versucht, für seine Inhalte gesellschaftliche Mehrheiten entsprechend zu gewinnen, und dann sieht man, wie man diese Inhalte, für die man im Idealfall sogar möglichst viele der Inhalte breite gesellschaftliche Mehrheiten geschaffen hat, wie kann man die parlamentarisch Realität werden lassen.

    Kaess: Und wenn wir über Inhalte sprechen, Herr Hofreiter, dann hören wir jetzt aus den Grünen, es soll zurückgehen zu den ureigenen Themen. Wie will man sich denn damit noch profilieren, wenn die Union mit der Energiewende Ihnen eigentlich schon ein Kernthema genommen hat?

    Hofreiter: Es ist erstens ein Irrtum, dass uns die Union mit der Energiewende ein Thema genommen hat, nämlich die Union führt die Energiewende im Moment überhaupt nicht vernünftig durch, sondern die Union ersetzt gerade Atomkraft durch fossile Kraftwerke. Deswegen steigt ja sogar der CO2-Ausstoß letztendlich unseres Stromsystems. Das ist ja einer der Kernkonflikte, warum es nicht geklappt hat nach den Sondierungsgesprächen, dass die Union nicht bereit war, letztendlich den Schalter sozusagen in Richtung wirklich erneuerbare Energien als die Grundlast unseres Energieversorgungssystems zu akzeptieren oder zu pushen, sondern stattdessen weiter auf ein System setzt, wo Großkraftwerke die Grundlast bilden. Und davon, dass wir zurück in die 80er-Jahre wollen, spricht überhaupt kein einziger Mensch, sondern es geht schlichtweg darum, bestimmte Themen wieder stärker in den Vordergrund zu rücken und zum Teil eine andere Ansprache zu nutzen. Wenn wir das Beispiel nehmen Verbotspartei, da eine Ansprache zu nutzen, die letztendlich dazu führt, dass deutlicher wird, dass wir Grünen eine Freiheitspartei sind. Wenn Sie zum Beispiel so Dinge nehmen …

    Kaess: …, sagt Anton Hofreiter. Herr Hofreiter, ich muss leider abbrechen. Wir laufen auf den Programm-Trailer und die Nachrichten zu. – Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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