Heuer: Ein ungleicher Kampf; hat die Regierung schon verloren?
Bohnen: Na ja, jedenfalls muss man feststellen, dass die Situation mittlerweile sehr verfahren ist. Der Kardinalfehler war sicher, dass die Regierung nicht rechtzeitig und zu mutlos die anstehenden Reformen kommuniziert hat. Das kann man eigentlich nur noch kitten beziehungsweise den Diskussionen hinterherlaufen, weil die Reaktion der Bevölkerung und der Medien nicht antizipiert wurde. Der richtige Weg und die richtige Reihenfolge wäre eigentlich gewesen, eine saubere Bestandaufnahme zu machen, in der das Problem beschrieben wird. Dann muss die Notwendigkeit von Reformen kommuniziert werden. Dann werden die Konzepte vorgelegt und begründet, und dann kann es ja von mir aus ruhig zu einer Emotionalisierung kommen. Aber die Realität bei Hartz IV ist, dass die Bevölkerung durch Halbinformation und teilweise durch Fehlinformationen gesteuert ist, durch die Boulevardpresse emotionalisiert worden ist, und für Kommunikationsexperten beziehungsweise in diesem Fall auch für die Bundesregierung ist es natürlich eine denkbar schlechte Situation. Natürlich müssen schon in der Vorbereitung eines Gesetzes kommunikative Fragen gestellt und auch Antworten gesucht werden, aber so funktioniert Politik leider nicht.
Heuer: Also die Regierung ist etwas spät dran. Glauben Sie, dass weniger Leute gegen Hartz IV demonstrieren, wenn sie erst einmal gelesen haben, was ihnen die Bundesregierung zu dem Thema jetzt zu sagen hat?
Bohnen: Das glaube ich. Ich glaube auch, dass die Botschaft, die die Bundesregierung zu verkünden hat im Zusammenhang mit Hartz IV, ja gar nicht so unattraktiv ist. Man hat fast den Eindruck, dass die Bundesregierung ein schlechtes Gewissen hat, diese Themen zu kommunizieren, was natürlich auch daran liegt, dass die eigene Klientel ein Problem damit hat. Generell gilt: Wenn etwas notwendig und gerecht ist, warum soll man das nicht kommunizieren können, warum soll das nicht durchsetzbar sein? Ich glaube schon daran, dass Menschen vernunftbegabt sind, und in unserer Demokratie sowieso. Also ich würde eigentlich die Flucht nach vorne empfehlen und zu sagen, wir brauchen vielmehr Mut, wir sollen voll in die Offensive gehen und mit gutem Gewissen die Reformen erklären. Da muss man weniger Kernbotschaften herausgreifen und pushen. Warum nicht offen sagen, dass es durch Hartz IV einen stärkeren Zwang zur Arbeit gibt, dass dies aber letztlich fair ist, dass es letztlich sozial ist, diese Reform zu machen, weil wir eben an zukünftige Generationen denken müssen?
Heuer: Und so etwas, eine Flucht nach vorne, ließe sich kommunizieren in Zeitungsanzeigen, die jetzt geschaltet werden?
Bohnen: Also ich glaube, dass es dafür fast zu spät. Ich glaube, dass eine gute Kommunikation zwingend darauf angewiesen ist - wir sprechen von politischer Kommunikation -, dass man vorher Grundsatzdebatten führt. Die Bundesregierung hat ja eher eine Ad-hoc-Politik betrieben, eine eigentlich sehr sprunghafte Politik. Man muss sagen, warum Hartz im Grundsatz richtig ist. Wir müssen wieder Grundsatzdebatten in Deutschland führen. Es geht darum, die wesentlichen Errungenschaften des Sozialstaates zu sichern trotz einer dramatischen demografischen Entwicklung, und die Frage ist, wie wir das eigentlich schaffen. Dann könnte man auch andere Fragen stellen, wie schafft man eine lebendige Bürgergesellschaft? Da geht es um eine neue Aufgabenteilung zwischen Staat und Privat, und da muss man neue Argumentationsketten schaffen. Ich glaube, dass die Skandalisierung und die Emotionalisierung von Hartz IV deswegen möglich geworden ist, weil die Menschen die Zusammenhänge und die Entscheidung im Grundsatz nicht verstanden haben beziehungsweise ihnen diese Zusammenhänge nicht vermittelt wurden. Wer Grausamkeiten kommuniziert, muss immer Zusammenhänge aufzeigen und gleichzeitig Perspektiven und Chancen natürlich eröffnen.
Heuer: Kann man denn solche Grundsatzdebatten wie zunächst einmal leeren Begriffen wie Hartz IV oder Agenda 2010 überhaupt führen beziehungsweise gewinnen?
Bohnen: Ja, das ist in der Tat so, dass nicht jeder weiß, was eine Agenda ist, und Hartz ist natürlich auch ein sehr unspezifischer Begriff, der inhaltlich nicht aufgeladen ist, und das ist eine Schwäche, weil man natürlich die Gefahr läuft, dass andere die Interpretation übernehmen, im Zweifel nicht im Sinne der Bundesregierung. Mir fällt jetzt aus der Hüfte kein besserer Name an, vielleicht Aktionsplan für Deutschland, so etwas in der Richtung, dass die Leute wissen, es geht wirklich um Deutschland, es stehen schicksalhafte Entscheidungen an, und es muss wirklich etwas passieren. Hartz und Agenda sind auch ein bisschen beliebig, muss ich sagen.
Heuer: Die jetzige Informationskampagne macht ja Ihre Konkurrenz. Sie haben gerade gesagt, handwerklich wollten Sie sich dazu nicht äußern. Hätten Sie den Auftrag denn gerne selbst übernommen zu diesem späten Zeitpunkt?
Bohnen: Ungern, muss ich sagen. Im Grunde genommen würden wir sehr gerne für die Bundesregierung arbeiten. Das ist jetzt gar keine politische Aussage von unserer Seite, sondern es ist natürlich unwahrscheinlich spannend für jede Agentur, eine solche Kommunikationskampagne durchzuführen. Ich finde aber, dass die Voraussetzungen denkbar schlecht sind für eine Agentur. Insofern würde ich auch gerne eine Lanze brechen für unsere Kollegen eigentlich in dieser Agentur, die diese Kampagne durchführen müssen. Das ist schwer.
Heuer: Die können nicht mehr viel reißen?
Bohnen: Also ich fürchte nicht. Was kann man machen? Also ich glaube, dass man das Thema Solidarität viel stärker rausstreichen muss. Man muss in die Offensive gehen und sagen, der größte Aufschrei gegen Hartz IV kommt eben nicht von den sozial Schwächsten, denn die profitieren eher von dem Gesetz. Die größten Einschnitte gibt es bei denjenigen, die vor ihrer Arbeitslosigkeit gut bis sehr gut verdient haben und denen über die Arbeitslosenhilfe relativ hohe Transferzahlungen zukamen. Also die Arbeitslosenhilfe wird aus Steuermitteln bezahlt, es ist keine Versicherungsleistung. Solche Botschaften müssen immer wieder wiederholt werden. Dann kann man vielleicht auf das Ausland verweisen. Viele Industriestaaten haben ihr Sozialsystem bereits grundlegend umgebaut, teilweise liegt das ja schon zehn Jahre zurück. Dann muss man sich auch überlegen, wer sich noch glaubwürdig für die Hartz-Reform aussprechen kann. Ich habe gerade gehört, dass Bischof Huber gesagt hat, Hartz ist notwendig. Das ist doch eigentlich eine gute Botschaft.
Heuer: Danke für das Gespräch.