Simon: Frau Hermenau, schon vor den Beratungen gähnen potenzielle Milliardenlöcher. Ich nenne nur ein paar: zum Beispiel die zuletzt beschlossenen zusätzlichen Ausgaben für Hartz IV, wo nicht sicher ist, wie die gegenfinanziert werden. Die Mauteinnahmen sind alles andere als sicher. Bei Tabak- und Mineralölsteuer sind die Einnahmen deutlich zurückgegangen. Wie ernst nehmen Sie eigentlich den vorgelegten Haushaltsentwurf?
Hermenau: Den nehme ich schon ernst. Sehen Sie, der Haushalt ist wie schon in den letzten zwei bis drei Jahren eigentlich nur eine Zustandsbeschreibung der Baustelle Deutschland. Es war sicherlich früher leichter, wo man keine Reformen gemacht hatte, etwas genauer zu planen, aber wenn Sie in einigen Bereichen richtige Veränderungen haben, dann können Sie das Verhalten der Bürger nicht auf den Punkt genau vorausberechnen und das bringt Ihnen eine ganze Menge Unsicherheiten ein: zum Beispiel beim Thema, wie viel Zuschuss Sie nach Nürnberg an die Bundesanstalt für Arbeit geben müssen.
Simon: Aber Sie sagen selber, es gibt jetzt schon so viele Dinge, die man absehen kann. Ist es da richtig, so auf Kante zu sägen und zu nähen, wenn man sieht, ein Nachtragshaushalt wird doch unausweichlich? Sollte man da nicht lieber einen ein bisschen großzügigeren Haushaltsentwurf machen?
Hermenau: Da sind wir jetzt aber bei der Kernfrage des Geschäfts. Sie haben nicht viele Möglichkeiten, um die Lage weniger straff zu spannen. Sie können entweder Steuern erhöhen; davon sind wir bei rot-grün weit entfernt. Sie können zur anderen Seite mehr Schulden machen; da steht uns eigentlich nicht nur die EU im Weg und die Stabilität unserer Währung, sondern dort ist auch die Frage, inwieweit wir vielleicht generell mal davon runtergehen sollten, so viele Schulden zu machen. Zum Dritten haben sie eventuell noch die Möglichkeit, Ausgaben zu kürzen; da haben wir jetzt denke ich so viel wie möglich getan in den letzten Jahren und es ist ganz schwer, richtig massiv Ausgaben zu kürzen. Sie sehen ja alleine schon bei der Diskussion zu Hartz IV, was für ein Problem es für die Bevölkerung ist, sich umzustellen.
Simon: Das heißt aber Sie akzeptieren damit einen Haushalt, von dem Sie genau wissen, dass er so nicht bleiben kann?
Hermenau: Genau wissen wir es eben nicht. Das ist genau der Punkt. Sehen Sie es drückt sich ja darin, dass wir so hohe Privatisierungserlöse ausschreiben - 15 Milliarden sollen darüber reinkommen -, eigentlich ein Vertrauen darin aus, dass die Ergebnisse der Reformen positiv verlaufen werden und dass sich die Einnahmeseite - das heißt das Geld, das durch Steuern allgemein reinkommt - durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage wieder erhöht und dass man damit diesen Haushalt nächstes Jahr auch fahren kann. Eigentlich drückt dieser Haushalt aus, dass die Bundesregierung ihren eigenen Reformen vertraut.
Simon: Vertrauen ist gut - Sie kennen den Spruch -, aber Kontrolle ist besser. Reicht Vertrauen in einer so schwierigen Situation?
Hermenau: Wissen Sie etwas Besseres? - Sehen Sie, wir können doch diesen Haushalt nur dann so solide ausrechnen, dass wir keine Risiken darin haben, wenn wir drastisch Ausgaben kürzen. Das müssten mindestens 20 bis 25 Milliarden Euro sein. Wenn sie diesen Haushalt wirklich um diese Summe kürzen wollen, dann machen sie drastische Einschnitte in vielen Bereichen, auch im Sozialbereich. Dafür brauchen wir mitunter auch die Mehrheit im Bundesrat und die sehe ich nicht. Es ist ja nicht so, dass sich die Kooperation der Union in den letzten zwei Jahren zum Segen für das Land ausgearbeitet hätte, sondern die Union hat immer nur dann, wenn sie mit Hunden verfolgt wurde, im letzten Winkel noch ein kleines bisschen was zugegeben, aber im Großen und Ganzen hat sie uns im Regen stehen gelassen, obwohl klar gewesen ist, dass die Probleme, die sich im Bundeshaushalt wiederspiegeln, über 30 Jahre aufgehäuft worden sind und zwar durch alle Parteien, die mal regiert haben.
Simon: CSU-Chef Edmund Stoiber hat jetzt ein sehr plakatives Angebot gemacht. Er hat der Bundesregierung gesagt er würde mitmachen, wenn sie ein Sparpaket durchzöge, und zwar im ersten Schritt pauschal 5 Prozent Ausgabenkürzungen. Was halten Sie davon?
Hermenau: Diesen Vorschlag hat er letztes Jahr schon mal gebracht. Die 5 Prozent Ausgabenkürzungen würden konkret bedeuten, bei der Rente zum Beispiel einen Zuschuss zu kürzen oder Gehälter bei den Beamten zu kürzen. Das kann man alles erwägen, aber das hat Herr Stoiber nicht dazu gesagt und das ist dann schon eine etwas freche Nummer finde ich.
Simon: Das heißt Sie halten das jetzt nur für Wahlkampf?
Hermenau: Ich halte das jetzt für Wahlkampf, ja!
Simon: Sind pauschale Kürzungen per se schlecht?
Hermenau: Pauschale Kürzungen sind oft das letzte Instrument, das man hat, wenn man sich nicht zu einer Entscheidung durchringen kann. Das ist dann die schlechtmöglichste, aber doch immerhin noch durchsetzbare Lösung. Sie haben das am Koch-Steinbrück-Papier gemerkt. Da haben sich zwei Ministerpräsidenten, Herr Koch und Herr Steinbrück, hingesetzt und haben bei allen Subventionen 4 Prozent im ersten Gang runtergekürzt. Da sind aber auch Sachen dabei wie zum Beispiel die Kulturförderung oder andere Sachen wie zum Beispiel Straßenbauinvestitionen oder Schieneninvestitionen, wo man sagt nein, da wollten wir eigentlich gar nicht kürzen. Da hat es aber eben keine Schwerpunktsetzung gegeben und ich beobachte oft, dass die Politik zu feige ist, diese Schwerpunktsetzungen zu machen. Nun hat rot-grün einen Schritt gemacht und Schwerpunkte gesetzt und wird dafür fast aus dem Land getrieben.
Simon: Frau Hermenau, Hans Eichel will und hofft darauf, irgendwie im nächsten Jahr den Stabilitätspakt vielleicht doch zu erfüllen. Das bedeutet nicht mehr als 3 Prozent Neuverschuldung des Bruttoinlandsprodukts. Ist das realistisch und ist das in der Situation wirklich wichtig?
Hermenau: Es wird nur dann funktionieren, wenn die Wirtschaft anzieht. Das ist wie in den letzten drei Jahren auch. Wenn die Wirtschaft nicht anzieht, jedenfalls nicht erheblich, dann werden die 3 Prozent nicht zu halten sein. Das ist genau derselbe Plan wie in den letzten drei Jahren. Nun kann man sagen dreimal ging es schief, warum soll es beim vierten Mal klappen. Insgesamt haben die Wirtschaftsforschungsinstitute und auch die OECD aber Deutschland ein höheres Wachstumspotenzial fürs nächste Jahr bescheinigt, zumal die Arbeitsmarktreformen ja jetzt schon erste Auswirkungen darauf haben, dass Leute verstärkt Arbeit nachsuchen und damit im Prinzip auch die Sozialsicherungssysteme auf diese Weise stabilisiert werden.
Simon: Halten Sie denn diese 3 Prozent auch selber für wichtig?
Hermenau: Ja! Ich halte diese 3 Prozent aber weiterhin für wichtig. Wir haben jetzt ja gehört: es wird Vorschläge geben vom neuen Kommissar Almunia, der Herrn Solbes nachfolgt, aber da auch der Mitarbeiterstab, den Herr Solbes hinterlassen hat, der Meinung ist, dass die vorgeschlagenen Reformen vernünftig sind, gehe ich davon aus, dass es eine Kontinuität in der Diskussion zu den Stabilitätskriterien gibt. Das heißt für mich natürlich auch, dass die 3 Prozent im Prinzip nicht angetastet werden und dass man natürlich bei den Ausführungsbestimmungen Dinge verändern wird. Es klingt im Moment ein bisschen wie ein Extrasondergesetz für den Nachzögling Deutschland, aber ich finde es fair, dass man einrechnet, dass wir 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedes Jahr dafür brauchen, um im Aufbau Ost voranzukommen. Das zu berücksichtigen ist richtig und fair, denn diese Sonderbelastung haben andere europäische Länder nicht.
Simon: Frau Hermenau, wie beurteilen Sie das als Haushälterin, dass sich der Finanzminister, der ja bei all seinen Kollegen immer wieder Geld eintreiben muss, wenn Sie neue Löcher auftun, oft nicht durchsetzen kann wie zum Beispiel bei Gesundheitsministerin Schmidt, die die geforderten zwei Milliarden einfach nicht eingespart hat? Wünschen Sie sich da mehr Durchsetzungsfähigkeit des Ministers?
Hermenau: Na ja, es ist doch nicht so, dass Frau Schmidt völlig ungeschützt den Angriffen des Herrn Eichel ausgesetzt war, sondern der Kanzler hat sich breit dazwischen gestellt. Das darf man nicht vergessen. Ich wünschte mir natürlich, dass Herr Eichel mehr Kompetenzen und Erlaubnis hat, im Kabinett dafür geradezustehen, wie die Finanzen geregelt werden. Wir sehen jetzt am Beispiel der Tabaksteuer, dass bestimmte Vorschläge aus der Fachpolitik auch nicht so richtig funktionieren, weil es eben keine Finanzvorschläge sind, sondern fachpolitische Vorschläge. Ich gehe aber davon aus, dass es daran hängt, wie Herr Eichel selber sich im Kabinett durchsetzt und dass es seine Aufgabe ist, das zu schaffen. Ich weiß aber aus der Erfahrung und Beobachtung, dass jeder Finanzminister immer wieder große Kämpfe auszufechten hat.
Simon: Das war Antje Hermenau, die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch!
Hermenau: Ja, gerne.