Dienstag, 30. April 2024

Paragraf 218
Regierung will "Spaltung der Gesellschaft" über Abtreibung vermeiden

Vertreter der Bundesregierung haben zurückhaltend auf den Bericht der Kommission zur Reform der Abtreibungsregeln reagiert. Die Minister Paus, Lauterbach und Buschmann betonten, die Debatte darüber dürfe nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Die Katholische Kirche äußerte sich besorgt. Pro Familia begrüßte die Empfehlungen dagegen.

16.04.2024
    Die drei stehen an Rednerpulten vor einer blauen Wand mit weißer Schrift. Lauterbach spricht und gestikuliert.
    Familienministerin Lisa Paus (Grüne, li.), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, Mitte) und Justizminister Marco Buschmann (FDP, re.) nehmen Stellung zu den Empfehlungen einer Expertenkommission zu neuen Abtreibungsregeln. (AP / Markus Schreiber)
    In dem mehr als 600 Seiten umfassenden Bericht befasst sich das Gremium im Auftrag der Bundesregierung mit den Themen Schwangerschaftsabbruch, Leihmutterschaft und Eizellenspenden. Demnach halten die Expertinnen und Experten es nicht mehr für haltbar, dass eine Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen grundsätzlich rechtswidrig ist. Auch in der mittleren Phase der Schwangerschaft sehen sie für den Gesetzgeber Gestaltungsspielraum. Wenn eine Fortsetzung der Schwangerschaft aus medizinischen Gründen oder beispielsweise nach einer Vergewaltigung unzumutbar sei, müsse ein Abbruch auch hier legal sein, heißt es in dem Bericht.

    Katholische Bischöfe besorgt

    Die Katholische Kirche in Deutschland äußerte sich besorgt: Die geltende Rechtslage schütze sowohl Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau als auch das ungeborene Kind, teilte die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn mit. Die Ergebnisse zur Neukonzeption des Schwangerschaftsabbruchs betrachte man als zu einseitig. Vorgeburtlichem Leben komme nach christlicher Auffassung der gleiche Schutz und die gleiche Würde zu wie einem geborenen Menschen.

    Pro Familia: "Neuregelung angebracht".

    Der Bundesverband Pro Familia begrüßte die Empfehlung. Die stellvertretende Vorsitzende Schlitt sagte im Deutschlandfunk, das geltende Gesetz habe problematische Konsequenzen für Schwangere, Beraterinnen und Ärztinnen. Daher sei eine Neuregelung angebracht. Schwangerschaftsabbrüche würden stigmatisiert. Es gehe jetzt darum, die medizinische Versorgung und die gesellschaftliche Akzeptanz zu verbessern.

    Bericht ist für die Regierung nicht bindend

    Die Regierung will sich nun Zeit nehmen, den Bericht zu prüfen. Die wissenschaftliche Expertise sei eine wesentliche Hilfe, um die komplexen Fragen zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzung zu beantworten, erklärte Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) nach der Vorstellung in Berlin. Am Ende brauche es dafür aber einen breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens.
    Familienministerin Paus (Grüne) bezeichnete die Empfehlungen der Kommission als "gute Grundlage für den nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs".
    Die Bundesregierung hatte die Expertenkommission eingesetzt und muss nun entscheiden, ob sie Gesetzentwürfe zu den verschiedenen Themenbereichen vorlegt. Das Gremium bestand aus 18 Expertinnen und Experten etwa aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Ethik und Rechtswissenschaften.

    Abschaffung des Paragrafen 218?

    Die Kommission äußert sich in ihrem Bericht nicht eindeutig zu der Forderung vor allem der Frauenbewegung, Paragraf 218 komplett aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Bundesjustizminister Buschmann (FDP) sprach von einer "äußerst anspruchsvollen rechtlichen, aber vor allem auch ethisch äußerst sensiblen und bedeutsamen Frage". Gegnerinnen und Gegner des Paragrafen sehen darin eine Stigmatisierung der betroffenen Frauen, die darüber hinaus die Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen erschwere.
    Der bisherige deutsche Kompromiss gilt vielen mittlerweile als überholt. Zuletzt hatte das Europäische Parlament in Brüssel dafür gestimmt, das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta aufzunehmen. In einer entsprechenden Resolution heißt es, Schwangerschaftsabbrüche sollten in der EU vollständig legalisiert werden. Frankreich hat das Recht auf Abtreibung vor kurzem in die Verfassung aufgenommen - als erstes Land der Welt.
    Mehr Hintergründe zu der Diskussion über das Abtreibungsrecht finden Sie hier.

    Leihmutterschaft und Eizellspenden

    Beim Thema reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin kamen die Fachleute zu dem Schluss: Eizellspenden sollten - anders als bisher - zugelassen werden. Bisher ist das Verfahren in Deutschland verboten - mit dem Argument, das Kind könne Schäden davon tragen, wenn die soziale und die genetische Mutter nicht dieselben seien. Diese Begründung sei nicht mehr stichhaltig, sagte die Koordinatorin dieser Arbeitsgruppe, Claudia Wiesemann, von der Universität Göttingen.
    Festhalten könnten die Gesetzgeber aber am Verbot der Leihmutterschaft, hieß es weiter. In bestimmten Fällen sei auch ein Legalisierung zulässig, zum Beispiel wenn Eltern und Leihmutter durch ein familiäres Verhältnis verbunden seien.

    Mehr zum Thema

    Leihmutterschaft - 100.000 Euro für ein Kind im Ausland
    Diese Nachricht wurde am 16.04.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.