Wenn Frauen in Deutschland abtreiben, machen sie sich strafbar, werden in der Regel aber nicht bestraft. Um diesen Widerspruch herum gibt es eine gesellschaftspolitische Debatte, in der sich - grob skizziert - zwei Lager gegenüberstehen: Das eine will Abtreibungen entkriminalisieren, das andere plädiert dafür, die Rechtslage so zu lassen, wie sie im Moment ist.
Die Bundesregierung hatte zu dieser Frage eine Expertenkommission eingesetzt: Diese empfahl im April 2024 die Entkriminalisierung von Abtreibungen. Von vielen mit dem Thema beschäftigten Verbänden kommen ähnliche Forderungen. Auch die Grünen sind dafür. CDU, katholische Kirche und Caritas stehen auf der anderen Seite - auch die FDP will die bisherige Regelung beibehalten.
Mit einer baldigen Gesetzesänderung ist vor diesem Hintergrund eher nicht zu rechnen. Justiz-, Gesundheits- und Familienministerium haben angekündigt, sich Zeit nehmen zu wollen, um die Vorschläge der Kommission zu prüfen. Die Debatte dürfe nicht zu einer neuen gesellschaftlichen Spaltung führen, hieß es.
Inhalt
- Wie ist die derzeitige rechtliche Lage in Deutschland?
- Was hat die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission empfohlen?
- Wie reagieren Parteien, Kirchen und Verbände auf Überlegungen, Abtreibungen zu entkriminalisieren?
- Was hat die Bundesregierung bisher getan, um den Umgang mit Abtreibungen zu verändern?
- Wie läuft ein Schwangerschaftsabbruch ab?
- Wie denken die Bürgerinnen und Bürger über die mögliche Änderung des Paragrafen 218?
Wie ist die derzeitige rechtliche Lage in Deutschland?
Derzeit gelten für Abtreibungen die in Paragraf 218 des Strafgesetzbuches festgeschriebenen Regeln. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig.
Er bleibt jedoch straffrei, wenn er in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vorgenommen wird. Die schwangere Frau muss sich außerdem zuvor beraten lassen. Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung und bei Gefahren für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren.
Als grundlegend für den hiesigen Umgang mit Abtreibungen gilt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Damals kippte das Gericht eine im Jahr zuvor vom Bundestag beschlossene gesamtdeutsche Fristenregelung. Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben - auch das ungeborene - zu schützen, hieß es aus Karlsruhe.
Was hat die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission empfohlen?
Die Bundesregierung hat 2023 eine Expertenkommission eingesetzt, um zu klären, ob Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden sollen. 15 Frauen und drei Männer aus den Bereichen Ethik, Medizin und Recht wurden berufen.
Die Expertinnen und Experten haben empfohlen, Abtreibungen künftig in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen grundsätzlich zu erlauben. Ein generelles Verbot der Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft sei nicht haltbar. Die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch hielten einer „verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung“ nicht stand.
In der mittleren Phase der Schwangerschaft – etwa von Woche zwölf bis 22 – könne der Gesetzgeber entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Abtreibung straffrei sein soll. Sobald der Fötus eigenständig lebensfähig ist, sollen Abbrüche nach Ansicht der Kommission weiterhin verboten bleiben. Diese Grenze liege ungefähr in der 22. Schwangerschaftswoche. Bei einer Vergewaltigung oder falls medizinische Indikatoren vorliegen, soll es demnach weiterhin Ausnahmen geben - auch in späteren Phasen der Schwangerschaft. Die Entscheidungen des Gremiums fielen einstimmig.
Wie reagieren Parteien, Kirchen und Verbände auf Überlegungen, Abtreibungen zu entkriminalisieren?
Grob skizziert treten Liberale und Linke in der Abtreibungsdebatte eher für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein, Konservative für den Schutz des ungeborenen Lebens. Die Unionsfraktion im Bundestag hat bereits mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht, sollte die Ampel-Regierung der Empfehlung der Expertenkommission folgen.
Die beiden großen Kirchen in Deutschland vertreten konträre Positionen: Nach Überzeugung der katholischen Bischöfe muss der Schwangerschaftsabbruch weiterhin Straftatbestand bleiben. Eine andere Regelung kann ihrer Meinung nach nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens ausreichend gewährleisten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kann sich laut einer Stellungnahme hingegen zwar keine „vollständige Entkriminalisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs, aber eine teilweise Streichung der strafrechtlichen Vorschriften vorstellen. Eine Abtreibung könnte demnach erst ab der 22. Schwangerschaftswoche strafbar sein. Das Papier des EKD-Rates ist allerdings auch in der evangelischen Kirche selbst umstritten.
Die Bundesregierung will eine Polarisierung vermeiden
Inzwischen haben 26 Verbände, die sich mit dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigen, einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie plädieren dafür, Paragraf 218 komplett aus dem Strafgesetzbuch zu streichen: Ein Abbruch soll demnach bis zur 22. Woche möglich sein und von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Zu den beteiligten Verbänden gehören unter anderem das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, der Deutsche Frauenrat, Pro Familia, der Deutsche Juristinnenbund sowie Terre des Femmes.
Die Bundesregierung muss nun entscheiden, ob sie auch selbst einen Gesetzentwurf vorlegt. Schnell wird das wohl nicht passieren, der Ampel-Regierung scheint es wichtig zu sein, eine Polarisierung bei dem Thema zu vermeiden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei daran gelegen, dass die Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde, so die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Ähnlich zurückhaltend äußerten sich Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
Was hat die Bundesregierung bisher getan, um den Umgang mit Abtreibungen zu verändern?
Bundesfamilienministerin Paus hatte zuletzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der schwangere Frauen vor Belästigungen durch Abtreibungsgegnerinnen und -gegner schützen soll. Diesen droht ein Bußgeld von bis 5.000 Euro, wenn sie schwangere Frauen beispielsweise auf Gehsteigen vor Arztpraxen bedrängen. Das Gesetz wurde von Bundestag und -rat beschlossen.
Das Durchführen von Schwangerschaftsabbrüchen soll außerdem nach Medienberichten verbindlicher Bestandteil des Medizinstudiums in Deutschland werden. Eine Reform der Approbationsordnung für Ärzte könnte außerdem dazu führen, dass medizinische, rechtliche und ethische Aspekte der Abtreibung Thema bei der ärztlichen Prüfung werden.
Im Juni 2022 hatte der Bundestag bereits die ersatzlose Streichung des sogenannten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche (§219a StGB) beschlossen. Davor hatten sich Ärzte strafbar gemacht, wenn sie öffentlich Informationen - zum Beispiel auf ihrer Webseite - über den Ablauf und die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen bereitstellten.
Wie läuft ein Schwangerschaftsabbruch ab?
Es gibt verschiedene Wege, die Schwangerschaft gemäß der geltenden Rechtslage abzubrechen. Nach einer Beratung und einer dreitägigen Bedenkzeit sei ein Abbruch sowohl medikamentös als auch operativ möglich, sagt Matthias David, geschäftsführender Oberarzt an der Frauenklinik der Charité Berlin.
Informationen gibt es unter anderem auf der Internetseite der Organisation "Doctors for Choice Germany". Das ist laut Selbstauskunft "ein deutschlandweites Netzwerk von Ärzt*innen und Medizinstudierenden". Studien des Projektes "Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer" legen nahe, dass es in Deutschland ein regionales Informations- und Versorgungsproblem bei Abbrüchen gibt. Demnach ist es in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für Schwangere nicht einfach, einen Termin für einen Abbruch zu bekommen.
Wie denken die Bürgerinnen und Bürger über die mögliche Änderung des Paragrafen 218?
Zu dieser Frage gibt es sehr widersprüchliche Umfragen. Nach einer Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF aus dem Mai 2023 ist eine Mehrheit der Menschen in Deutschland dafür, Abtreibung weiterhin als Straftat einzustufen. Demnach wollten 54 Prozent der Befragten, dass der Paragraf 218 erhalten bleibt. 36 Prozent votierten für seine Abschaffung; rund drei Prozent forderten eine Verschärfung.
IEine aktuelle Forsa-Umfrage, die anlässlich des Kommissionsberichts durchgeführt wurde, kommt zum genau gegenteiligen Ergebnis: Eine Mehrheit der Bevölkerung (72 Prozent) ist für eine Legalisierung von Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen.
Zu einem ähnlichen Aussage kommt eine Umfrage aus dem Dezember 2022, erstellt vom Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS): Hier sprachen sich 83 Prozent der Befragten für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch aus.
Bei einer INSA-Umfrage im Auftrag der katholischen „Tagespost“ vom Juni 2023 waren es wiederum 68 Prozent der Befragten, die wollten, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr als Straftatbestand gewertet wird. Nur 19 Prozent waren dafür, den Paragraf 218 zu erhalten.
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