Engels: Am Telefon ist jetzt Professor Anton Pelinka. Er ist Politologe an der Universität Innsbruck. Wir erreichen ihn derzeit in Wien. Guten Tag, Herr Pelinka!
Pelinka: Guten Tag!
Engels: Die meisten Beobachter gehen von Neuwahlen in Wien aus. Sie auch?
Pelinka: Nach allem, was wir jetzt in diesen Stunden mitbekommen, dass die Unterschiede zwischen den beiden Regierungsparteien immer tiefer werden, insbesondere weil ja auch die Freiheitliche Partei mit der Resolution am Delegiertentag vom Samstag die EU-Erweiterung in Frage gestellt hat. Damit trifft sie ein Herzstück dieser Regierung und vor allem ein Herzstück der Österreichischen Volkspartei. Das heißt, es könnte noch so ausgehen, dass in der ÖVP doch noch ein Versuch riskiert wird mit der neuen Freiheitlichen Führung, aber ich halte das dann für ein Hinauszögern dessen, was offensichtlich jetzt die meisten schon als unabwendbar sehen, nämlich ein vorzeitiges Ende dieser Koalition.
Engels: Bislang hatte es Kanzler Schüssel immer noch einmal geschafft, die FPÖ zumindest soweit zur Räson zu bringen, dass gerade die Frage rund um EU-Beitritte von Beitrittskandidaten nicht mehr Thema war. Wird das dieses Mal nicht mehr gelingen?
Pelinka: Anfang 2003 wird Österreich sich vermutlich festlegen müssen, Ja zu sagen zur EU-Erweiterung oder Nein. Und da gibt es dann keinen Kompromiss mehr, kein Hinausschieben. Und offenkundig will Haider unbedingt vermeiden, dass die Freiheitliche Partei als Regierungspartei Ja sagt. Um das zu vermeiden, ist er auch bereit, die Regierungsbeteiligung zu opfern. Haider will offenkundig in seiner Anti-EU-Position glaubwürdig bleiben. Dafür ist er bereit, auch zu riskieren, dass er seine Regierungsfähigkeit einbüßt.
Engels: Welche Folgen, Sie haben es ja schon angedeutet, die mögliche Einbuße der Regierungsfähigkeit, aber welche weiteren Folgen sehen Sie denn für die FPÖ, wo jetzt offenbar wieder Jörg Haider das Ruder an sich ziehen will? Wird das eher aus dem Umfragetief, in dem die FPÖ ja derzeit steckt, helfen, das heißt: Rechnen Sie da mit Auftrieb?
Pelinka: Mit einem leichten vielleicht. Ich wäre sehr vorsichtig, die Strahlekraft Jörg Haiders ist sicherlich nicht mehr die, die sie einmal war. Schon bei den Wiener Wahlen 2001, als er zwar nicht Kandidat war, aber gekämpft hat, als wäre er Spitzenkandidat, hat die Freiheitliche Partei schwere Einbrüche erlitten. Das heißt, das Rezept Haider reicht nicht mehr aus, um die Freiheitliche Partei auf der Größe zu halten, zu der sie 1999 angewachsen war, nämlich fast 27 Prozent der Wählerstimmen. Auch mit Haider wird die Freiheitliche Partei froh sein müssen, wenn sie noch 20 Prozent erreicht.
Engels: Sehen Sie denn möglicherweise eine Spaltung der FPÖ voraus, wo sich ja jetzt die Flügel deutlich voneinander entfernt haben?
Pelinka: Diejenigen, die jetzt gehen und resignieren, die nehmen offenkundig kein relevantes Wählersegment mit. Das heißt, diejenigen, die jetzt von der FPÖ weggehen, gehen entweder in die Wahlverweigerung oder sie wählen ÖVP oder Sozialdemokraten. Ich sehe wenig bis keine Chancen, dass es eine abgespaltene Freiheitliche Partei gibt, die ein ernsthafter Faktor ist.
Engels: Blicken wir auf den anderen Koalitionspartner, nämlich die ÖVP. Sie hat ja unter großen internationalen Protesten seinerzeit die rechtspopulistische FPÖ erst regierungsfähig gemacht und steht nun vor einem Scherbenhaufen.
Pelinka: Die ÖVP ist, was die demoskopischen Befunde betrifft, nicht schlecht. Sie hat leicht zugelegt gegenüber 1999. Dennoch die Strategie, mit der Freiheitlichen Partei eine sogenannte Wende herbeizuführen, schein gescheitert zu sein. Wir dürfen aber nicht unterschätzen, dass die ÖVP, dadurch dass sie das erste Mal seit 1970 den Regierungschef gestellt hat, so etwas wie ein Erfolgserlebnis mit diesen zwei Jahren gemeinsamen Regierens gehabt hat. Und es wird der ÖVP schwer fallen, sich einzugestehen, dass es gescheitert ist.
Engels: Welche Bilanz ziehen Sie denn nach diesen Jahren der ÖVP/FPÖ-Koalition, möglicherweise ist es erst ein vorläufiges Fazit: Ist denn die Entzauberung von Jörg Haider gelungen?
Pelinka: Sie ist wahrscheinlich teilweise gelungen, nämlich die Freiheitliche Partei hat zeigen können, dass sie als Regierungspartei eben offenkundig nicht Stabilität vermitteln kann. Aber umgekehrt ist eben auch nicht gelungen, Jörg Haider zu domestizieren. Das heißt, er hat verhindert, dass die Freiheitliche Partei zu einer normalen Mitte-Rechts-Partei wird wie andere Parteien auch. Sie ist weiterhin eine Außenseiter-Partei, allerdings vermutlich auf einem niedrigeren Niveau als dies vor drei Jahren der Fall war.
Engels: Noch ganz kurz zum Schluss: Die Chancen für die ÖVP bei Neuwahlen stehen besser als vorher? Und welche Rolle könnte dann die SPÖ spielen?
Pelinka: Die ÖVP hat gute Chancen, sich in Richtung 30 Prozent zu bewegen. Mehr wahrscheinlich nicht. Nach allem, was wir wissen, wird die Sozialdemokratie wieder deutlich zur stärksten Partei werden. Die Frage ist, ob die, an sich von vielen gewünschte, rot-grüne Option in Österreich aufgeht, ob sie dann auch genützt wird. Oder ob die Sozialdemokratie als die dann vermutlich entscheidende Partei nicht doch auch der ÖVP ein Angebot macht. Wahrscheinlich könnte es aufgrund des Porzellans, das im zwischenmenschlichen Bereich zerbrochen ist, nur eine ÖVP unter neuer Führung sein.
Engels: Vielen Dank. Wir sprachen mit Anton Pelinka. Er ist Politologe an der Universität Innsbruck. Wir bedanken uns für das Gespräch.
Pelinka: Dankeschön!
Pelinka: Guten Tag!
Engels: Die meisten Beobachter gehen von Neuwahlen in Wien aus. Sie auch?
Pelinka: Nach allem, was wir jetzt in diesen Stunden mitbekommen, dass die Unterschiede zwischen den beiden Regierungsparteien immer tiefer werden, insbesondere weil ja auch die Freiheitliche Partei mit der Resolution am Delegiertentag vom Samstag die EU-Erweiterung in Frage gestellt hat. Damit trifft sie ein Herzstück dieser Regierung und vor allem ein Herzstück der Österreichischen Volkspartei. Das heißt, es könnte noch so ausgehen, dass in der ÖVP doch noch ein Versuch riskiert wird mit der neuen Freiheitlichen Führung, aber ich halte das dann für ein Hinauszögern dessen, was offensichtlich jetzt die meisten schon als unabwendbar sehen, nämlich ein vorzeitiges Ende dieser Koalition.
Engels: Bislang hatte es Kanzler Schüssel immer noch einmal geschafft, die FPÖ zumindest soweit zur Räson zu bringen, dass gerade die Frage rund um EU-Beitritte von Beitrittskandidaten nicht mehr Thema war. Wird das dieses Mal nicht mehr gelingen?
Pelinka: Anfang 2003 wird Österreich sich vermutlich festlegen müssen, Ja zu sagen zur EU-Erweiterung oder Nein. Und da gibt es dann keinen Kompromiss mehr, kein Hinausschieben. Und offenkundig will Haider unbedingt vermeiden, dass die Freiheitliche Partei als Regierungspartei Ja sagt. Um das zu vermeiden, ist er auch bereit, die Regierungsbeteiligung zu opfern. Haider will offenkundig in seiner Anti-EU-Position glaubwürdig bleiben. Dafür ist er bereit, auch zu riskieren, dass er seine Regierungsfähigkeit einbüßt.
Engels: Welche Folgen, Sie haben es ja schon angedeutet, die mögliche Einbuße der Regierungsfähigkeit, aber welche weiteren Folgen sehen Sie denn für die FPÖ, wo jetzt offenbar wieder Jörg Haider das Ruder an sich ziehen will? Wird das eher aus dem Umfragetief, in dem die FPÖ ja derzeit steckt, helfen, das heißt: Rechnen Sie da mit Auftrieb?
Pelinka: Mit einem leichten vielleicht. Ich wäre sehr vorsichtig, die Strahlekraft Jörg Haiders ist sicherlich nicht mehr die, die sie einmal war. Schon bei den Wiener Wahlen 2001, als er zwar nicht Kandidat war, aber gekämpft hat, als wäre er Spitzenkandidat, hat die Freiheitliche Partei schwere Einbrüche erlitten. Das heißt, das Rezept Haider reicht nicht mehr aus, um die Freiheitliche Partei auf der Größe zu halten, zu der sie 1999 angewachsen war, nämlich fast 27 Prozent der Wählerstimmen. Auch mit Haider wird die Freiheitliche Partei froh sein müssen, wenn sie noch 20 Prozent erreicht.
Engels: Sehen Sie denn möglicherweise eine Spaltung der FPÖ voraus, wo sich ja jetzt die Flügel deutlich voneinander entfernt haben?
Pelinka: Diejenigen, die jetzt gehen und resignieren, die nehmen offenkundig kein relevantes Wählersegment mit. Das heißt, diejenigen, die jetzt von der FPÖ weggehen, gehen entweder in die Wahlverweigerung oder sie wählen ÖVP oder Sozialdemokraten. Ich sehe wenig bis keine Chancen, dass es eine abgespaltene Freiheitliche Partei gibt, die ein ernsthafter Faktor ist.
Engels: Blicken wir auf den anderen Koalitionspartner, nämlich die ÖVP. Sie hat ja unter großen internationalen Protesten seinerzeit die rechtspopulistische FPÖ erst regierungsfähig gemacht und steht nun vor einem Scherbenhaufen.
Pelinka: Die ÖVP ist, was die demoskopischen Befunde betrifft, nicht schlecht. Sie hat leicht zugelegt gegenüber 1999. Dennoch die Strategie, mit der Freiheitlichen Partei eine sogenannte Wende herbeizuführen, schein gescheitert zu sein. Wir dürfen aber nicht unterschätzen, dass die ÖVP, dadurch dass sie das erste Mal seit 1970 den Regierungschef gestellt hat, so etwas wie ein Erfolgserlebnis mit diesen zwei Jahren gemeinsamen Regierens gehabt hat. Und es wird der ÖVP schwer fallen, sich einzugestehen, dass es gescheitert ist.
Engels: Welche Bilanz ziehen Sie denn nach diesen Jahren der ÖVP/FPÖ-Koalition, möglicherweise ist es erst ein vorläufiges Fazit: Ist denn die Entzauberung von Jörg Haider gelungen?
Pelinka: Sie ist wahrscheinlich teilweise gelungen, nämlich die Freiheitliche Partei hat zeigen können, dass sie als Regierungspartei eben offenkundig nicht Stabilität vermitteln kann. Aber umgekehrt ist eben auch nicht gelungen, Jörg Haider zu domestizieren. Das heißt, er hat verhindert, dass die Freiheitliche Partei zu einer normalen Mitte-Rechts-Partei wird wie andere Parteien auch. Sie ist weiterhin eine Außenseiter-Partei, allerdings vermutlich auf einem niedrigeren Niveau als dies vor drei Jahren der Fall war.
Engels: Noch ganz kurz zum Schluss: Die Chancen für die ÖVP bei Neuwahlen stehen besser als vorher? Und welche Rolle könnte dann die SPÖ spielen?
Pelinka: Die ÖVP hat gute Chancen, sich in Richtung 30 Prozent zu bewegen. Mehr wahrscheinlich nicht. Nach allem, was wir wissen, wird die Sozialdemokratie wieder deutlich zur stärksten Partei werden. Die Frage ist, ob die, an sich von vielen gewünschte, rot-grüne Option in Österreich aufgeht, ob sie dann auch genützt wird. Oder ob die Sozialdemokratie als die dann vermutlich entscheidende Partei nicht doch auch der ÖVP ein Angebot macht. Wahrscheinlich könnte es aufgrund des Porzellans, das im zwischenmenschlichen Bereich zerbrochen ist, nur eine ÖVP unter neuer Führung sein.
Engels: Vielen Dank. Wir sprachen mit Anton Pelinka. Er ist Politologe an der Universität Innsbruck. Wir bedanken uns für das Gespräch.
Pelinka: Dankeschön!