Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Regina Dieterle: "Theodor Fontane"
"Schlachten waren ein Faszinosum für Fontane"

Der Befreiungskrieg sei für Theodor Fontanes Leben prägend gewesen, erklärte die Autorin Regina Dieterle im Dlf. Sie hat eine Biografie des Schriftstellers veröffentlicht. Fontane habe immer wieder Schlachtfelder aufgesucht, darüber geschrieben - und mehr Kriegsbücher als Romane verfasst.

Regina Dieterle im Gespräch mit Miriam Zeh | 18.10.2018
Buchcover: Regina Dieterle: „Theodor Fontane“
Wie sein Vater erlernte Theodor Fontane zunächst den Beruf des Apothekers (Buchcover: Hanser Verlag, Foto: imago stock&people/ Manja Elsässer)
Miriam Zeh: Frau Dieterle, in Ihrem neuen Buch nehmen Sie sowohl Fontanes Leben als auch sein literarisches und journalistisches Werk in den Blick. Diese umfassende Biografie ist das Ergebnis einer zehn Jahre langen Recherche in Bibliotheken und Archiven. Wo beginnt man als Biographin, wenn man nach einer authentischen Perspektive auf einen so vielinterpretierten Schriftsteller wie Theodor Fontane sucht?
Regina Dieterle: Das habe ich mich auch gefragt! Ich habe, als ich diesen Auftrag bekommen habe - denn der Hanser Verlag hat angeregt, dass ich das mache - mir überlegt: Wie gehe ich da ran? Ich kannte ja schon Vieles von Fontane und habe auch schon Anderes vorgelegt zu ihm. Und ich hatte einfach das Gefühl: Jetzt muss ich nochmals von vorne beginnen und bin zu allererst in sein Werk gegangen und habe nochmals gelesen und geschaut: Wo kann ich einhaken?
Zeh: Sie beginnen Ihre Biografie nicht mit der Geburt Fontanes im Jahr 1819, sondern Ihr Buch setzt einige Jahre früher ein - und zwar im Kriegswinter 1812/1813. In diesem Winter dringt auch zur preußischen Bevölkerung die Nachricht vor, dass die Grande Armée während Napoleons Russlandfeldzug vernichtend geschlagen wurde. Von den Befreiungskriegen gegen die französische Vorherrschaft in Europa wird Theodor Fontane von seinem Vater erzählt bekommen. Der Krieg spielt aber auch bald eine Rolle in Theodor Fontanes eigenem Leben. In welchen Positionen erlebt Fontane die kriegerischen Auseinandersetzung des langen 19. Jahrhunderts?
Dieterle: Ich glaube erstens, dass dieser Befreiungskrieg, den der Vater miterlebt hat, seine Kindheit, überhaupt sein Leben geprägt hat. Da ist sicher ein Kriegstrauma beim Vater zurückgeblieben. Und von da an werden eigentlich alle historischen Schlachten, alles, was mit Krieg zu tun hat, zum eigenen Faszinosum für Fontane. Er wandert dann auch als junger Apothekergehilfe die Schlachtfelder ab. Das beginnt schon sehr früh und das setzt sich eigentlich sein Leben lang fort. Und dann ist es für ich ihn ganz klar, als die Bismarckkriege beginnen 1864 - das muss er sehen, wenn denn ein Auftrag kommt. Und der Auftrag war da, dass er als Kriegsjournalist nach Düppel gehen solle und davon berichten. Und dann haben eigentlich diese Bismarck’schen Kriegsjahre sein Leben bestimmt, denn da wurde er unter anderem auch Kriegsbuchautor.
"Schlachten und Kriege waren ein Faszinosum für Fontane"
Zeh: Diese sogenannten Kriegsbücher geben Sie ja eine ganz besondere Rolle in Ihrer Biografie. Was hat es mit denen auf sich?
Dieterle: Ich habe die auch wirklich erst jetzt für mich entdeckt. Die Romane sind ja ein schmaler Teil. Daneben nehmen die Kriegsbücher umfangmäßig einen größeren Teil ein. Und kann er hier auch anwenden, was er als Journalist schon längst kann und als Historiker – denn er begreift sich einerseits auch als Historiker, nicht nur als Schriftsteller. Er kann also zeigen: Wie schreibt man eigentlich ein Kriegsbuch, das man auch lesen will? Seine Leser waren hier die älteren Gymnasiasten. Denn die Schulen haben diese Kriegsbücher dann angeschafft. Und er erzählt wirklich die einzelnen Schlachten recht anschaulich. Ich bin gar nicht in diesem Feld bewandert, aber sogar ich habe zu verstehen begonnen, was dieser Krieg bedeutet und wie er von sich geht.
Und da werden eben nicht nur Schlachten geschildert, sondern auch die Lazarette. Wenn man Fontane folgt auf den Kriegsbücherspuren, dann entdeckt man auch, dass er hier als Apotheker, als Humanist immer auch schaut: Was geschieht eigentlich in den Lazaretten? Und das ist etwas ganz anderes als 1813. Denn 1864, da beginnt das Rote Kreuz aktiv zu werden. Und das ist übrigens nicht die einzige Organisation, die sich jetzt um Verwundete und Gefallene kümmert, sondern unter anderem das Rote Kreuz, aber auch Bethanien, wo Fontane einst Apotheker war.
Zeh: Fontane beginnt sich schon mit 20 Jahren, kurz nach seiner Ausbildung zum Apotheker, als "freier Schriftsteller" zu bezeichnen und führt eine Art schriftstellerisches Doppelleben. Er hat also immer auch diesen Wunsch, literarische Texte zu schreiben. Seine erste Veröffentlichung – der Roman "Vor dem Sturm" – liegt dann aber erst vor, als der Autor bereits fast 60 Jahre alt ist. Was gibt Fontane diesen langen Atem, dieses literarische Schreiben nie aufzugeben?
Dieterle: Das hat mich genau interessiert! Es ist ja – auf den ersten Blick – ein disparates Werk. Und wie kommt es, dass es am Ende so konzentriert ist auf die Romane? Es sind eben Teile, die den breiten Fontane zeigen, das alles wächst am Ende zusammen. Schreiben ist immer seine Passion – in welcher Form auch immer. Sei das Lyrik, seien das Balladen, seien das Prosatexte, seien das journalistische Texte, die er recht leicht zusammenkleistert aus anderen Texten. In dem Sinne ist er eigentlich immer mit Schreiben befasst. Aber er ist auch Kritiker - nicht nur Theaterkritiker, sondern auch Literarturkritiker und er ist ein sehr kritischer Leser. Das heißt, den Roman hat er eigentlich schon lange im Kopf. Er schleppt auch immer irgendein Manuskript mit sich herum. Aber er ist als Künstler eben einer, der sehr unzufrieden ist mit der Romanproduktion seiner Zeit, jedenfalls was das Deutschsprachige betrifft. Er sieht oft eigentlich Eintagsfliegen, wenn er die Romane bespricht, und hat einen ganz anderen Anspruch an den Roman. Und das gibt ihm den großen Atem: Er hat einen großen Anspruch an sich selbst.
"Die Fontanes haben eine sehr interessante Ehe geführt"
Zeh: Ganz sicher ja aber auch dank der Unterstützung seiner Frau, die ja teilweise ganze Umzüge nach London organisiert ohne seine Hilfe.
Dieterle: Ja, das ist richtig. Also er hat so Glück gehabt mit Emilie! Das war eine emanzipierte Frau. Die hat ihr Leben mit allen Krisen, die dazugehören, sehr gut gemeistert. Ich finde, sie war die Praktische. Er hat manchmal die Bodenhaftung verloren und sie hat ihm diese Bodenhaftung immer wieder gegeben. Die Fontanes haben eine sehr interessante Ehe geführt, gar nicht bürgerlich im konventionellen Sinne. Und sie war seine Mitarbeiterin in allen Belangen, von Anfang an. Sie hat ja alle Texte, nicht nur die Romane, sogar die Kriegsbücher, sie hat alles ins Reine geschrieben. Er dankt es ihr auch ganz zuletzt in seinem großen autobiographischen Werk "Von Zwanzig bis Dreißig". Da sagt er es ganz deutlich, was sie für ihn geleistet hat. Er hätte es nicht gekonnt ohne sie.
Zeh: Es gibt eine Enttarnung in Ihrer Biografie, die ich ganz besonders amüsant fand zu lesen. Seinen zeitgenössischen Leserinnen und Lesern, aber auch vielen Hörerinnen und Hörern dürfte sich Theodor Fontanes körperliche Erscheinung so eingeprägt haben, wie Carl Breitbach den Autor 1883 portraitiert hat. Auf seinem Bild sehen wir einen schon etwas angegrauten Herren mit einem vollen Schnurrbart, aufrecht sitzend in dunkler Festtagskleidung. Fontane blickt direkt zum Betrachter, in der Linken ein Buch und in der rechten Hand hält er eine Schwanenfeder, die an der Spitze noch ganz dunkel ist von Tinte. Mit diesem Bild stimmt nun etwas nicht, sagen Sie. Was stimmt da nicht?
Dieterle: Es ist im Prinzip ein Sonntagsbild, das heißt, Fontane hat natürlich die Schwanenfeder wirklich benutzt. Und er konnte sie auch schreiben. Das ist eine schwere Feder, da braucht man eine große Hand, muss große Schwünge machen, muss sehr sicher sein im Schreiben. Aber die Schwanenfeder war natürlich längst außer Kurs. Man hat zu Beginn des Jahrhunderts noch mit dem Gänsekiel geschrieben, auch später noch. Aber die Stahlfeder war das Übliche. Und auch Fontane hat sicher ganz viel mit der Stahlfeder geschrieben. Aber die Schwanenfeder, das ist eben ein Dichterwappen, so würde ich sagen. Das zeigt: Ich bin der Schriftsteller. Die Schwanenfeder ist auch eine Feder von Havelschwänen, er hat sie sich von dort kommen lassen. Es ist eine königlich-preußische Schwanenfeder, die er sich jeweils besorgte. Und in dem Sinne zeigt er auch, woher er kommt. Also: Ich bin preußisch, brandenburgisch und dies hier, die Feder, ist mein Zeichen, dass ich ein Schriftsteller bin.
"Er wird immer moderner"
Zeh: Wie modern würden Sie Fontane einschätzen, einmal als Person – wir haben jetzt von dieser etwas konservativen Inszenierung gehört –, aber auch in seinem Schreiben?
Dieterle: Er macht große Entwicklungen durch und er ist nicht immer derselbe. Aber es Konsens in der Forschung, das habe ich auch nicht umgestoßen, er wird immer moderner. Und das zeigt sich auch in seiner Sprache. Wer Fontane liest, entdeckt einen ganz unakademischen Schriftsteller, der sehr salopp, auch frivol schreibt, alltagssprachlich gelegentlich – und doch ist es hohe Kunst. Seine Art zu schreiben, sehr flapsig gelegentlich, das ist schon sehr modern und sehr nahe und hat überhaupt keine Patina.
Und dann natürlich auch seine Anschauungen. Er ärgert sich über viele Tendenzen im Wilhelminischen Deutschland. Er hat eben in den fünfziger Jahren wirklich intensiv in London gelebt und gearbeitet, zum Teil alleine, zum Teil mit seiner jungen Familie. Und das ganze Werk atmet davon, dass er sich im englischen Sprachraum aufgehalten hat und dass er als Hugenotte immer sprachaffin war zum Französischen und außerdem auch einen Blick nach Russland und zur russischen Literatur hinwendete. Er ist in diesem Sinne wirklich ein Europäer, ein Kosmopolit und ich finde, das macht ihn heute, auch so aktuell.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassung wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Regina Dieterle: "Theodor Fontane"
Hanser Verlag, München. 832 Seiten, 34 Euro.