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Regional und saisonal
Wie sich Lebensmittelversorgung durch Corona verändert

Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig die heimische Produktion von Lebensmitteln sein kann - die Nachfrage nach regionalen Produkten steigt. Experten bezweifeln jedoch, dass dieser Trend anhält. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner warnt sogar vor "Konsumnationalismus".

Von Jantje Hannover | 10.06.2020
Der Gemeinschaftsgarten Himmelbeet in Berlin-Wedding.
Die Coronakrise hat einen Run auf Kleingärten und Mietfelder ausgelöst (dpa / Jens Kalaene)
Auf einem Acker in Brandenburg: Zwei junge Frauen hocken zwischen langen Reihen mit hoch aufragenden rötlichen Blättern und ziehen dunkle Knollen aus dem Boden.
"Ich ernte rote Beete, ziehe sie aus der Erde. Das geht relativ einfach, und rupfe das Kraut ab und schmeiße die Beete in die Kiste." Die Gemüsekiste ist schon zur Hälfte gefüllt: "Ah, guck mal da, die ist ja so groß wie ein Kindskopf!"
Solidarische Landwirtschaft: Wenn die Verbraucher mit anpacken
Astrid und Nadja sind Mitglieder einer Solawi aus Berlin und Potsdam. Solawi steht für solidarische Landwirtschaft. Gemeint ist, dass ein Landwirt mit einer Gruppe Menschen aus der Stadt eng zusammenarbeitet und seine komplette Ernte an sie ausliefert. Mindestens 280 Solawi-Höfe gibt es in Deutschland. Sie versorgen geschätzte 20 bis 50.000 Haushalte mit Kartoffeln und frischem Gemüse, mit Käse, Obst, Marmeladen und Fleisch. Astrid fährt gerne zum Ernteeinsatz aufs Land:
"Weil ich die Idee gut finde, dass Landwirtschaft nicht allein nur an einem hängen bleibt, sondern dass sich Leute, die das essen wollen, auch verantwortlich zeigen, dass das gut ist für die Umwelt, für den Menschen, für alles."
Eine Auszubildende zur Lebensmitteltechnikerin überprüft am 30.07.2019 in einem Gruken-Werk in Schweinfurt das Vakuum innerhalb der Gläser mit Gewürzgurcken 
Rücker (Foodwatch) - "Lebensmittelkontrollen bedeuten aktiven Gesundheitsschutz"
Durch die Corona-Pandemie liege der größte Teil der Lebensmittelkontrollen brach, sagte Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch, im Dlf. Es brauche mehr Personal, denn Lebensmittelkontrollen seien systemrelevant.
Sich für das, was man isst, in diesem Maße verantwortlich zu fühlen, dürfte vielen Deutschen zu anstrengend sein. Schließlich liegt der Supermarkt gleich nebenan, die Auswahl ist groß, die Preise günstig. Bis im Zuge der Coronakrise alte Überlebensinstinkte aufbrachen und Lebensmittel gehamstert wurden. Viele bekamen zum ersten Mal in ihrem Leben leere Regale zu Gesicht.
In Krisenzeiten hätten manche Leute daher am liebsten wieder ein Gemüsebeet vor der eigenen Haustür. Deutschlandweit verzeichneten Biobauern, die Kundschaft mit wöchentlichen Gemüsekisten versorgen, einen Boom. Ähnliches erlebten auch die konventionellen Hofläden.
"Die Coronakrise hat schon sehr den enormen Stellenwert einer flächendeckenden, regionalen, also heimischen Erzeugung, für uns alle deutlich gemacht." Sagt Bundesagrarministerin Julia Klöckner von der CDU. Und ergänzt:
"Also, vollkommen klar ist, und das habe ich auch immer betont, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Deutschland, die ist sicher. Und wir haben einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent zum Beispiel bei Kartoffeln, bei Käse, bei Frischmilchprodukten, Getreide oder Schweinefleisch."
In der Coronakrise gehen viele Kunden lieber auf den Wochenmarkt oder bestellen Gemüsekisten, statt in den Supermarkt zu gehen
Auf dem Wochenmarkt statt im Supermarkt kaufen liegt im Trend: Hier auf einem Wochenmarkt in Berlin. (dpa)
Obst und Gemüse wird zu 60 Prozent aus dem Ausland importiert
Wenn morgen alle Grenzen dicht machten, würden die Deutschen also noch lange nicht verhungern. Lediglich Obst und Gemüse fehlten, denn das wird zu 60 Prozent aus dem Ausland importiert. Dabei sind gerade Möhren und Zucchini, Salate und Äpfel nach Expertenmeinung für eine gesunde Ernährung unverzichtbar. Und das sind auch genau die Pflanzen, die sich für den regionalen Anbau besonders gut eignen.
Bisher scheint sich der Gemüseanbau für deutsche Landwirte nicht wirklich zu lohnen. Das möchte der Abwasser-Experte Ralf Otterpohl von der Technischen Universität Hamburg gerne ändern. Für sein Konzept "Neues Dorf" entwirft er Gartenringe rund um die Metropolen. Hier sollen stadtmüde Bewohner unter professioneller Anleitung Gemüse anbauen. Der Vertrieb würde zentral organisiert:
"Das Konzept neues Dorf ist ein Ansatz, um die ländlichen Räume wiederzubeleben. Es richtet großen Schaden an, dass die Menschen die ländlichen Bereiche verlassen. Es kümmert sich niemand mehr richtig um den Boden, es gibt kaum noch Gemüseanbau und so weiter."
Dorfbewohner als nachhaltige Bauern
Die neuen Landwirte sollen hochwertige Produkte wie Salate, Feingemüse oder Beeren produzieren. Ralf Otterpohls Vision basiert auf dem ökonomisch sehr erfolgreichen Market-Gardening-Trend aus den Vereinigten Staaten: Junge Leute übernehmen eine Farm, sie arbeiten mit neuen biointensiven Methoden auf kleinster Fläche, ohne Kunstdünger oder Pestizide, und erzielen dabei hohe Erträge. Vorbild ist auch die Permakulturfarm Le Bec Hellouin in der Normandie. In Deutschland könnten alteingesessene Landwirte den neuen Dorfbewohnern kleinere Bereiche zum Anbauen überlassen und dafür eine angemessene Pacht kassieren, meint Otterpohl:
"Es ist sicherlich überambitioniert, wenn man sagt, die ganze Stadt daraus zu versorgen. Es geht eher darum, dass man hochwertige, frische Gemüse aus der Umgebung bekommt, dass wir auch in Zeiten, wo es Schwierigkeiten gibt, Naturkatastrophen oder Pandemie, wie aktuell, dass dann nicht alles zusammenbricht, sondern dass da die Menschen weiterhin versorgt sind.
Regionale Versorgung mit Obst und Gemüse könnte deutlich ausgebaut werden
Das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung im Brandenburger Müncheberg, kurz ZALF, hat in einer Studie in Zusammenarbeit mit Universitäten in Großbritannien, Italien und den Niederlanden herausgefunden: Die regionale Versorgung von Metropolregionen ließe sich mit entsprechender Förderung deutlich ausweiten. Anders als zum Beispiel London oder Rotterdam, deren Umland zu dicht besiedelt ist, könnte sich die deutsche Hauptstadt Berlin sogar vollständig aus dem Umland ernähren. "Die Studie hat gezeigt, dass das sehr wohl geht." Sagt der Landschaftsökologe Timo Kaphengst von der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg:
"Und mehrere Faktoren spielen da rein. Wie viel Land steht eigentlich im Umkreis von diesen Städten zur Verfügung? Wie wird das genutzt? Wie ist die Bodenbeschaffenheit? Wie sind die klimatischen Bedingungen? All das wurde dort mal ausgewertet."
Fast leere Regale in einem Lebensmittelgeschäft
Zu Beginn der Coronakrise waren viele Konsumgüter aufgrund von Hamsterkäufen knapp (imago images / Dirk Sattler)
Ernährung zum politischen Thema machen
Rund 1.000 Kilogramm Nahrung im Jahr pro Person ließen sich im Berliner Umland mit konventionellen Anbaumethoden gewinnen, sagen die Forscher. Gemeint ist ein theoretischer Selbstversorgungsgrad, denn wichtige Import-Produkte wie Kaffee oder Orangen haben die Forscher nur rein mengenmäßig mit eingerechnet.
Die regionale Versorgung der Städte ist eines der Herzensanliegen der deutschen Ernährungsräte. Es gibt sie in Köln, Frankfurt, Dresden und anderswo. Timo Kaphengst engagiert sich seit einigen Jahren ehrenamtlich im Ernährungsrat Berlin.
"Ernährungsräte treten im Prinzip an, Ernährung zum politischen Thema zu machen. Sie sagen: Die Stadt muss sich darum kümmern, zukünftig nachhaltig produzierte regionale Lebensmittel in die Stadt zu bekommen. Da spielen sehr viele politische Ressorts eine Rolle, Umwelt natürlich, Klima, die alle in diesen Ernährungsbereich eintreten und sich überhaupt erst mal ressortübergreifend Gedanken machen müssen: Was für Maßnahmen müssen wir eigentlich entwickeln, dass es dazu kommt, dass mehr regionale Lieferketten entstehen und eine höhere Wertschätzung eventuell für die regionale Erzeugung?"
Auf Initiative des Berliner Ernährungsrates wurde eine sogenannte Ernährungsstrategie im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats verankert. Erstes Ergebnis: In den nächsten Jahren soll der Bioanteil in der Schulverpflegung auf 50 Prozent ansteigen. Und diese Produkte sollen möglichst aus der Region kommen.
Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Denn im Berliner Umland wird bisher kaum Gemüse angebaut. Schließlich seien die sandigen Böden schlecht dafür geeignet, sagt der Zentralverband Gartenbau.
Eine Ausnahme ist da der Spreewaldbauer Heinz Peter Frehn. Auf mehreren hundert Hektaren pflanzt er, außer den berühmten Spreewaldgurken, Kartoffeln, Kürbisse, Rothkohl, Stachel- und Aroniabeeren an. Seine Ernte liefert er allerdings fast ausschließlich in Konservenfabriken ab:
"Wir haben früher auch viel für den Frischmarkt gemacht, aber da sitzen wir hier zwischen Baum und Borke. Wir haben 100 Kilometer bis zum Großmarkt nach Berlin und wir haben 110 bis nach Dresden. Das Problem ist, wenn man da für zwei, drei Paletten hinfahren soll, das macht keinen Sinn. Da bleibt das, was man vielleicht noch verdienen möchte, an den Reifen kleben."
Rumänische Erntehelfer in Baden-Württemberg mit Mund-Nasen-Schutz
In Deutschland fehlen die Erntehelfer wegen der Corona-Pandemie (www.imago-images.de)
Gemüse könnte 2020 knapp werden
Dabei sieht es im Jahr 2020 ganz danach aus, als wenn Gemüse überhaupt knapp werden könnte. Nicht nur das regionale, sondern gerade auch das aus den wichtigsten Anbauländern Spanien und Italien, die besonders hart vom Coronavirus getroffen wurden. Schon Ende Mai kosteten Blumenkohl und Brokkoli rund ein Drittel mehr als noch vor einem Jahr, ermittelte die Agrarmarkt-Informationsgesellschaft. Zucchini waren sogar doppelt so teuer. In den kommenden Monaten könnten die Preise weiter steigen. Schließlich wird das Angebot knapper, vor allem, weil die Saisonarbeiter fehlen oder höhere Kosten verursachen.
Heinz Peter Frehn ist Vorsitzender im Arbeitausschuss Vertragsgemüse beim Zentralverband Gartenbau:
"Da ist speziell in Süddeutschland, Südwestdeutschland so, dass viele Betriebe, die sonst vielleicht 30, 40 Leute brauchen, sagen: Wir können nicht für jede Person ein Einzelzimmer zur Verfügung stellen. Das wollen wir auch nicht. Wir machen einfach weniger, da wird die Fläche verkleinert."
Damit nicht soviel in neue Unterkünfte investiert werden muss, bauen viele Landwirte weniger Gemüse an. Denn Gemüsefelder und Obstplantagen machen sehr viel mehr Arbeit als zum Beispiel Getreideanbau. In normalen Jahren reisen dafür etwa 300.000 Saisonarbeiter ins Bundesgebiet, überwiegend aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien. Anders als viele Kollegen hat Heinz Peter Frehn seine Anbauflächen nicht reduziert. Jetzt hofft er, dass die Arbeiter auch wirklich kommen.
"Wir haben im Moment ungefähr 80 Mitarbeiter hier, aber für die Ernte mit allem drum und dran brauchen wir eigentlich 700. Die sind zwar alle beantragt und die Arbeitsverträge sind versendet und auch angekommen, aber wir müssen die erst mal ins Land kriegen."
Und dann auf den Gurkenhof Frehn. Denn der befindet sich am Ende der Dorfstraße im Örtchen Steinreich. Obwohl mitten auf dem platten Land gelegen, säumen mehrstöckige Blöcke mit Mietwohnungen die Straße. Das sind die Unterkünfte für die Saisonarbeiter. Im Sommer wohnen hier über 1.000 Menschen, im Winter bleiben dann etwa 60 Dorfbewohner zurück. Zurzeit stehen die meisten Zimmer in den Unterkünften noch leer:
"Hier haben wir unsere Quarantänestation für den Fall, dass wir mal irgendwas hätten." Frehn öffnet die Tür zum nächsten Zimmer. 24 davon gibt es allein in diesem Gebäude: "Hier hat dann jeder seine eigene Nasszelle, Dusche, Toilette. Bis zu sechs Leute können hier rein, theoretisch. Wenn wir nur 50 Prozent belegen dürfen, dann natürlich nur drei."
Corona-Pandemie treibt die Kosten und Preise in die Höhe
Nur halb so viele Bewohner pro Zimmer. Das treibt die Kosten in die Höhe, denn Frehn muss zusätzliche Container organisieren.
Die Äcker des Gurkenhofs liegen weit um das Dorf Steinreich verstreut. Auf einem Feld mit Bio-Gewürzgurken blinken lange Folienstreifen in der Sonne. Sechs Feldarbeiter, sie stammen aus Rumänien, legen Saatkörner in die vorgestanzten Löcher. Vor ein paar Tagen hatte es Nachtfrost gegeben, das haben manche Gurkenkeimlinge nicht überlebt. Sie müssen nun ersetzt werden. Nur wenn die Preise für Gemüse steigen, kann der Gurkenhof Frehn dieses Jahr überleben, sagt der Chef:
"Wir haben das Problem, wir haben unsere Verträge schon verhandelt im Januar/Februar vor Corona." Frehn hofft, dass er höhere Preise nachverhandeln kann. "Wenn wir das nicht schaffen sollten, stehen wir vor dem Aus. Das ist ganz klar."
Kühe stehen in einem Melkstand in einem Stall. 
Bauern rechnen mit sinkenden Milchpreisen wegen der Coronakrise (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
"Die Corona-Pandemie, die führt teilweise natürlich auch zu höheren Preisen. Die Auflagen, die wir den Landwirten gemacht haben zum Gesundheits-, zum Infektionsschutz, all dies sind höhere Kosten. Und mit einem Bündel an Maßnahmen haben wir deshalb unterstützt," Sagt Agrarministerin Julia Klöckner. Zum Beispiel dürfen Saisonarbeiter jetzt länger im Land bleiben. Mit der Plattform "das Land hilft" wurden deutsche Freiwillige geworben. Zusätzlich gab es finanzielle Hilfen:
"Wir haben auch dafür gesorgt, dass landwirtschaftliche Unternehmen unter den Rettungsschirm des Bundes für die kleinen Unternehmen und Soloselbstständigen fallen."
Milchpreis droht abzustürzen
Die Coronakrise macht auch den Milchbauern zu schaffen. Weil Restaurants und Kantinen geschlossen waren und in manchen Exportländern die Kaufkraft gesunken ist, droht der Milchpreis erneut abzustürzen. Laut Prognosen könnte er zum Jahresende unter 30 Cent pro Liter fallen und damit deutlich unter die Produktionskosten. Man habe bereits gegengesteuert, sagt Julia Klöckner:
"Die Beihilfen zur privaten Lagerhaltung, die die EU-Kommission im April beschlossen hat, die begrüße ich ausdrücklich. Wir haben zusammen mit anderen EU-Landwirtschaftsministern beim EU-Landwirtschaftskommisar sehr früh deutlich gemacht, dass das durch die COVID-19-Krise bedingten Absatzschwierigkeiten, dass die kurzfristig durch dieses Rausnehmen aus dem Markt von gewissen Milchmengen, dass das helfen kann."
Landwirte stehen mit ihren Treckern nach einer Sternfahrt in der Hamburger Innenstadt auf dem Holstenwall. 
Landwirtschaftsvertreter: - "Wir brauchen verbindliche Vereinbarungen"
Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, fordert eine gemeinschaftliche Agrarwende. Jahrzehntelang hätten Bauern zu billigsten Preisen gute Produkte liefern müssen, sagte er im Dlf. Dieses Modell stoße an seine Grenzen.
Milchbauern üben Kritik
Ein Teil der Milchbauern kritisiert das Programm zur Einlagerung von Milchpulver bei den Molkereien. Denn das Problem würde so lediglich um ein paar Monate verschoben. Bei einer Milchpulversprühaktion Ende Mai in Kempten hat der Bundesverband deutscher Milchviehhalter gefordert, die Politik solle Anreize setzen, damit Bauern in Europa weniger Milch produzieren. Nur so sei man aus der letzten großen Milchkrise im Jahr 2016 herausgekommen.
Solche staatlichen Eingriffe hält das CDU-geführte Agrarministerium derzeit jedoch nicht für zielführend. Preisabstürze wegen Schwankungen im Welthandel und fehlende Saisonarbeiter, für Timo Kaphengst von der Regionalwert AG ein Beleg, dass das Modell der auf Export ausgerichteten Landwirtschaft auf den Prüfstand gehört:
"Corona hat in vielerlei Hinsicht neue Schlaglichter geworfen und Dinge sichtbarer gemacht. Vor allem zunächst einmal, unsere Abhängigkeit von billigen Arbeitskräften. Unser Ernährungssystem insgesamt ist sehr abhängig von den globalen Agrarmärkten. Es ist total abhängig von Futterzulieferung aus dem Amazonasgebiet."
Für Sojabohnen als Kraftfutter wird weiterhin Regenwald abgeholzt. Würden die Lebensmittel stattdessen wieder vermehrt dort wachsen, wo sie auch konsumiert werden, könnte man Kohlendioxid beim Transport einsparen, lokale Jobs befördern und ländliche Regionen wiederbeleben. Diese Idee steht und fällt allerdings mit der Bereitschaft von Verbrauchern und Verbraucherinnen, gezielt regional einzukaufen und dafür auch mehr zu zahlen.
Ein Einkaufswagen mit verschiedenen Lebensmitteln wird durch die Gänge eines Supermarkts geschoben.
Discounter versuchen regelmäßig durch Schnäppchen im Lebensmittelbereich Kunden in die Läden zu locken (imago / photothek / Florian Gaertner)
Lebensmittelhandel erzieht die Kunden zum Sparen
Mit Lockangeboten zum niedrigsten Preis erzieht der Lebensmittelhandel die Kunden jedoch schon seit Jahren zum Sparen. Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung deutsche Ernährungswirtschaft, bezweifelt daher, dass die Vorliebe fürs Regionale mehr als eine Modelaune ist:

"Der Pferdefuß ist, dass wir wohl kaum mit den in Deutschland verfügbaren Rohstoffen zufrieden wären. Das fängt beim Frühstück an. Der, der auf Kaffee verzichten möchte oder auf Tee, der soll dann als erster die Renationalisierung der deutschen Lebensmittel- und Getränkemittelindustrie fordern. Oder wer gerne mal ein Stück Schokolade isst, oder wer gerne eine Paprika isst - das könnte ich jetzt stundenlang fortführen."
Fast 90 Milliarden Euro im Jahr importieren die deutsche Ernährungsindustrie und der Lebensmittelhandel Agrarprodukte aus dem Ausland. Einen Regionalisierungstrend erwartet Christoph Minhoff eher nicht, aber:
"Ich bin mir relativ sicher, dass alle ihre Lehren aus Corona ziehen werden. Und natürlich wird man die Rohstofflieferketten alle noch einmal genau anschauen und versuchen zu optimieren. Da bin ich mir ganz sicher. Aber alles hängt davon ab, ob am Ende solche Maßnahmen auch vom Markt aufgenommen werden."
Soll heißen: Ob Dinge, die vielleicht nachhaltiger und regionaler produziert wurden, auch dann gekauft werden, wenn sie teurer sind.
Landwirtschaftsministerin warnt vor "Konsumnationalismus"
In Europa hat sich die Transportlogistik inzwischen normalisiert: Lkw bleiben nicht mehr im Stau an den Grenzen stecken und mancher in China liegengebliebene Container hat inzwischen wieder im europäischen Mutterhafen angedockt. Trotzdem ist nicht ganz klar, ob alle Waren wie gewohnt hier eintreffen werden, fürchtet Minhoff:
"Aromen, Gewürze kommen aus dem asiatischen, indischen Raum sehr viel. Dort grassiert Corona gerade ganz besonders. Inwieweit sich das auf die Lieferketten auswirken wird, muss man sehen. Sie können davon ausgehen, dass die Unternehmen unglaublich viel investieren an Zeit und Logistik und Organisation, um ihre Lieferketten irgendwie aufrechtzuerhalten und sicherzustellen."
Die Welthandelsorganisation WTO hat Ende Mai gewarnt, dass der weltweite Lockdown zu Lieferknappheiten im Nahrungsmittelsektor führen kann. Der drittgrößte Reisexporteur der Welt, Vietnam, habe die Verkäufe bewusst eingeschränkt, um die Versorgung im Inland zu sichern. Vietnams Beispiel könnte Schule machen, befürchtet die WTO.
Dem widerspricht die Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner. Es seien keine Engpässe bei Grundnahrungsmitteln zu befürchten, im Gegenteil. In den USA würde dieses Jahr eine überdurchschnittlich große Weizen- und Maisernte erwartet:
"Grenzüberschreitende Lieferketten und der freie Warenverkehr, die sind maßgeblich, um in Europa die Ernährung und am Ende auch unseren Wohlstand zu sichern. Und genau deshalb warne ich ausdrücklich vor einem Konsumnationalismus. Wir exportieren, wir importieren, und so tun es die anderen eben auch."
Verbraucherinnen und Verbraucher sind gefordert
Mehr Regionalität als Konsequenz aus der Coronakrise? Die Politik setzt eher darauf, die gewohnten Zustände wieder zu stabilisieren. Eine Veränderung wird es in Deutschland nur geben, wenn Verbraucher und Verbraucherinnen gezielt nach regionaler Ware greifen und dafür auch bereit sind höhere Preise zu zahlen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)