Für Margarethe von Trotta ist die Kathedrale Notre-Dame in Paris mehr als eine bedeutende Kirche. "Das ist für mich viel eher das Wahrzeichen von Paris als der Eiffelturm", sagte die Regisseurin und Drehbuchautorin, die in Paris und München lebt, im Dlf. Gerade deswegen sei sie so erschüttert über die Zerstörung, die das Feuer im Dachstuhl der gotischen Kirche angerichtet habe.
Insbesondere die Bilder, die zeigen, wie der spitze Mittelturm im Feuer erst abknicke und dann herabstürzte, hätten sie bewegt. "Es war, als ob ein Gott einen Pfeil abgeschickt hätte", sagte von Trotta und verglich die Bilder mit denen der brennenden Zwillingstürme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001. "Diese Bilder stehen für eine bestimmte Epoche" sagte von Trotta. Die Kathedrale Notre-Dame habe das alte Europa symbolisiert. Gerade deswegen sei es wichtig, solche Symbole zu bewahren:
"Man kann sagen, das war jetzt das, was von Gott gesandt wurde, vielleicht auch um nochmal eine Aufmerksamkeit zu schaffen auf so ein Werk. Und dass man daran denken muss, solche Dinge zu bewahren."
Zudem hoffe sie, dass diese Tragödie Frankreich nun eine: "Ich bin gespannt, ob die Gilets jaunes jetzt immer noch so marschieren wie vorher oder jetzt auch begreifen, dass Frankreich doch eine Einheit sein muss."
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Wer diese Bilder gesehen hat, der vergisst sie nie. Die Kathedrale Notre-Dame in Flammen, der einstürzende Spitzturm, die fassungslosen Passanten, der Präsident den Tränen nah, und zwischen all dem die Feuerwehrwagen, die nur schwer herankommen an den Brand dieser Kirche.
Kaum zu glauben, dass ihre Struktur, wie es danach hieß, und ihre beiden großen Türme doch noch gerettet werden konnten. Nun soll Notre-Dame wiederaufgebaut werden. Aber das kann viele, viele Jahre dauern und vielleicht länger als die fünf Jahre, von denen Emmanuel Macron spricht.
Eine Expertin für Bilder und ihre Sprache, auch eine Expertin für Paris, wo sie lebt, und für Notre-Dame, die sie oft besucht hat, ist die Regisseurin Margarethe von Trotta. Ich konnte gestern Nachmittag mit ihr sprechen und meine erste Frage an Margarethe von Trotta war: Sie haben geweint beim Anschauen der brennenden Kirche. Warum haben Sie geweint? Warum berühren die Bilder der brennenden Kathedrale Sie so sehr?
Margarethe von Trotta: Na ja. Ich glaube, da war ich nicht die einzige. Es waren sehr viele Menschen, die darüber sehr traurig waren.
Heuer: Was genau macht Sie so traurig?
von Trotta: Das ist für mich viel mehr das Wahrzeichen von Paris als der Eiffelturm. Für viele Touristen ist ja der Eiffelturm das wichtigste und den bringen sie sich dann auch als Schlüsselanhänger mit nach Hause oder so.
Aber für mich war immer Notre-Dame das wichtigste Gebäude überhaupt in Paris und vor allen Dingen natürlich auch das älteste. Es war ja noch auf römischen Ruinen und dann erst war es eine romanische Kirche und dann wurde es zu dieser gotischen wunderbaren Kathedrale. Das hat eine unglaubliche Tiefe, und ich meine, wenn man in dieser Kirche war, hat man immer diese Tiefe auch mitgespürt.
"Man war da sowohl geerdet als auch mit einem bestimmten Mysterium verbunden"
Heuer: Meinen Sie die Tiefe in der Geschichte?
von Trotta: In der Geschichte und im Gefühl! Ich meine, das ist sicherlich eine christliche Kirche. Ich bin nicht so schrecklich christlich, aber ich habe da natürlich, wenn ich drin war – früher bin ich da sehr oft reingegangen, als ich noch hier studiert habe, weil da waren noch nicht so viele Touristen da und da konnte man wirklich reingehen und sich hinsetzen, und es war ziemlich dunkel, das Innere, und sehr still.
Wenn man da saß, hat man einfach diese ganze Dimension nach oben - nach unten in die Hölle, aber eine Hölle war es ja nicht, sondern für mich war es immer die Tiefe auch des Menschen -, und nach oben natürlich, wie das ja bei allen Kathedralen ist, dieses Streben nach Licht und in den Himmel. Man war da sowohl geerdet als auch mit einem bestimmten Mysterium verbunden, wenn man das mal so pathetisch ausdrücken will.
Heuer: Ein guter Ort für einen Menschen.
von Trotta: Ja, heute natürlich nicht mehr oder nicht mehr gewesen. Jetzt kann man ja lange Zeit überhaupt nicht reingehen. Aber in den letzten Jahren, immer wenn ich vorbeiging, habe ich gedacht, ach, ich will wieder rein.
Aber dann standen so wahnsinnig viele Touristen. Es sind ja 13 Millionen Menschen jedes Jahr, die in diese Kirche gehen oder gingen, und das hat mich dann letzten Endes in den letzten Jahren davon abgehalten, weil meine Erinnerung war diese wunderbare Stille. Die Menschen, die laufen da herum und machen ihre Fotos, aber ich glaube, keiner sucht da mehr diese Art von auf sich selbst bezogen sein.
Heuer: Sie sind, Frau von Trotta, eine Frau der Bilder. Welches Bild von der brennenden Kirche Notre-Dame hat Sie am stärksten berührt?
von Trotta: Na ja. Ich glaube, da bin ich auch wieder nicht die einzige, sondern in dem Moment, wo die Kirchturmspitze, die ja eine wunderbar architektonische Meisterleistung auch war, als die erst mal abbrach, es hat gebrannt, die brach ab, die Spitze, sie knickte erst ein und dann brach sie auch noch ab und flog davon, das war wirklich, man nennt das ja Flash.
Im Französischen heißt diese Spitze Flash und Flash ist gleichzeitig der Pfeil, und die flog wirklich weg wie ein Pfeil in Richtung Seine und ich weiß nicht, wo sie dann niedergegangen ist. Aber auf jeden Fall war das, als ob da ein Gott einen Pfeil abgeschickt hätte.
"Das war das alte katholische Europa, als es noch die Reformation gar nicht gab"
Heuer: Frau von Trotta, es gibt Fotos von Reuters, da sieht man im Innern der ausgebrannten Kirche Wandreliefs. Man sieht den Altar, man sieht darüber ein goldenes Kreuz. Das wirkt alles ziemlich intakt. Macht Ihnen das Mut?
von Trotta: Ich meine, wenn ich jetzt christlich wäre, für die Christen oder für die katholischen Christen ist das ja nun auch ein schrecklicher Moment, weil die Osterwoche beginnt, und das ist ja für gläubige Menschen eine Gebetswoche.
Es ist aber dann gleichzeitig dieses Kreuz erhalten. Das war ja das einzige, wenn man reinkam in die Dunkelheit, was gestrahlt hat, dieses Kreuz, und dass das erhalten geblieben ist und - ich meine, da kann man jetzt drüber denken wie man will - die Dornenkrone Christi, dass die auch gerettet werden konnte, ich glaube, das ist jetzt in dem ganzen Unglück für viele dann doch noch ein Zeichen, dass da noch eine andere Macht besteht.
Heuer: Es wirkt tatsächlich, als hätte es eine Bedeutung, als sei es aufgeladen mit einer Bedeutung, was ja zur Kirche passen würde.
von Trotta: Na ja, die Menschen sind natürlich so, sich selbst eine Bedeutung zu machen. Ich finde das auch erstaunlich, dass gerade die beiden Sachen, ja, das kann schon. Ich weiß es nicht.
Viele haben ja gebetet, gebetet, die ganze Stadt praktisch, oder viele, viele sich auch hingekniet auf den Straßen und haben angefangen zu beten. Ich bin da noch nicht gewesen. Ich werde heute Nachmittag da meinen Spaziergang machen, den ich sehr, sehr oft gemacht habe in der Vergangenheit, am Ufer entlang, wo man auch immer von vielen Seiten diese Türme gesehen hat.
Und wer hat natürlich nicht gedacht, als die Türme da noch standen und jeder Angst hatte, dass da keine Kirche mehr steht, so ähnlich wie in New York beim World Trade Center, wo auch plötzlich nach dieser enormen Höhe der Türme plötzlich nichts mehr war. Gut, das kann man nicht unbedingt vergleichen, aber die Bilder, diese flammenden Türme in New York und dann der Flammen hier, wo man Angst hatte, dass die auf die Türme übergreifen, das hatte schon einen Zusammenhang.
Heuer: Warum ist das so? Was sind die Bilder, die so nachhaltig im Weltgedächtnis haften bleiben? Was haben die gemeinsam?
von Trotta: Dass sie für eine bestimmte Epoche auch stehen. Ich meine, in New York, das war ja wirklich World Trade, Handelszentrum, das Symbol deswegen für Amerika, weil Amerika ist nun mal Business und ist Handel und ist Geld und so weiter.
Und hier, das war Europa und das alte Europa, das alte katholische Europa, als es noch die Reformation gar nicht gab. Das sind zwei unglaubliche Symbole auch der Kulturgeschichte.
Heuer: Notre-Dame kann wiederaufgebaut werden. Das ist gut. Was ist trotzdem unwiederbringlich verloren nach diesem Brand?
von Trotta: Na ja, das wissen wir ja noch gar nicht, was da alles zerstört worden ist da drin.
"Man hat Macron seine Erschütterung schon angesehen"
Heuer: Aber es wäre ja nicht mehr das alte, wenn Sie jetzt wieder reingehen könnten.
von Trotta: Na ja, gut. Ich meine, es sind ja auch andere Kirchen zum Teil zerstört worden und sind dann wiederaufgebaut worden. Und man vergisst das dann auch, dass das noch mal wiederaufgebaut wurde.
Jetzt das Schlimme für mich ist, dass ich, glaube ich, in meinem Alter nie wieder reinkomme. Das wird Jahre dauern, bis das wieder soweit ist, dass dort Menschen zugelassen werden, hineinzugehen, und das ist schon schmerzlich, der Gedanke.
Heuer: Wenn Sie mit Ihren Freunden in Frankreich sprechen, oder wenn Sie in sich selbst hineinhören, Frau von Trotta, jetzt nach dem ersten Schock, in welcher Stimmung sind Sie?
von Trotta: Na ja. Ich meine, wir haben ja hier schon einiges erlebt, was einen erschüttert hat. Wenn Sie sich an die Terroranschläge im Bataclan erinnern, oder bei Charlie Hebdo, als da die ganzen Journalisten, Redakteure, Zeichner niedergemäht wurden von Terroristen, das waren ähnliche wirkliche schwere Erschütterungen, nur dass es da wirklich von Menschenhand geschehen war und das ein terroristischer barbarischer Akt war.
Hier ganz offensichtlich war das wirklich ein Unglück, weil da war niemand mehr da, als das Feuer anfing. Die Arbeiter – es waren zwölf Arbeiter -, die sind vorher weggegangen und erst nachdem die schon nicht mehr anwesend waren, ist das ausgebrochen. Da gibt es jetzt noch Untersuchungen, man weiß das noch nicht genau, aber es war wohl nicht, wie ja viele, denke ich mal, auch in Deutschland vermutet haben, dass da wieder Terroristen dahinter waren. Das glaube ich nicht.
Heuer: Trotzdem ist es ein großes Unglück für Frankreich. Emmanuel Macron war gestern an der Notre-Dame. Passanten haben dort gebetet. Sie haben das gesagt. Sie haben mit Blick auf die brennende Kirche das Ave Maria auch gesungen. Ist das wieder so ein Moment, in dem Frankreich ganz bei sich ist, ganz geeint?
von Trotta: Das glaube ich schon. Ich bin jetzt natürlich sehr gespannt, ob die Gilets Jaunes jetzt immer noch so marschieren wie vorher, oder ob sie das jetzt auch begreifen, dass Frankreich doch irgendwie eine Einheit sein muss.
Heuer: Hat Emmanuel Macron da gestern ein gutes Zeichen gesetzt, von dem Sie vermuten, dass es auch fortwirken kann?
von Trotta: Na ja. Ich meine, bei seiner ersten Erklärung im Fernsehen hat man ihm schon seine Erschütterung angesehen. Sie erinnern sich vielleicht noch an diesen Marsch nach Charlie Hebdo von Franzosen mit Hollande an der Spitze und Angela Merkel neben ihm, die dann sich so an ihn gelehnt hat, und das war auch ein Bild, was erschüttert hat, weil man eine echte Emotion gespürt hat, und das hat man bei ihm gestern auch bei seiner ersten Erklärung.
Ich hatte richtig Angst, dass er nicht weiterreden kann und dass ihn die Rührung dann doch überwältigt, und das ist natürlich etwas, was sicher die Franzosen auch gemerkt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.