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Rehabilitierung Homosexueller
Maas macht ernst

Bis 1969 waren homosexuelle Handlungen in Deutschland strafbar. Wer damals verurteilt wurde, lebt heute noch mit einem Strafmakel, findet Justizminister Heiko Maas (SPD) - obwohl er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Im Oktober will Maas einen schon länger angekündigten Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Betroffenen vorlegen.

Von Nadine Lindner | 13.09.2016
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei einer Pressekonferenz
    "Ein Rechtsstaat sollte die Kraft haben, seine eigenen Fehler zu korrigieren" - so will sich Maas laut Redemanuskript auf dem Juristentag in Essen äußern. (Imago)
    Eines Tages stand die Sittenpolizei vor der Tür. Und ich wurde als Schwein beschimpft, zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. So erinnern sich noch heute ältere homosexuelle Männer an die 50er- und 60er-Jahre. Sie sollen nun nach dem Willen von Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD, rehabilitiert werden: "Ein Rechtsstaat sollte die Kraft haben, seine eigenen Fehler zu korrigieren" - so will sich Maas laut Redemanuskript auf dem Juristentag in Essen äußern. Die Rheinische Post hatte zuerst darüber berichtet.
    Einen entsprechenden Gesetzesentwurf wird der SPD-Politiker noch im Oktober vorlegen. Bereits im Mai hatte Heiko Maas diesen Kurswechsel in der Rechtspolitik angekündigt, den Zeitplan damals aber offen gelassen. Seit heute gibt es nun konkrete Planungen.
    Männer, die nach dem alten Strafrechtsparagrafen 175 bis Ende der 1960er-Jahre wegen Homosexualität verurteilt wurden, sollen rehabilitiert werden. Seit 1969 seien homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen zwar nicht mehr strafbar, aber die Urteile, die bis dahin ergangen seien, bestünden noch immer. Dies sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde, so Maas.
    Maas: "Aus heutiger Sicht wäre das verfassungswidrig"
    In seiner Rede will der Minister laut Medienbericht darauf hinweisen, dass die 1960er- und 70er-Jahre für einen großen Modernisierungsschub im Recht gesorgt hätten, manche Probleme aber bis heute nicht gelöst seien. Maas finde es unerträglich, dass Betroffene bis heute mit einem Strafmakel leben müssen. Sie hätten sich nichts zuschulden kommen lassen, sie hätten niemanden betrogen oder Menschen verletzt. Die Bestrafung erfolgte damals allein wegen der sexuellen Identität. "Aus heutiger Sicht war das verfassungswidrig", stellt der SPD-Politiker laut Rheinischer Post im Rede-Manuskript fest.
    Ähnlich sieht es auch die Anti-Diskriminierungsbeauftragte des Bundes, Christine Lüders. Sie sagte im Sommer der ARD:
    "Ein bloßes Bedauern reicht hier nicht. Diese Männer wollen nicht länger mit dem Makel einer Verurteilung leben müssen."
    Die Verurteilten seien "im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden", so Lüders.
    Maas geht laut Medienbericht auch auf die juristischen Bedenken hin, wonach im Rechtsstaat die Rechtssicherheit und die Rechtskraft der Urteile Vorrang haben müssten. Für ihn müsse das jedoch umgekehrt gelten: Materielle Gerechtigkeit dürfe nicht unterdrückt werden, schon gar nicht, wenn die Menschenwürde angetastet werde.
    50.000 Betroffene
    Im Frühjahr hatte ein Gutachten des Staatsrechtlers Professor Martin Burgi im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes die kollektive Rehabilitierung der Betroffenen durch ein Aufhebungsgesetz empfohlen.
    Auch die Grünen hatten einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt, jedoch noch nicht in den Bundestag eingebracht. Darin fordern sie Entschädigungen für Männer, die in der Nachkriegszeit aufgrund des Paragraphen 175 verurteilt wurden.
    Laut Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes betreffen die Urteile mehr als 50.000 homosexuelle Männer in den Jahren nach 1945. Ihnen wurden teilweise mehrjährige Gefängnisstrafen auferlegt. Erst im Jahr 1994 wurde der Paragraf 175 endgültig abgeschafft.