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Rehabilitierung
Späte Gerechtigkeit für die "Hexen" von Bernau

Jahrhunderte, nachdem der letzte Scheiterhaufen brannte, rehabilitiert die brandenburgische Stadt Bernau die Opfer der Hexenverfolgung. Entscheidend dafür war das hartnäckige Engagement einer Künstlerin.

Von Mirko Schwanitz | 27.05.2017
    Blick auf die mittelalterliche Stadtbefestigung von Bernau
    Blick auf die mittelalterliche Stadtbefestigung von Bernau (Imago)
    "Wir stehen in Bernau vor dem Denkmal für die Opfer der Hexenverfolgung. Einmal ist es rostender Stahl. Und zum anderen zerbrochenes Glas. Es steht symbolisch für zerbrochenes Leben, für Leid und gleichzeitig auch die Flügelform als Hoffnungssymbol."
    Fast zierlich wirkt die Künstlerin und Kirchenfenster-Malerin Annelie Grund unter den zwei transparenten Flügeln in drei Meter Höhe. Sie befühlt die Namen von 25 Frauen und drei Männern, die sie in den rostigen Stahl geätzt hat. Sie alle wurden zwischen 1536 und 1658 in Bernau bei Berlin der Hexerei angeklagt, gefoltert und hingerichtet - weil sie den Neid ihrer Mitbürger, die Missgunst der damals Mächtigen erregten. Oder einfach nur, weil sie anders waren. Die in der DDR geborene Künstlerin, heute 63 Jahre alt, kennt dieses Gefühl, anders zu sein.
    "Meine Eltern waren selbstständig, Kaufleute. Ich habe das selber körperlich spüren müssen, als ich plötzlich als Unternehmerkind Klassenkeile bekommen habe, weil mein Vater ein Ausbeuter ist."
    Eine oberflächliche Erinnerungskultur
    Annelie Grund schuf zahlreiche Kirchenfenster und Kunstwerke im öffentlichen Raum. Sie arbeitete als Restauratorin, bevor sie – kurz vor der Wende – aus der DDR ausreiste. Als sie Jahre später in ihre Heimatstadt zurückkehrte, landete sie wie zufällig im Bernauer Hussiten-Fest. Mit diesem Umzug feiert die Stadt seit dem 15. Jahrhundert die erfolgreiche Abwehr der böhmischen Krieger. Ein Schauwagen erregte damals Annelie Grunds besondere Aufmerksamkeit.
    "Da war ein Kreuz drauf. An das war gefesselt eine junge, schöne Frau, ringsum war Stroh. Und ein Henker in Rittersrüstung mit der offenen Flamme immer an sie ran und die Bernauer haben gejuchzt dazu. Und da habe ich gedacht: Na hallo, Ihr könnt juchzen. Aber nicht bevor ihr die wirklichen Opfer benannt und rehabilitiert habt."
    Es war die eher an der Oberfläche bleibende Erinnerungskultur, die sie störte. Fortan ging sie auf die Menschen zu, auch auf Politiker, forderte sie auf, sich mit der Hexenverfolgung auseinanderzusetzen. Viele schauten sie zunächst entgeistert an:
    "Als ob ich vom Mond komme. Was haben wir denn damit heute zu tun? Haben wir nicht andere Probleme?"
    Doch Annelie Grund gab nicht auf, überzeugt die Historikerin Birgit Schädlich im Geheimen Staatsarchiv Berlin nach alten Akten zu forschen und bringt schon bald Geschichten von Opfern ans Licht. 2003 wird Annelie Grund von den Stadtverordneten beauftragt, ein Denkmal zu schaffen, das an die Hexenverfolgung erinnern soll. Es ist das erste auf ostdeutschem Boden, sagt Historikerin Birgit Schädlich.
    Rehabilitierungsinitiativen in 54 Städten und Orten
    "Uns lag daran, dass dieses Denkmal nicht nur da steht, sondern dass die Bernauer und Bernauerinnen aufmerksam darauf gemacht werden. Und weil wir jedes Jahr von den Schulen zu Projekttagen eingeladen werden, haben wir dort auch dieses Projekt Hexenverfolgung vorgeschlagen - ein Rollenspiel das auf diesen Akten basiert."
    Auch Erinnerungskultur wächst von unten, ist Birgit Schädlich überzeugt. Inzwischen wurden dank der Initiative der beiden Frauen allein in Bernau über 1000 Schüler auf diese Weise mit dem Thema Hexenverfolgung näher bekannt gemacht. Inzwischen gibt es Rehabilitierungsinitiativen in 54 Städten und Orten. Viele Menschen hätten durch diese Initiativen begriffen, wie sehr die Mechanismen, die zu den Hexenverfolgungen führten, noch heute und in unserer Gesellschaft präsent sind, sagt Annelie Grund.
    "Ich habe mich selber an mein Anderssein, mein Ausgegrenztsein erinnert. Was man sich erinnert, das heilt. Und man kann nicht lernen aus der Geschichte, wenn man verschweigt."
    Das sah auch die Mehrheit der Stadtverordneten von Bernau so - nach fast 15 Jahren Überzeugungsarbeit und der Aufarbeitung jedes einzelnen Falles von Hexenverfolgung stimmten sie jüngst einem Antrag auf Rehabilitierung aller Hexen von Bernau zu – 400 Jahre nachdem der letzte Scheiterhaufen brannte.