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Reich-Ranickis "Mein Leben" als Fernsehfilm

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki beschreibt die Verfilmung seiner Autobiografie "Mein Leben" als sehr ernste Verarbeitung eines sehr schwierigen Stoffes. Er wünsche sich, dass bei den Zuschauern hängen bleibe, wie viel Mühe er sich mit der deutschen Literatur bereitet habe, so der 88-Jährige.

Marcel Reich-Ranicki im Gespräch mit Silvia Engels | 15.04.2009
    Marcel Reich-Ranicki: Er stellt die beiden Pole (seiner deutschen und polnischen Lebensabschnitte, Anm. d. Online-Redaktion) nur in geringem Maße heraus, und zwar deshalb, weil der Film ja nur meine Zeit von der frühesten Kindheit an bis zu meiner Ankunft in Deutschland zeigt. Und die war '58. Was sich später abgespielt hat, wird heute Abend auch gezeigt, also Mittwochabend, in einem zweiten Film, der diesem folgt.

    Silvia Engels: Wie gut gefällt Ihnen dieser Film des Regisseurs Dror Zahavi?

    Reich-Ranicki: Ach ja, ich glaube, er hat seine Arbeit schon gut gemacht, sehr gut gemacht. Und es sind auch fabelhafte schauspielerische Leistungen in diesem Film.

    Engels: Wie gut ist es ihm denn gelungen, diese ja extremen Lebensjahre auf entscheidende Szenen zu konzentrieren?

    Reich-Ranicki: Na ja, das ist vor allem dem Drehbuchschreiber Gutmann sehr gut gelungen, ein sehr ernster, guter Drehbuchschreiber. Und ich glaube, dass das insgesamt eben doch sehr ernst und gut gemacht wurde.

    Engels: Sie selbst haben diesen Film ja bereits mehrfach gesehen. Welches Gefühl dominiert, wenn Sie ja dadurch auch in Ihre eigene Geschichte zurückversetzt werden?

    Reich-Ranicki: Ach, wissen Sie, natürlich kein frohes, kein heiteres Gefühl, das ist ja bei diesem Stoff klar. Es ist ein sehr schwieriger Stoff, und er zeigt furchtbare Sachen. Er zeigt sie in der Regel – das muss gesagt werden und darf nicht missverstanden werden. Er zeigt das Schreckliche, das ich erlebt habe und das auch meine Frau erlebt hat, doch in sehr gemilderter Form. Ungemildert wäre das für das Publikum unerträglich.

    Engels: Sie selbst haben gesagt, es vergehe kein Tag, an dem Sie nicht an das Warschauer Ghetto denken würden. Wie haben Sie es geschafft, wie hat Ihre Frau es geschafft, trotzdem immer wieder in die Gegenwart zurückzufinden, um dann auch eine Zukunft zu planen?

    Reich-Ranicki: Na ja, Sie meinen, wie wir das jetzt geschaffen haben, jetzt, in der letzten Zeit?

    Engels: Vielleicht auch dann, ja?

    Reich-Ranicki: Na ja, sie hat es eben nicht ganz geschafft. Es war für sie – war und ist – für sie sehr, sehr schwer, das alles noch mal zu ertragen.

    Engels: Sie leidet im Moment sehr stark darunter unter den Erinnerungen?

    Reich-Ranicki: Ja. Ja, ja.

    Engels: Sie haben gemeinsam mit Ihrer Frau Tosia durch Ihre besondere Geschichte ein einzigartiges Leben geführt. Wie wichtig ist es für Sie, dass nun auch ein breites deutsches Publikum diese besondere Geschichte noch einmal durch diesen Fernsehfilm erfährt?

    Reich-Ranicki: Ja, Sie haben recht, es ist schon sehr wichtig, es ist gut, dass es so ernst gezeigt wurde. Es ist natürlich immer wieder die Hoffnung, dass die Menschen von dem, was sie sehen, doch etwas lernen werden.

    Engels: Sie selbst beschreiben sich in Ihrem Buch schon sehr früh als einen Außenseiter, auch schon zu Schulzeiten. Später seien Sie auch in Polen nicht ganz heimisch geworden, in Deutschland danach aus verständlichen Gründen auch nicht so recht. Wie fühlen Sie sich heute? Fühlen Sie sich angekommen?

    Reich-Ranicki: Ach, das ist sehr schwer zu beantworten. Ich habe jedenfalls seit Jahrzehnten immer wieder in Deutschland die Arbeit gemacht, die ich machen wollte. Und in keinem Land hätte ich diese Möglichkeit gehabt. Das weiß ich jetzt, ich wusste es damals noch nicht, wie es kommen wird. Ich kam ja 1958 aus Polen nach Deutschland, aber so sicher war ich nicht, dass ich in Deutschland werde bleiben können. Doch so ist es geworden. Ich war am Anfang in Frankfurt eine Weile, dann in Hamburg viele Jahre und jetzt wieder in Frankfurt.

    Engels: Damals war ja die Entscheidung überzusiedeln auch dadurch geprägt, dass Sie mit der damaligen sozialistischen polnischen Führung doch nicht mehr gut zusammen kamen. Haben Sie das Gefühl, damals als Getriebener hier angekommen zu sein?

    Reich-Ranicki: Na ja, Gott, Getriebener nein, aber als Solcher, der die Arbeit, die er machen wollte, eigentlich nicht in Polen machen konnte. Ich konnte sie in Deutschland machen, ich konnte sie auch beispielsweise in der Schweiz machen. Aber in die Schweiz wäre ich gar nicht reingelassen worden, weil ich kein Geld hatte. Also habe ich mich erst mal in Deutschland niedergelassen, und dabei ist es denn auch geblieben.

    Engels: Herr Reich-Ranicki, in Ihrer Autobiografie gibt es diese Passage, wo Sie nach einer positiven Eigenschaft der Bundesrepublik gefragt werden, weshalb Sie hierher gekommen sind, und Sie antworten sinngemäß, diese Republik habe den Vorteil, dass sie ihren Bürgern erlaube, sie auch wieder zu verlassen. Sie spielten damals auf die fehlende Reisefreiheit im damaligen Ostblock an. Haben Sie denn je ins Auge gefasst, Deutschland auch dauerhaft wieder zu verlassen?

    Reich-Ranicki: Seit ich wieder hier bin in diesem Land, nein. Nein, diese Situation gab es nicht.

    Engels: Herr Reich-Ranicki, Sie sind für Ihre deutlichen Worte, Ihre scharfe Kritik nicht nur in Literaturfragen bekannt. Wie stark hängt diese Eigenschaft mit Ihrer persönlichen Geschichte zusammen, da mussten Sie ja häufig um alles oder nichts kämpfen?

    Reich-Ranicki: Sie haben recht, was Sie gesagt haben eben, stimmt. Aber die Frage kann ich nicht beantworten. Natürlich, meine ganze Person, so wie sie sich heute präsentiert, ist schon geformt, geprägt durch die Erlebnisse der Jahrzehnte, hier in Deutschland vor allem.

    Engels: Zuletzt wurde Ihre scharfe Kritik an der Dummheit des Fernsehens bekannt. Denken Sie, für den Zuschauer heute Abend ist es jetzt begreiflich, dass Sie es nicht recht ertragen können mit Ihrer Biografie, wenn Nichtigkeiten ins Scheinwerferlicht gerückt werden?

    Reich-Ranicki: Ach nein, das ist alles nicht so richtig. Sie müssen eins verstehen: Alles, was gesagt wird im Zusammenhang mit dieser meiner Ablehnung des Preises, den man mir geben wollte, weckt das in einem Missverständnis. Ich habe gesagt, wie schrecklich dieser Abend war, dieses in Köln, das war ja furchtbar, diese Clownerien auf erbärmlichem Niveau. Und man hat das erweitert auf das gesamte Fernsehprogramm. Das ist nicht ganz richtig. Ich habe nicht das gesamte Fernsehprogramm gemeint, sondern den Abend, den stundenlangen Abend, den man uns da zugemutet hat.

    Engels: Wenn die Zuschauer heute Abend Fernsehen schauen, dann werden Sie in der ARD das erste Mal auch diese andere Seite des Marcel Reich-Ranicki kennenlernen, jedenfalls viele von ihnen. Haben Sie einen Wunsch? Was wünschen Sie sich, welcher Haupteindruck bei den Zuschauern über Sie hängen bleiben soll?

    Reich-Ranicki: Vielleicht doch der, der am wenigsten behandelt wird, dass ich mir sehr, sehr viel Mühe mit der deutschen Literatur bereitet habe.

    Engels: Marcel Reich-Ranicki, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

    Reich-Ranicki: Bitte sehr.