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Reiche: Modernisierung der Familienpolitik ist unerlässlich

Die CDU-Politikerin Katherina Reiche hat sich in der Diskussion um die frühkindliche Betreuung hinter Familienministerin Ursula von der Leyen gestellt. Es sei notwendig, die finanzielle Basis der Familien zu stärken und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Kindertagesstätten und Tagesmütter zu fördern. "Eine echte Wahlfreiheit haben wir zumindest in den alten Ländern bislang nicht", erklärte Reiche.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Wie ist eigentlich die CDU, konservativ und modern? Das scheint eine Frage zu sein, die der Debatte in der Union um die Familienpolitik und die Kinderbetreuung folgt. Eine ganze Reihe führender CDU-Politiker unterstützt die Ministerin von der Leyen in ihrem familienpolitischen Kurs. Andere warnen vor dem Verlust des konservativen Profils und gar vor Tendenzen, die Partei nach links Richtung SPD zu rücken.

    Katherina Reiche ist stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von CDU und CSU und Mitglied der Grundsatzkommission ihrer Partei und nun am Telefon. Schönen guten Morgen Frau Reiche!

    Katherina Reiche: Guten Morgen!

    Durak: Diese Hemmungen, die sich ja aus dieser Warnung auch sozusagen schlussfolgern lassen, das bewährte Leitbild der Union von Familie und Ehe zu modernisieren, also in Frage zu stellen, erinnert Sie das an irgendetwas?

    Reiche: Wir haben in der Tat schon mehrere größere Debatten über die Familienpolitik geführt, aber ich glaube, noch keine so intensiv, wie wir es jetzt gerade tun. Die einzige Chance für uns als Union aber, die Identität der Partei auch als Familienpartei zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist, Ursula von der Leyen in ihrem Kurs zu unterstützen. Wenn die heute jüngere Generation um 18 und 35 zwar vielleicht noch heiratet und in den Beruf geht, aber keine Kinder mehr bekommt, wenn Akademikerinnen sich zu fast 50 Prozent entscheiden, nur noch dem Beruf zu folgen und auch keine Kinder zu bekommen, wenn wir zunehmend Alleinerziehende haben, die der Hilfe bedürfen, dann ist eine Modernisierung der Familienpolitik und ein Angebot für all diese Menschen, die auf Hilfe vertrauen und warten, unerlässlich.

    Durak: Sie sind Mitglied der Grundsatzkommission, habe ich eingangs gesagt. Das Grundsatzprogramm der CDU, das moderne, was sollte es zu Familie, Kindern aussagen?

    Reiche: Das Wichtige ist, dass Familie immer eine Verantwortungsgemeinschaft ist, und das unterscheidet uns auch von anderen Parteien. Familie also ein Ort, wo die Generationen füreinander Verantwortung tragen. Darüber hinaus haben wir aber eine Entwicklung in der Gesellschaft, die sich dramatisch von dem unterscheidet, was noch in den sechziger Jahren der Fall war. Die Geburtenraten haben sich halbiert. Menschen sagen, wenn überhaupt noch, ja zu einem Kind, einem, maximal zwei Kindern. Wir haben hohe Scheidungsraten. Wir haben viele Alleinerziehende, und all das muss uns dazu bringen, zwei Dinge zu tun: Erstens, die finanzielle Basis für die Familien zu stärken, und zweitens, institutionelle Voraussetzungen zu schaffen in Form von Kitas oder Tagesmütter, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Wirklichkeit werden zu lassen, denn echte Wahlfreiheit haben wir zumindest in den alten Ländern bislang nicht.

    Durak: Sie haben selbst drei Kinder, sind berufstätig. Sind Sie konservativ?

    Reiche: Ich halte mich für konservativ. Ich fühle mich wohl in der CDU, und umso mehr Freude macht es mir, jetzt auch dafür zu werben, dass die CDU den Wandel, in dem sich die Gesellschaft befindet, auch lebt und in ihre Programmatik nicht nur verwirklicht, sondern bis auch in die letzten Parteiwurzeln und -spitzen durchträgt, denn die Tatsache, dass wir Deutschen langsam aussterben, muss uns doch dazu bewegen, etwas für Familien zu tun. Jungen Paaren Mut zu machen, Kinder zu bekommen, und ihnen Hilfestellungen zu geben, monetärer Natur, aber auch in Form von institutioneller Betreuung, halte ich für den richtigen Weg.

    Durak: Nächster Versuch der Familienministerin ist das Familiensplitting. Sie ist da nicht die Urheberin, aber zumindest unterstützt sie das. Also Kindern soll Vorrang gegeben werden in der Förderung, also der Ausbau des Ehegattensplittings zum Familiensplitting, mit dem Kinder unverheirateter Paare denen verheirateter Paare gleichgestellt werden. Was halten Sie davon?

    Reiche: Ich finde den Vorschlag gut. Wir haben ihn in der Grundsatzkommission ausgiebig diskutiert. Wir haben auch in der Familienkommission, die im vergangenen Jahr getagt hat, darüber gesprochen, und ich finde es wichtig, das Ehegattensplitting um eine Familienkomponente zu ergänzen, denn es ist so, dass Familien mit Kindern immer noch finanziell benachteiligt sind, dass Familien mit vielen Kindern ganz leicht mal in die finanzielle Schieflage geraten, und das Familiensplitting kann einen wertvollen Beitrag leisten, diese Schieflage aufzufangen.

    Durak: Frau Reiche, eins interessiert mich auch noch sozusagen fast persönlich: Ohne jetzt in Sie dringen zu wollen, Sie haben drei Kinder, das haben wir gesagt, und Sie sind berufstätig, also irgendjemand kümmert sich irgendwann um die Kinder. Was mich etwas irritiert bei dieser Debatte, sind so Vorwürfe, wie sie auch jetzt wieder zu hören sind von der stellvertretenden Chefin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Frau Falk, die da sagt, wenn es nicht zwingend durch äußere Umstände geboten ist, sollten Kinder vor dem Ende ihres ersten Lebensjahres nicht für längere Zeit in die Obhut des Staates gegeben werden. Ich hänge mich auf am "Obhut des Staates". Das sind ja deutliche Misstrauensbekundungen gegenüber Erzieherinnen, Mitarbeiterinnen in Kinderbetreuungseinrichtungen. Ist das der richtige Zungenschlag?

    Reiche: Erstens, wir sollten aufhören, die Frauen gegeneinander auszuspielen. Es gibt keine Heimchen am Herd und es gibt keine Rabenmütter. Jede Frau sollte für sich die Entscheidung treffen, die sie für sich und ihre Kinder für richtig hält. Viele Frauen haben aber nicht die Wahl. Sie haben entweder nicht die Wahl, auf eine Betreuungsmöglichkeit zurückzugreifen, oder sie haben nicht die Wahl, tatsächlich zu Hause zu bleiben. Denn man muss doch eins sehen: Eine allein erziehende Mutter oder sogar ein Ehepaar, wo das Haushaltseinkommen nur des Mannes gar nicht ausreichen würde, eine drei- oder gar vierköpfige Familie über Wasser zu halten, ist gezwungen, sich auch schnell wieder in den Beruf zu stellen. Wenn ich mir anschaue, dass wir gerade bei Akademikerinnen, die es sich gar nicht leisten können, über einen ganz langen Zeitraum aus ihrem wissenschaftlichen Umfeld herauszugehen, ohne den Anschluss zu verpassen, dann muss ich doch auch hier Antworten geben. Der Staat darf niemandem ein Modell aufzwingen, aber er muss die Möglichkeit schaffen für die Frauen, tatsächlich eine Wahl zu haben.

    Durak: Das sind die äußeren Umstände, Frau Reiche. Was mich eher interessierte, ist sozusagen die Qualifizierung der Erzieherinnen gegenüber den Müttern.

    Reiche: Da müssen wir nacharbeiten. Also da sind wir in Deutschland sicherlich noch nicht besonders weit. Die Krippe und auch der Kindergarten wird und muss zunehmend die Funktion einer Bildungseinrichtung übernehmen, Thema und Stichpunkt, kostenloses Kitajahr, das letzte als Vorschulangebot. Hier ist es sicherlich notwendig, dass die Kitaerzieherinnen besser ausgebildet sind, um den Bildungsauftrag neben dem Betreuungsauftrag viel besser ausfüllen zu können.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.