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"Reichweite einer Patientenverfügung muss auch gewisse Grenzen kennen"

Josef Winkler von Bündnis90/Die Grünen, sieht eine "halbgare" Debatte um die Patientenverfügung. Der Mit-Initiator des Gegenantrages schlägt ein Konsil aus Pflegepersonal, Angehörigen und, wenn nötig, Vormundschaftsgericht vor. Damit soll dem Willen solcher Patienten weitest möglich entsprochen werden, die sich selbst nicht äußern können.

Moderation Christiane Kaess | 26.06.2008
    Christiane Kaess: Die Meinungsverschiedenheiten gehen quer durch die Fraktionen. Einige Abgeordnete lehnen das Thema Patientenverfügung mittlerweile rundweg ab. Zu sensibel erscheint es, als dass man es endgültig klären könnte. Der Bundesgerichtshof hat zwar festgelegt, dass einer Patientenverfügung unbedingt zu folgen ist. Dennoch - so sagen Kritiker - sei die Rechtslage schwierig. Es könnten keine Grundsatzurteile gefällt werden. Patienten, Angehörige und Juristen müssten sich die entsprechenden Urteile bei den verschiedenen Gerichten mühsam zusammensuchen. Dem will ein Gesetzentwurf Abhilfe verschaffen, der heute im Bundestag diskutiert wird. Die Gegenposition zu dem heute eingebrachten Vorschlag vertritt Josef Winkler von den Grünen. Er ist Mitglied des Innenausschusses und Krankenpfleger. Guten Tag Herr Winkler.

    Josef Winkler: Guten Tag!

    Kaess: Herr Winkler, wir haben es gehört. Der Gesetzentwurf sieht vor: Wenn der Patient nicht mehr bei Bewusstsein ist, dann müssen Betreuer und der Arzt den Willen des Patienten mit seiner Lage vergleichen und entscheiden. Reichen denn diese zwei fachkundigen Personen nicht aus?

    Winkler: Nein, das reicht nicht aus. Zum einen stimmt es natürlich auch nicht, dass der frei gewählte Betreuer das immer ist. Sehr, sehr häufig haben wir den Fall, dass der Betreuer vom Gericht eingesetzt wird, weil derjenige, der eine Patientenverfügung verfasst, selber gar keinen Betreuer benannt hat. Zum anderen wird natürlich der weit übergroße Anteil von Bürgerinnen und Bürgern auch weiterhin ohne Patientenverfügung bleiben und bei denen gelten diese ganzen Schutzregelungen nicht, sondern dann wird der mutmaßliche Willen vom Betreuer gemeinsam mit dem Arzt ermittelt. Wenn der dann nicht vom Betreuten selbst ausgewählt ist, dann ergibt sich schon daraus, dass da überhaupt gar keine hohe Schutzhürde geplant ist.

    Kaess: Wer sollte dann entscheiden?

    Winkler: Wir reden ja hier heute über einen Gesetzentwurf. Wir versuchen, im Bundestag fraktionsübergreifend einen anderen Entwurf zu finden. Es ist der Vorschlag auf dem Tisch, dass man ein Konsil einberuft zwischen Pflegepersonal, Angehörigen, von dem Verfasser der Patientenverfügung benannte, ihm nahestehende Personen - natürlich in Zweifelsfällen auch hier das Vormundschaftsgericht. Aber wir sind eben noch nicht so konkret wie der Kollege Stünker. Wir brauchen noch ein paar Wochen. Bis die Sommerpause herum ist, werden auch wir einen Entwurf vorlegen. Es ist schade, dass wir heute so eine halbgare Debatte im Bundestag führen müssen.

    Kaess: Aber Herr Winkler was sollte zum Beispiel ein Vormundschaftsgericht besser entscheiden können?

    Winkler: Wissen Sie, wir überprüfen auch Testamente gerichtlich, wenn irgendjemand da Zweifel hat. Wenn es um Leben und Tot geht und hier ein Betreuer zum Beispiel sagt, nach seinen Ermittlungen des mutmaßlichen Willens sollen die Geräte abgeschaltet werden und das Leben beendet werden, wenn daran irgendjemand dritter Zweifel äußert, dass das der mutmaßliche Wille ist, dann wäre das richtig aus meiner Sicht, das Vormundschaftsgericht zu betrauen. Aber selbst wenn in der Patientenverfügung konkret geschrieben wird, ich möchte keine Beatmung - ich sage Ihnen das jetzt als Krankenpfleger -, oder ich möchte mal nicht an Schläuchen hängen, dann sagt Herr Stünker ja, dem muss gefolgt werden. Und stellen Sie sich vor: Jemand hat einen Unfall. Diese Situation hat er gar nicht gemeint, sondern er meinte, er will nicht monatelang, wo möglich jahrelang auf der Intensivstation beatmet werden, wenn er im Wachkoma liegt. Er hat sich falsch ausgedrückt. Das soll dann aber ausreichen und den Betreuer, das Pflegepersonal, den Arzt auch binden? Also da stellt Herr Stünker das ein bisschen anders dar, als es in seinem Gesetzentwurf steht.

    Kaess: Wozu sollte es denn dann überhaupt eine Festlegung vorher geben, wenn die dann später sowieso nicht mehr gilt?

    Winkler: Der Bundesgerichtshof hat ja gesagt, sie gelten. Er hat gleichzeitig aber auch gesagt, er wünsche sich, dass der Bundestag dort eine gesetzliche Regelung schafft. Ich finde Patientenverfügungen sollen so weit wie möglich und so oft wie möglich gelten und sollen auch durchgesetzt werden. Aber es muss eben auch Grenzen geben und diese Grenzen, die versuchen wir im Moment zu definieren. Das ist eine schwierige Sache.

    Kaess: Also das ist auch ein bisschen gegen das Selbstbestimmungsrecht, das Joachim Stünker ja so wichtig ist?

    Winkler: Ja. Das Problem ist: Er will immer das Selbstbestimmungsrecht von Menschen schützen, die sich selber nicht mehr äußern können. Das heißt er sagt der Wille, den sie eines Tages vorher mal geäußert hatten, ist automatisch immer gleichzusetzen, muss gleichzusetzen sein, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, mit dem dann nicht mehr äußerungsfähigen Willen des bewusstlosen Menschen. Das halte ich für eine Sachlage, die aus meiner Sicht nicht verantwortlich ist, weil es gibt immer wieder Fälle, wo genau das eben nicht eintritt und wo Menschen, die krank sind, ihre Lage ganz anders einschätzen, als sie das in den Tagen getan haben, als sie noch gesund waren. Das ist eben die Position, wo ich sage, die Reichweite einer Patientenverfügung muss auch gewisse Grenzen kennen.

    Kaess: Für die Bundesärztekammer ist die Sachlage schon jetzt klar, so wie sie ist. Sollte man sich da nicht auf die Fachleute verlassen?

    Winkler: Erstens hat die Bundesärztekammer ihre Position grundlegend geändert mit der ersten Patientenverfügungsdebatte, die wir im letzten Jahr hatten. Nichts desto Trotz: Ich will gar nicht gegen die Bundesärztekammer oder gegen die Ärzte etwas entscheiden. Heute ist es ja so, dass in der Regel die Ärzte entscheiden. Aber wir haben eben eine Unsicherheit und es gibt auch viele Ärzte, die nicht auf der Bundesebene in der Ärztekammer organisiert sind, die sagen, im Alltagsgeschäft nutzt ihnen die Handreichung der Bundesärztekammer zu wenig. Sie fühlen sich in einer juristischen Grauzone. Und auch den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, die jetzt sagen, am besten lassen wir alles so wie es ist, kann ich deshalb nur sagen: In Grauzonen sollte man sich dort nicht bewegen müssen. Deswegen bin ich schon dafür, dass wir Klarheit schaffen, halte aber die Regelung, die heute im Bundestag zur Debatte steht, für nicht geeignet.

    Kaess: Warum haben sich denn die Gegner des Entwurfs noch nicht auf einen gemeinsamen Gegenentwurf einigen können?

    Winkler: Es ist eine sehr komplizierte Sachlage. Wir haben in unserem Entwurf - in unserem heißt in diesem Fall, den ich mit den Kollegen Bosbach, Röspel und Fricke mal erarbeitet hatte - den Punkt einer Reichweitenbeschränkung eingefügt, wo wir gesagt haben, nur wenn der irreversible tödliche Verlauf einer Krankheit feststeht, soll eine Patientenverfügung auch durchgesetzt werden, die lebenserhaltende Maßnahmen beenden will. Das hat sehr, sehr viele Kolleginnen und Kollegen befremdet. Es hat die Bundesärztekammer gegen uns aufgebracht. Gleichzeitig hatten wir für die Wachkoma-Kranken, also Schwerstbehinderten eine Regelung, die die Katholische Kirche gegen uns aufgebracht hat, so dass wir irgendwie fast völlig ohne Unterstützer geblieben sind, so dass wir jetzt gesagt haben, das erscheint uns nicht sinnvoll, auf dieser Position zu beharren. Dann kamen mehrere Kollegen aus der Unionsfraktion, inspiriert von der Bundesärztekammer mit einem neuen Entwurf. Das ist aber erst vor wenigen Monaten geschehen, obwohl wir die Debatte insgesamt ja schon seit Jahren führen, und dann muss man sich die Zeit nehmen, finde ich, jetzt nichts übers Knie zu brechen, sondern das zusammenzuführen.

    Kaess: Zur Patientenverfügung war das der Bundestagsabgeordnete Josef Winkler von den Grünen. Vielen Dank.