Dienstag, 19. März 2024

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Reidar Müller: "Wolfsspur"
Auf der Suche nach dem Wolf

Wölfe sind nach Mittel- und Nordeuropa zurückgekehrt und werden keineswegs überall willkommen geheißen. Vielmehr entzünden sich hitzige Debatten. Autor Reidar Müller begibt sich in Skandinavien auf die Suche nach dem Wolf und ist, je mehr er sich dem Raubtier nähert, von ihm fasziniert.

Von Dagmar Röhrlich | 20.10.2019
Ein Wolf schaut hinter Bäumen hervor.
Der Wolf ist nicht überall willkommen. (picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
Als Oslo an diesem eiskalten Wintertag im Rückspiegel des Wagens von Reidar Müller verschwindet, ahnt er bereits, dass ein neues Kapitel in seinem Leben beginnt. Er fährt zu seinem Freund Mats, der Biologe ist, Bauer und Waldbesitzer. Sie haben sich verabredet, weil Reidar den Wald näher kennenlernen möchte. Doch auf dem Hof angekommen erfährt er, dass sich Wölfe in der Gegend aufhalten – und Mats, der bei der norwegischen Naturschutzbehörde als Kontaktmann für das Thema Raubtiere arbeitet, muss sich an diesem Abend auf Spurensuche begeben. Sie beschließen, gemeinsam loszuziehen – und damit beginnt die Geschichte.
Die Geschichte der Wölfe verwoben mit Paläontologie und Philosophie
Reidar Müller erzählt darin von Wölfen und ihrem Verhalten, ihrer Bedeutung im Ökosystem, von den Mythen, die sich um sie ranken und wie gefährlich es werden kann, sich öffentlich zu ihnen zu bekennen. Eng verwoben ist dieser Strang von Geschichte mit anderen Themen – mit Erdgeschichte und Paläontologie, mit der Naturgeschichte des Walds, mit dem, was Schriftsteller wie John Muir geschrieben haben oder Philosophen wie Ludwig Wittgenstein.
Reidar Müller erzählt sehr persönlich. Der Leser erlebt alle Höhen und Tiefen mit, wie er hofft, endlich wenigstens die Schwanzspitze eines Wolfs zu sehen zu bekommen, seine Enttäuschung, wenn es wieder einmal nicht geklappt hat, wie er allen seinen Freunden mehr und mehr auf die Nerven geht, sein Glücksgefühl, als er sie zum ersten Mal heulen hört.
Keine Höhepunkte - und trotzdem fazinierend
Dieses Sachbuch ist sozusagen entschleunigt, funktioniert wie der berühmte Sakte-Film des norwegischen Fernsehens: Es fasziniert Millionen Zuschauer, wenn in Echtzeit über Tage hinweg eine Bahnfahrt übertragen wird oder wie ein Pullover entsteht, vom Schaf bis zur letzten Naht. Es passiert eigentlich nichts Aufregendes, aber man kann sich dem Sog nicht entziehen – und das selbst dann, wenn man die durchaus bizarre Faszination, die der Autor empfindet, beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Ein ungewöhnliches Buch.
Wolfsspur
Eine Entdeckungsreise in die Tiefen unserer Wälder
Sachbuch von Reidar Müller, aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrike Strerath-Bolz
Droemer-Verlag, 313 Seiten, 19.99 Euro