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"Reif für die nächste Stufe"

Joachim Rücker, Chef der UNO-Verwaltung im Kosovo, erwartet eine baldige Entscheidung über den künftigen Status der ehemaligen serbischen Provinz. "Wir haben in den letzten Jahren die Grundlagen für eine funktionierende Demokratie, für ein funktionierendes Rechtswesen und für eine funktionierende Marktwirtschaft geschaffen", sagte Rücker. Nun sei das Kosovo "reif für die nächste Stufe".

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Wir haben eben über die Lage der Roma im Kosovo einiges erfahren, nun soll es um das Kosovo als Ganzes gehen. Seit dem 1. September letzten Jahres ist der deutsche Diplomat Joachim Rücker der Sondergesandte des UNO-Generalsekretärs für die ehemalige serbische Provinz Kosovo. Als Chef der UNO-Verwaltung ist Joachim Rücker faktisch der Staatschef der insgesamt zwei Millionen Einwohner. Guten Morgen, Herr Rücker!

    Joachim Rücker: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: In anderthalb Wochen wird in Serbien gewählt, und der serbische Regierungschef Kostunica hat im Wahlkampf noch einmal betont, das Kosovo, das geben wir nicht her. Es wird in der serbischen Verfassung als Bestandteil Serbiens aufgeführt. Besteht tatsächlich Ihrer Ansicht nach die Möglichkeit, dass das fast überwiegend von Albanern bewohnte Kosovo in absehbarer Zeit Serbien zurückgegeben wird?

    Rücker: Die so genannte Kontaktgruppe, die das Bindeglied ist zwischen dem Sicherheitsrat und dem Sondergesandten, der über die Zukunft des Kosovo verhandelt und demnächst einen Vorschlag vorlegen wird, hat ganz klar gemacht, dass es kein Zurück gibt zur Situation vor 1999.

    Spengler: Darf ich anders fragen, Herr Rückert? Besteht denn umgekehrt die Chance, dass das Kosovo dem Staat Albanien zugeschlagen wird?

    Rücker: Nein, auch das hat die Kontaktgruppe ganz klar gemacht. Sie hatten ein paar Vorgaben gemacht für diesen Verhandlungsprozess, der jetzt dann zu seinem Ende kommt, wenn ein Vorschlag vorgelegt wird. Da hat sie ganz klar gemacht, es wird auch keinen Anschluss an Nachbarländer geben.

    Spengler: Die Rede ist von einer eingeschränkten Souveränität unter Aufsicht der EU. Was heißt eingeschränkte Souveränität?

    Rücker: Nun ja, wir Deutsche haben eine besondere Erfahrung mit eingeschränkter Souveränität, die es seit 1949 in der Bundesrepublik gegeben hat bis eigentlich zum Zwei-plus-Vier-Vertrag. Das ist an und für sich nichts Ungewöhnliches. Was hier gemeint ist, ist, dass es auch nach dem Status eine internationale zivile Präsenz und eine internationale militärische Präsenz geben wird im Kosovo.

    Spengler: Befürchten Sie nach einer Entscheidung, wie genau sie dann auch immer ausfallen mag, neue Unruhen von der einen oder der anderen Seite?

    Rücker: Ich denke, dass das, was der Sondergesandte Martti Ahtisaari auf den Tisch legen wird als Lösungsvorschlag für den Status, akzeptabel sein dürfte für beide Seiten. Er hat ja nun fast ein ganzes Jahr verhandelt, er kennt die Materie in- und auswendig, und ich denke, was er auf den Tisch legen wird, dürfte für beide Seiten, müsste für beide Seiten akzeptabel sein.

    Spengler: Also Deutschland, das ja im Kosovo mit Diplomaten, mit Verwaltungsfachleuten, mit Soldaten ja auch sehr engagiert ist, muss sich nicht auf eine schwierigere Lage einstellen?

    Rücker: Man muss natürlich immer die Risiken sehen, aber ich denke, wenn das Momentum gehalten wird in der Bestimmung des Status, wenn es nun tatsächlich auch eine Entscheidung gibt in den nächsten Monaten, dann, denke ich, ist das auch stabil hier.

    Spengler: Ist das Kosovo denn politisch bereit für eine irgendwie geartete Eigenständigkeit?

    Rücker: Wir haben in den letzten Jahren die Grundlagen für eine funktionierende Demokratie, für ein funktionierendes Rechtswesen und für eine funktionierende Marktwirtschaft geschaffen, so dass man durchaus sagen kann, dass Kosovo jetzt nach sieben Jahren internationaler Verwaltung reif ist für die nächste Stufe.

    Spengler: Das heißt also, der Status kann sozusagen jetzt in den nächsten Wochen und Monaten festgelegt werden?

    Rücker: Der sollte in den nächsten Wochen und Monaten festgelegt werden, das ist nicht nur die Erwartung, die von der internationalen Gemeinschaft geweckt wurde, sondern das ist das Ziel und Zweck dessen, zu was der Sondergesandte Martti Ahtisaari macht, was er beauftragt wurde vom Sicherheitsrat und vom Generalsekretär und was die Kontaktgruppe auch in Aussicht gestellt hat.

    Spengler: Das geht so weit, dass Sie sagen würden, auch so etwas wie Korruption ist im Griff?

    Rücker: Korruption ist überall ein Thema, aber es wird hier alles getan wie anderswo auch, um Korruption zu bekämpfen mit den modernsten Instrumenten.

    Spengler: Das Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition, das funktioniert auch?

    Rücker: Das Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition funktioniert gut wie in anderen parlamentarischen Demokratien auch.

    Spengler: Und wirtschaftlich ist das Kosovo lebensfähig?

    Rücker: Ich denke, dass Kosovo wie jede andere Transformationsökonomie die Chance hat, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu kommen. Wir hatten im Jahr 2006 eine ganz ordentliche Wachstumsrate, knapp fünf Prozent reales Wachstum, fast ausschließlich aus dem privaten Sektor kommend. Das ist relativ gut. Es reicht noch nicht, um die hohe Arbeitslosigkeit und um die relativ hohen Außenhandelsdefizite in den Griff zu bekommen, aber manches hängt mit dem Status zusammen. Zum Beispiel gibt es keine Möglichkeit, bei internationalen Finanzinstitutionen Kredite zu bekommen. Es gibt einige ganz klare Hemmnisse für die wirtschaftliche Entwicklung, die nur mit dem Status zusammenhängen.

    Spengler: Wenn doch aber unter dem Strich alles so positiv ist, warum wird dann noch die UNO und später vielleicht die EU gebraucht?

    Rücker: Nun, es ist ja ein Entwicklungspfad, auf dem wir uns befinden im politischen und im wirtschaftlichen Sinne. Und dieser Pfad wird begleitet von einer internationalen Präsenz. Das ist ja nichts Neues, und besonders geht es nicht nur um eine Transformation von, sagen wir mal, einer früher doch weitgehend sozialistischen Wirtschaft zu einer Marktwirtschaft oder von einem autoritären Staat zu einer Demokratie, sondern es geht auch darum, von einem Zustand, der eine internationale militärische Intervention notwendig gemacht hat, von einem Konflikt zu einem friedlichen Zustand. Und alle diese Transformationen auf verschiedenen Ebenen bedingen durchaus eine internationale zivile und militärische Präsenz für einige Zeit.

    Spengler: Das heißt, wenn die internationale Präsenz weg wäre, wäre es vielleicht nicht ganz so friedlich?

    Rücker: Das ist das Implikat, aber ich meine, das ist ein Konsens, der international besteht, dass Kosovo weiter geholfen werden muss.

    Spengler: Das war der deutsche Diplomat Joachim Rücker, der Sondergesandte des UNO-Generalsekretärs für Kosovo, Chef der UNO-Verwaltung UNMIK. Herr Rücker, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Rücker: Gerne, auf Wiederhören.