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Reihe: Eine Frage der Zeit
"Eine Art Wiederbelebungskur fürs Theater"

Die Theater-Regisseurin Susanne Kennedy bricht in ihren Stücken mit der Gleichzeitigkeit von Körper, Stimme und Sprechen. Es gehe ihr darum, den Zuschauer in eine andere Wahrnehmung hineinzuführen, sagte Kennedy im Dlf. Sie versuche Theater an seine Grenzen zu bringen und neue Möglichkeiten des Mediums zu entdecken.

Susanne Kennedy im Gespräch mit Karin Fischer |
    Die deutsche Theaterregisseurin Susanne Kennedy schaut am 28.11.2017 vor Beginn einer Probe der Uraufführung "Women in Trouble" in der Volksbühne Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin in die Kamera.
    "Theater ist das Schlimmste, wenn es totes Theater ist", sagte die Theater-Regisseurin Susanne Kennedy im Dlf (dpa / Silas Stein)
    Karin Fischer: Die Regisseurin Susanne Kennedy hat viel dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahren die Grenzen zwischen Theater, Installation und Kunst weiter geschrumpft sind. Ihre Arbeiten haben installativen Charakter, was auch bedeutet, dass sich die Rollen von aktiven Schauspielern und passiven Zuschauern verschieben. Letztere geraten häufig in Bewegung, Erstere bleiben manchmal statisch.
    Warum wir mit Susanne Kennedy heute über die Zeit reden wollen, hat diesen Grund: Sie ist in vieler Hinsicht die Regisseurin von gleichzeitig Ungleichzeitigem. In der Inszenierung, die ihr eine Einladung zum Theatertreffen nach Berlin einbrachte und ihr selbst den Titel "Nachwuchs-Regisseurin des Jahres" der Fachzeitschrift "Theater heute", kam der Text des Stücks beispielsweise vom Band. Das war Marieluise Fleißers Stück "Fegefeuer in Ingolstadt", und bei der Premiere an den Münchner Kammerspielen hat das extrem irritiert und die Zuschauer auch polarisiert.
    Ich habe Susanne Kennedy vor der Sendung gefragt, warum sie eines der ehernen Gesetze der Bühne, die Gleichzeitigkeit von Körper, Stimme und Sprechen, gebrochen hat.
    Susanne Kennedy: Ich glaube, es geht darum, den Zuschauer in eine andere Wahrnehmung hineinzuführen und neue Möglichkeiten des Mediums zu entdecken. Und wenn ich von mir selber ausgehe, waren eigentlich immer die Erfahrungen, gerade im Theater, aber auch ansonsten in der Kunst, die mich nachträglich geprägt haben, die, in denen ich meinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr ganz trauen konnte, also Momente, in denen ich nicht wusste, was ich jetzt eigentlich finde, was meine Meinung ist, sondern erst mal irritiert, fasziniert war und mich länger damit auseinandersetzen musste. Eigentlich dieser Moment beinah zwischen, wenn man Atem holt, diese Lücke, bevor man ausatmet, also so ein Zustand von kurzem Übergang, Nichtsein, ich weiß nicht genau, wie man den beschreiben kann, und den auszudehnen.
    "Einen Raum öffnen, den man normalerweise überspringt"
    Fischer: Damit haben Sie jetzt das Medium der Zeit ja schon selber angeführt, mit dieser Lücke. Die Lücke ist eine Wahrnehmungslücke, eine Denklücke, aber vielleicht eben auch eine Zeitlücke, die irritiert.
    Kennedy: Ja, weil wir versuchen, auf der Bühne einen Raum zu öffnen, den man normalerweise überspringt, also den man sofort zumacht mit dem Verstand, vielleicht auch mit dem Gefühl, und in diesem Raum hineinzugehen, den auszudehnen, vielleicht auch manchmal hin bis zum Unerträglichen, und zu schauen, was passiert dann: Können wir uns darin aufhalten, was für Prozesse werden in Gang gesetzt.
    Fischer: Die Gesetze des Theaters waren lange Zeit relativ gleich geblieben. Eine Geschichte, ein Drama auf der Theaterbühne läuft normalerweise auf einer Zeitleiste ab - die Einheit von Ort und Zeit war früher tatsächlich sehr, sehr lange das Gesetz, das Sie jetzt indirekt oder direkt eben auch aufbrechen wollen. Ein anderes Mittel, das Sie sehr gerne verwenden, ist das der Maske für Ihre Schauspielerinnen und Schauspieler, zum Beispiel in "Warum läuft Herr R. Amok?" nach Rainer Werner Fassbinder, auch für die Münchner Kammerspiele inszeniert. Das macht die Figuren in gewisser Hinsicht zeitlos oder auch alterslos.
    Kennedy: Ja, das ist ein ganz spannender Zustand, dass ich eine Person dahinter vermute, die ich aber nicht sehen kann. Also es gibt ja nur manchmal die Augen, wenn man nahe genug herankommt, die man sehen kann und die einem etwas erzählen könnten, die Geschlechter sind nicht mehr deutlich, das Alter ist nicht mehr deutlich. Man muss ganz viel versuchen zu lesen über die Hände, über die Körperbewegung, über die Haltung, und das ist ein sehr spannender Vorgang.
    "Was mich sehr interessiert, ist die Wiederholung"
    Fischer: Die Wahrnehmung wird gestört, die Zuschreibungen auch an die Rollen gerät irgendwie durcheinander. In einer anderen Installation, "Orpheo" nämlich, da wirkten die Schauspielerinnen wie Klone, es tauchten immer zwei davon auf, mit gleichen Kleidern und gleichen Masken. Ist das auch ein bisschen ein Mittel gegen sozusagen das dauernd Neue, was in der Welt da draußen um uns rum passiert, eine Art Gegenmittel zur Schnelllebigkeit heute, oder wäre das überinterpretiert?
    Kennedy: Ja, das weiß ich jetzt nicht unbedingt. Ich halte mich immer sehr zurück mit Kritik, weil ich das einen sehr einfachen Standpunkt immer, den das Theater sehr schnell einnimmt, finde. Was mich sehr interessiert, ist die Wiederholung. Also vielleicht können wir etwas lernen über die Wiederholung. Ich habe eine kleine Tochter, die ist jetzt zwei Jahre alt, und die Wiederholung ist gerade ein ganz wichtiger Zustand für sie. Also ich lese ihr eine Geschichte vor, und dann sagt sie: Noch mal! Und dann muss ihr noch mal genau die gleiche Geschichte vorlesen, und noch mal und noch mal. Also anscheinend findet da ein Lernprozess statt, den ich sehr schwierig finde auszuhalten, immer das Gleiche wieder.
    Aber wie Deleuze schon auch gesagt hat, "zweifellos ist die Wiederholung die Fessel, aber wenn man an der Wiederholung stirbt, so ist es wiederum sie, die rettet und heilt." Das ist auch ein Zitat, was wir benutzen in "Women in Trouble", dem Stück, das ich an der Volksbühne gemacht habe, und da geht es auch ganz stark um die Wiederholung. Immer wieder kommt man zu sich selber zurück und muss versuchen, sich selber zu überwinden. Es ist so ein ewiger Zyklus, also eine Drehbewegung, eine Endlosschleife, die aber immer wieder gewisse Variationen, wenn auch nur kleine, aufweist. Es geht auch nicht immer um genau das Gleiche, sondern um Variationen. Und in diesen Variationen kann eine ganze Welt stecken.
    "Ein Zyklus des Gehens und des Wiederkommens"
    Fischer: Das Bühnenbild von "Women in Trouble" sieht auch ziemlich Science-Fiction-artig aus. Ich wollte Sie gerade deswegen fragen, ob Sie möglicherweise auch von einer noch nicht geahnten Zukunft her denken. Ein Thema in der Inszenierung ist nämlich das Faceliftung, also sozusagen die Frage, wie wir den Alterungsprozess auch anhalten können.
    Kennedy: Von der Zukunft her denken auf jeden Fall. Facelifting ist … na ja gut, in "Women in Trouble" geht es natürlich um diese Schauspielerin, die ist die Hauptdarstellerin, Angelina Dreem, und die ist in diesem System, was man auch als das Hollywood-System bezeichnen könnte, eine Frau, die sich darin bewegt, hat natürlich automatisch mit solchen Vorgängen zu tun. Das Facelifting selber ist jetzt aber nicht so ein Thema, es geht mehr um Krankheit eigentlich. Sie wird krank und stirbt, und eigentlich ist es mehr die Frage, wie kann es weitergehen auch jenseits des Todes. Also sie wird wiedergeboren, gibt es eine neue Variation ihrer selbst, die weiterlebt, also ganz verschiedene Angelina Dreems.
    Und die Frage ist, kann man aus dem letzten Leben, aus dem Leben selber etwas lernen und dann weitermachen, also so eine Art Heldenreise, aber diesmal mit einer Frau, was ja auch sehr ungewöhnlich ist, und auch eine Heldin, die eine Form von Läuterung durchmacht und zurückkommt und die wieder weitergibt, kommuniziert, also so ein Zyklus des Gehens und des Wiederkommens, ein Heldenzyklus.
    "Mit Grenzen exprimentieren"
    Fischer: Spielen Sie da nur mit literarischen Mustern oder vielleicht auch mit filmischen, oder interessiert Sie auch der Tod an sich als sozusagen Ende aller Zeit? Oder glauben Sie, dass wir ihm irgendwann mal ausweichen können, dem Tod, oder ein Schnippchen schlagen durch Technik?
    Kennedy: Also ich glaube, der Tod, ob wir den jemals in dieser Form überwinden, dass man sagt, der Körper stirbt und damit ist das Ende des Körpers erlangt, das weiß ich nicht. Ich meine, da wird ja stark dran gearbeitet, und diese Form von Transhumanismus, wo man versucht, diese Grenze immer weiter nach hinten zu schieben, ich weiß nicht so sehr, ob die mich interessiert.
    Was mich mehr interessiert, ist eigentlich eine Form von mentaler Überwindung erst mal, die dabei anfängt, dass wir die Angst vor dieser Grenze verlieren, und die Möglichkeit weiterdenken, wie könnte es weitergehen, in welcher Form auch immer, was keiner von uns weiß. Aber da ist natürlich die Kunst eine Möglichkeit, uns da an diese Grenzen und auch jenseits dieser Grenzen vielleicht zu puschen und damit zu spielen und zu experimentieren.
    "Die Virtualität ist Teil unserer Wirklichkeit"
    Fischer: Damit sprechen Sie ein wichtiges Thema an, denn in gewisser Hinsicht geht das Theater ja immer irgendwie mit der Zeit. Das Video hat vor langer Zeit schon Einzug gehalten auf der Bühne, derzeit reden wir viel über Immersion - das ist, wenn die virtuelle Realität ins Theater geholt wird -, aber auch die Dekonstruktion scheint ja so eine Art Antwort auf oder ein Abbild von, ich sag jetzt mal, zerstörerischen Mechanismen in der Lebenswelt da draußen zu sein, die uns zu überwältigen drohen. Gibt es ein Momentum, das Sie heute sehen, wo Sie sagen, da ist Theater auf der Höhe der Zeit?
    Kennedy: Klar, Theater hat erst mal was ganz, ganz Besonderes, nämlich dass es im Hier und Jetzt stattfindet, dass eine Gruppe Menschen auf eine andere Gruppe Menschen trifft, die auf der Bühne stehen, und eine Gruppe Menschen, die setzen sich hin und sitzen im Dunkeln, und das passiert im Hier und Jetzt. Also dieser Raum, dieses Ritual, das wir da miteinander erleben, ist erst mal was ganz Besonderes, was es in der Form gar nicht mehr so oft gibt.
    Und gleichzeitig muss aber das Theater eine Form von Wirklichkeit reflektieren, die wir jetzt schon durchmachen. Also die Virtualität ist Teil unserer Wirklichkeit, und da geht es gar nicht drum, jetzt die negativ oder positiv zu bewerten, es ist einfach so. Und Theater muss eine Form finden, um das rüberzubringen und sich selber wieder neu zu erfinden. Ich versuche auch, das Theater an seine Grenzen zu bringen, um eigentlich die Kraft des Theaters wieder aufs Neue wiederzubeleben. Theater ist das Schlimmste, wenn es totes Theater ist, also mache ich gerade wie eine Art Wiederbelebungskur.
    Fischer: Inzwischen sind Sie Hausregisseurin, Susanne Kennedy, an der Neuen Volksbühne von Chris Dercon und zählen also zu den quasi arrivierten Regisseurinnen. Noch eine persönliche Frage: Was bedeutet eine solche Karriere in so kurzer Zeit für Sie?
    Kennedy: Ja, die letzten Jahre waren unglaublich intensiv, und die Arbeit bringt einen auch an Orte und an persönliche Grenzen auch manchmal, die man dann wieder überwinden muss oder kann. Ich denke eigentlich immer sehr, da, wo ich jetzt bin, das stimmt, und bin sehr offen für den nächsten Schritt, was auch immer der sein möge. Irgendwie zeigt sich's dann, wo es hingeht. Das kann man sehr dem da draußen überlassen, was einen da steuert, ich weiß es manchmal auch nicht. Es ist auf jeden Fall ein sehr spannender Prozess.
    Fischer: Die Regisseurin Susanne Kennedy war das über die Zeit mit den Zuschauern im Theaterraum und ihr eigenes Verständnis vom Theater der Zukunft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.