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Reihe: Gerechtigkeit
Minigehalt trifft Millionenbonus

Die einen verdienen 15 Millionen Euro im Jahr, andere kommen mit drei Minijobs kaum über die Runden. Solche Einkommens- und Vermögensunterschiede tun einer Gesellschaft gut, sagen neoliberale Wirtschaftswissenschaftler. Aber ist das gerecht?

Von Michael Braun | 17.08.2017
    Eine Frau mit Sonnenbrille läuft vorbei an einem Bettler in der Brienner Straße in der Münchner Innenstadt.
    Armut vererbt sich, Reichtum vererbt sich, kritisieren Sozialwissenschaftler. (picture-alliance/ dpa / Markus C. Hurek)
    "Sag mir, wo mei Groschen sind. Wo sind sie geblieben?"
    Sie meinten es alles andere als lustig, die Sparer, die vor sieben Jahren ihr Leid und ihren Frust öffentlich machten. Sie hatten Zertifikate der Lehman-Bank gekauft und geglaubt, sie besäßen damit ein Guthaben. Doch als die Bank pleite ging, blieb ihnen nichts. Immerhin: Sie hatten überhaupt die Chance gehabt, zu einem kleinen Vermögen zu kommen. Die haben viele andere nicht. Und diese vielen sind die meisten anderen, meint Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW):
    "Deutschland ist das Land mit der höchsten Ungleichheit bei privaten Vermögen in der gesamten Eurozone. Armut vererbt sich, Reichtum vererbt sich."
    Ganz anders sieht das Michael Hüther, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft:
    "In der letzten Dekade gilt, dass die Vermögensverteilung in Deutschland sich nicht weiter verschlechtert hat. Für die Gerechtigkeitsbewertung muss man wohl den internationalen Vergleich heranziehen. Alles in allem ist die Vermögensverteilung nicht auffällig."
    Bundesbank-Statistik zeigt ungleich verteilte Vermögen
    Ein Teil solcher Meinungsunterschiede erklärt sich auch mit Eigenarten der Statistik. Ein Beispiel: Wer eine Rente von monatlich 1.000 Euro aus der deutschen staatlichen Rentenversicherung bezieht, hat statistisch gesehen kein Vermögen. Begründung: Die Rente wird nach dem Umlageverfahren finanziert, also aus den laufenden Beiträgen der Beschäftigten. Kauft sich aber ein Selbständiger, der keinen Anspruch auf eine staatlich organisierte Rente hat, bei einem privaten Rentenversicherer eine Rente in gleicher Höhe, muss er dafür rund 250.000 Euro bezahlen. Die zählen in der Vermögensstatistik. Gleiche Rente, anderes Vermögen.
    Wie vermögend die Deutschen sind, berechnet die Bundesbank - sie hat für das Jahr 2014 ein durchschnittliches Nettovermögen, also ohne Schulden, von 214.500 Euro je Haushalt ermittelt. Bei fast drei Viertel aller Haushalte lag es aber unter diesem Durchschnitt. Und ein nennenswertes Betriebsvermögen, also Anteile an einem Unternehmen, haben demnach nur die reichsten zehn Prozent der privaten Haushalte. Immobilien- und Finanzvermögen kennen die unteren 40 Prozent der Haushalte praktisch nicht.
    Die Bundesbank schlussfolgert deshalb, die Vermögen seien in Deutschland - gemessen an anderen Ländern im Euroraum - relativ ungleich verteilt. DIW-Präsident Fratzscher will aber deshalb keine Neiddebatte geführt wissen, sondern weist schlicht auf die Folgen hin, wenn viele nichts auf die hohe Kante legen können:
    "Für mich ist nicht das Problem, dass in Deutschland die oberen zehn Prozent viel haben, was Tatsache ist, sondern es ist das Problem, dass 40 Prozent letztlich nichts sparen können, keine Vorsorge betreiben können und damit dann auch sehr stark vom Sozialstaat abhängig werden."
    Armut und Reichtum
    Auch beim Einkommen gibt es große Unterschiede. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers lag voriges Jahr bei 3.703 Euro. Fast 13 Millionen Menschen, darunter auch Rentner, Studenten, Schauspieler, haben aber deutlich weniger - sie müssen mit 60 Prozent des Durchschnittsverdienstes auskommen und gelten daher nach dem Armutsbericht der Wohlfahrtsverbände als "arm".
    Am oberen Ende der Einkommenspyramide stehen, von Spitzensportlern mal abgesehen, die Manager der 30 DAX-Unternehmen. Sie erhielten nach einer Studie der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz im Schnitt gut 458.000 Euro monatlich. Da stellt auch Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft mindestens Übertreibungen fest, wenn er sagt, "dass es bei Aktiengesellschaften in der Vergangenheit durchaus bedenkliche Entwicklungen gab."
    DIW-Präsident Marcel Fratzscher gibt sich da toleranter und aggressiver zugleich:
    "Das Problem in Deutschland heute ist nicht so sehr, dass wir Manager haben, die sehr gut verdienen. Sondern das Hauptproblem ist, dass wir einen ungewöhnlich hohen Niedriglohnbereich haben. Über 20 Prozent, mehr als jeder fünfte deutsche Arbeitnehmerin, Arbeitnehmer arbeitet im Niedriglohnbereich, kriegt also extrem wenig für die eigene Arbeit."
    Einkommensunterschiede als Ansporn?
    Für IW-Direktor Hüther steht dagegen im Vordergrund, dass mit der Agenda 2010, die den Niedriglohnsektor hervorbrachte, Menschen in Arbeit gebracht worden seien:
    "Die Löhne allein zu betrachten, macht natürlich nicht wirklich Sinn, sondern die Frage ist: Mit welchem Beschäftigungsvolumen - oder anders gewendet - mit welchem Maß unfreiwilliger Arbeitslosigkeit ist diese Lohnentwicklung verbunden? Und da ist die deutsche Wirtschaft im Jahr 2017 sicherlich deutlich besser aufgestellt als zehn Jahre zuvor."
    Und außerdem erinnert er daran, dass Ungleichheit auch ihre guten, motivierenden Seiten hat:
    "Das, was wir an Ungleichverteilung insbesondere bei den Einkommen haben, ist ja im Umfeld einer hohen Beschäftigungsdynamik und erfolgreicher Integrationsprozesse in den Arbeitsmarkt etwas, was auch anspornt und was auch Leistungsunterschiede deutlich macht und spiegelt sich in der Tatsache, dass die Bürger sehr gerne und sehr deutlich sehen, das auch Leistungsgerechtigkeit im Gerechtigkeitskonzept enthalten ist."
    Offen bleibt dann aber, was passiert, wenn der leistungsgerechte Lohn für die Altersvorsorge nicht ausreicht.