Dienstag, 19. März 2024

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Reihe: Gerechtigkeitsfragen im Theater
"Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!" am Deutschen Theater

Es ist das Jahr 2028, Europa steht vor dem Untergang: Menschen hungern, Krankenhäuser sind geschlossen, Notstandsverordnungen treten in Kraft. Andres Veiel hat mit seiner Co-Autorin Jutta Doberstein eine ausgefeilte Dystopie entworfen, die die Probleme der Gegenwart in die Zukunft denkt.

Andres Veiel im Gespräch mit Anja Reinhardt. Einleitung: Barbara Behrendt | 22.04.2019
Links hängt eine Schauspielerin an einem Seil über der Bühne, sie hält rechts einen Schauspieler an der Hand, der kopfüber herunterhängt
Szene aus "Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!" von Andres Veiel am Deutschen Theater in Zusammenarbeit mit Jutta Doberstein. Mit Susanne-Marie Wrage und Paul Grill. (Deutsches Theater / Arno Declair)
Italien war im Jahr 2023 nach einer Finanzkrise aus der EU ausgetreten. Eine Bankenkrise folgte. Das bedingungslose Grundeinkommen wurde eingeführt - allerdings nach neoliberalem Modell: Die Bürger müssen von 600 Euro sämtliche Sozialleistungen zahlen. Der Staat zieht sich zurück und verliert die Kontrolle über die Märkte.

"Let Them Eat Money" heißt das Stück, das Andres Veiel am deutschen Theater in Berlin inszeniert hat. Das Stück stellt dringliche Fragen an unsere Gegenwart: Wie stoppen wir den Klimawandel, sodass nicht Abermillionen von Menschen ihre Heimat verlieren? Wie gehen wir mit der Digitalisierung der Arbeit um? Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen eine gerechte Lösung sein? Wie kann eine neue Finanzkrise abgewendet werden? Wie kann man dem Zerfall der EU entgegenwirken?

Die Beschäftigung mit diesen Problemen soll den Crash in der nahen Zukunft verhindern. Das Theaterstück ist Teil eines umfangreichen Prozesses der Zukunftsforschung, die Andres Veiel unternommen hat: Nächstes Jahr soll auch eine Konferenz beleuchten, wie man das gewonnene Wissen für die Praxis nutzen könnte.
Anja Reinhardt: Andres Veiel hat sich in seinem Filmen und Theaterarbeiten schon oft mit der Frage der Gerechtigkeit auseinandergesetzt. Da geht es zum Beispiel um das richtige politische Engagement, wie in dem Film "Wer, wenn nicht wir", der von der Rote Armee Fraktion erzählt. Schon vorher hatte er sich dokumentarisch mit der RAF in Black Box BRD beschäftigt. In dem Theaterstück "Das Himbeerreich" versuchte Veiel unser Finanzsystem zu ergründen.
Andreas Veiel, wenn es um Fragen der Gerechtigkeit geht, dann haben Sie ja in Ihrem Theaterstück:"Let Them Eat Money" zum Beispiel gezeigt, dass genau das Gerechte, nämlich das bedingungslose Grundeinkommen, zu Ungerechtigkeit führt. Was ist die Idee dahinter?
Veiel: Erstmal muss ich sagen, dass ich ein großer Befürworter des Grundeinkommens bin. Ich wollte nur in der Auseinandersetzung damit deutlich machen, dass Grundeinkommen nicht gleich Grundeinkommen ist. Dass nun einmal sehr genau darauf geschaut werden muss, wie es eingeführt wird. Das heißt, mit welcher Höhe erstmal, ist es dann wirklich genug? Das ist der Freiheitsgedanke, der mit dem Grundeinkommen verbunden ist, Entlohnung und Arbeit werden getrennt und ich kann dann selbst entscheiden, welche Arbeit ich mache, weil ich nicht mehr so drauf angewiesen bin und dieser Gedanke erfüllt sich nur dann, wenn die Höhe entsprechend ist, dass ich davon leben kann. Wenn alle weiteren Sozialleistungen gestrichen werden, also Wohngeld und Kindergeld und so weiter, dann ist ein niedriges Grundeinkommen einfach gefährlich. Da hat jemand 800 Euro und muß eine hohe Miete, die immer teuerer wird von Jahr zu Jahr bezahlen, das ist sehr gefährlich. Ich glaube, wir müssen sehr genau mitdenken, wie wir es haben wollen, und vor allem, wie es finanziert wird. Damit sind wir wieder bei der ersten Frage, nämlich der Eigentumsfrage. Es geht aus unserer Sicht, und davon spricht das Stück auch, nur mit dem Gedanken der Umverteilung. Dass von oben nach unten neu verteilt wird. Dann ist das Grundeinkommen realistisch. Das ist durchaus eine kleine Revolution, die damit gedacht werden muss.
Filmregisseur Andres Veiel
Filmregisseur Andres Veiel (Foto: Carsten Kampf)
Reinhardt: Aber ist das letztendlich doch ein Ziel, was kaum zu erreichen ist, Sie haben sich ja auch mit der Finanzkrise beschäftigt in Ihrem Stück: "Das Himbeerreich"?
Veiel: Nein, wenn ich gleich unterbrechen darf. Es ist zu erreichen. Es ist sogar relativ einfach zu erreichen, es gibt ganz konkrete Zahlen. Das wurde durchdekliniert, wenn wir ein Grundeinkommen von ungefähr 1200 Euro haben wollen, dann heißt das, dass ab 5000 Euro die Einkommen entsprechend höher besteuert werden müssen, dann hättten wir es finanziert. Also es ist wie immer, wenn wir es wollen, ist es machbar. Es muß eben gewollt werden.
Von der Kunst zur Realität
Reinhardt: Ja, aber auf dieses "gewollt werden" würde ich gerne nochmal zu sprechen kommen. Es geht darum, in welcher Form Sie sich mit diesen politischen Dingen beschäftigen, nämlich letztendlich in der künstlerischen Form. Sie bringen das auf die Bühne, diese Themen. Wie kann das in die Realität einfließen? Das mag ja, wenn man im Theater sitzt auch wirklich alles plausibel klingen und da ist vielleicht auch die Hoffnung, dass dieser Zustand der Gerechtigkeit zur erreichen ist, aber wie kann man das letztendlich in die Realität bringen?
Veiel: Wir wollen ja ganz bewußt in diesen politischen Raum nicht nur hinein denken, sondern auch hinein wirken. Das heißt das Erste ist, dass wir immer wieder nach den Vorstellungen Gäste einladen. Es war zum Beispiel der Arbeitsminister Hubertus Heil da, mit dem wir genau diese Begriffe von Arbeit und Grundeinkommen diskutiert haben.
Reinhardt: Sie sprechen jetzt von dem Symposium: "Rethininking State"?
Veiel: Nein, ich spreche jetzt erstmal von der Situation nach den Vorstellungen des Stücks: "Let Them Eat Money" in Berlin am Deutschen Theater. Nach jeder Vorstellung haben wir einen Gast, darunter sind sehr oft auch Politiker. Da werden genau diese Fragen gestellt: Wie kann man ein Grundeinkommen in den politischen Raum reindenken, wie könnte es denn tatsächlich Schritt für Schritt eingeführt werden? Das ist natürlich schwierig, weil das ein utopisches Modell ist, was noch sehr weit und nicht in den Parteiprogrammen in dieser Form enthalten ist. Aber wenn es erst mal gedacht ist, dann merken wir in den Debatten, dass da immer mehr in Gang kommt. Das heißt, es sind ja immer mehr Menschen, die es wollen und von daher wird sich früher oder später auch in der Politik was bewegen. Es ja immer wieder erstaunlich, was passieren muß, damit etwas passiert und ich glaube, im Moment passiert da von sehr vielen Seiten sehr viel und von daher glaube ich, dass wir in zehn bis fünfzehn Jahren ein Grundeinkommen haben werden.
Künstler als Freidenker
Reinhardt: Wenn man sich jetzt mal anschaut, woher die Impulse kommen für neue Ideen, für eine vielleicht größere Gerechtigkeit, dann kommen die oft aus dem künstlerischen Umfeld. Ob das jetzt das Theater ist, ob das die Kunst ist, oder gemischte Formen. Ich denke da jetzt an das "Zentrum für Politische Schönheit" zum Beispiel. Braucht die Politik, die sich ja auch in einer Glaubenskrise eigentlich befindet, die künstlerische Form?
Veiel: Wir sind natürlich sehr viel freier als Künstler, als Autoren, als Regisseure, weil wir keinen Interessen dienen müssen. Wir müssen nicht wiedergewählt werden. Wir müssen auch keinen Lobbyisten befriedigen. Wir können aus uns heraus, aus unseren eigenen Erkenntnissen, die wir ja mit anderen durch ein Labor und ein Symposium am Deutschen Theater gewonnen haben, aktiv werden. Es gab ja eine lange Vorarbeit. Insofern ist es nicht unser Genius, sondern wirklich eine gemeinsame Arbeit gewesen. Und daraus entwickelt sich etwas, was dann in den politischen Raum hineinwirkt und Viele, die bei uns zu Gast waren, also etwa Politiker, sagen, es ist sehr produktiv, sich mit dieser künstlerischen Form auseinanderzusetzen, weil sie eben nicht durch dieses kleine Hick-Hack von Legislaturperioden, Parteiprogrammen, linkem Flügel, rechtem Flügel usw. immer wieder klein gemahlen werden. Als Künstler können wir natürlich kühner und freier denken. Und diese Freiheit nutzen wir.
Reinhardt: Sie machen das tatsächlich sehr kühn und sehr frei indem Sie ein Zukunftsszenario entwerfen, von dem keiner weiß, ob es wirklich so stattfinden wird, aber Sie setzen erstmal eine doch ziemlich große Krise und versuchen dann zurückzublicken. Das ist ja immer das, was wir machen, wennn wir uns in einer Krise befinden, dann schauen wir, was ist da in den letzten Jahren schief gelaufen? Jetzt entwerfen Sie dieses Szenario, es geht um die EU, es geht um die Form des Staates, ob die überhaupt noch eine Berechtigung hat. Es geht um viele Dinge, mit denen wir uns jetzt schon beschäftigen. Was können wir aus der Utopie lernen?
Veiel: Also erstmal ist es ja eine ganz große Befreiung. Wir gehen zwar in dem Stück: "Let Them Eat Money" am Deutschen Theater in Berlin in die Krise, aber die Krise liegt in der Zukunft. Die liegt 2026, 2027. Da fällt die EU auseinander, aber da wird auch ein Grundeinkommen eingeführt. Das heißt, wir können aus der Perspektive, aus der Zukunft zurück in die Gegenwart denken. Und damit kommen wir in einen Gestaltungsraum rein. Was können wir heute tun, dass das Grundeinkommen richtig eingeführt wird, dass die EU so nicht auseinanderfällt, dass libertäre Marktkräfte doch stärker durch einen Staat eingehegt werden? Oder tatsächlich nicht nur durch einen einzelnen Nationalstaat eingehegt, sondern durch größere, staatliche Einheiten, die EU oder noch besser durch eine wirklich leistungs- und durchsetzungsstarke UN? Alles das kann aus der Zukunft in der Gegenwart bearbeitet werden. Genau das wollen wir tun, das Theaterstück: "Let Them Eat Money" ist praktisch auch nur eine Etappe und wir wollen weitermachen, durch ein neues Symposium, wo wir ganz wesentliche Fragen stellen, die aus diesem Stück herauswachsen. Es geht auch um Klima, um Mobilität, es geht um die Frage von Arbeit und Grundeinkommen. Wir werden diese Fragen weiter durch das Modeling, also in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, verfeinern. Wir werden weiter partizipativ arbeiten, Leute einladen, Gruppen dazu einladen, diese Modelle zu diskutieren und zu verfeinern. Dann werden diese Diskussionen in den politischen Raum zurückgeben. Insofern ist es ein künstlerisch-wissenschaftliches politisches Gemeinschaftsprojekt und wir stehen noch ganz am Anfang.
Zukunft in der Vergangenheit
Reinhardt: Aber Sie haben gewissermaßen auch schon etwas vorweggenommen, wenn wir jetzt mal das Thema Klima nehmen, dann waren Sie möglicherweiseauch überrascht davon, dass genau dieser Fall eingetreten ist, dass die junge Generation der älteren Generation ihre Versäumnisse vorwirft. Das sagt auch die Figur Il Dune in "Let Them Eat Money" an einer Stelle: "Wir werden die zur Rechenschaft ziehen, die unsere Zukunft verbraucht haben". Hat Sie das denn tatsächlich überrascht, dass das, was Sie da entworfen haben, Realität wird?
Veiel: Ja es ist schon merkwürdig, dass wir an ganz vielen Punkten so schnell eingeholt werden. Wir haben eigentlich einen Zeitraum bis 2026-2028 konzipiert. Wir stellen Fragen zur Zukunft der EU, zur Rolle Italiens, betrachten die Herausforderung von neuen Flüchtlingswellen und wie wir damit umgehen. All das benennt das Stück. Und auch die Frage der Rechenschaft. Dass eine Generation der jetzige Generation sagt: "Wir ziehen Euch zur Rechenschaft, die Ihr uns das eingebrockt habt." All das wird thematisiert und zeigt nur, wir waren in gewisser Weise der Zeit vorraus, aber wir sind in Vielem schon eingeholt worden. Also mal schauen, was dann passiert, wenn das Stück weiterläuft, und ob ich es nochmal umschreiben muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.