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Reinhardt: Keine Lösung für die Zukunft des Kosovo

General a.D. Klaus Reinhardt, ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO-Sicherheitstruppe KFOR, hat nach den erfolglosen Kosovo-Gesprächen vor einer gefährlichen Kettenreaktion gewarnt. Sollten die Kosovo-Albaner die Unabhängigkeit erklären, würde das für Unruhe in der ganzen Region sorgen. Einen Kriegseinsatz befürchte er dennoch nicht, betonte Reinhardt.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Es war die letzte Gesprächsrunde zwischen Serben und Kosovo-Albanern. Drei Tage haben die Unterhändler in Baden bei Wien noch einmal nach einer möglichen Lösung gesucht, in der Frage nach dem künftigen Status der Provinz Kosovo. Einig sind sie sich auch diesmal nicht geworden. Nun wird die Zeit bis zum 10. Dezember knapp. An dem Tag will die sogenannte Kosovo-Troika der UNO einen Bericht vorlegen. Über die Zukunft des Kosovo spreche ich nun mit General a.D. Klaus Reinhardt, er ist ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO-Sicherheitstruppe KFOR, guten Morgen, Herr Reinhardt.
    Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Herr Schütte.
    Schütte: Was die Kosovo-Troika , also die USA, die EU und Russland in etwa zehn Tagen dem UNO-Generalsekretär vorlegen wird, ist das der schriftliche Beleg, dass die Diplomatie in der Kosovofrage gescheitert ist?
    Reinhardt: Ja, sie ist gescheitert. Sie hat nun auch viele Jahre lang überhaupt nichts getan und ist erst tätig geworden, als die Bevölkerung selber sehr unruhig wurde. Man hat viel Zeit verpasst. Man wird nun etwas vorlegen, was zu keiner Lösung in der Zukunft führen wird, mit den Konsequenzen, dass sich wahrscheinlich Kosovo einseitig unabhängig erklärt.
    Schütte: Verteidigungsminister Jung hofft, Berichten zufolge, dass es doch noch zu einer Lösung kommt. Ist das mehr als Wunschdenken?
    Reinhardt: Ich weiß nicht, wo er den Wunsch hernimmt. In Baden hat man festgestellt, dass die Situation unverändert so gewesen ist, wie zu Beginn, das heißt, zwei völlig unkompatible Vorschläge oder Vorstellungen, die gegeneinander stehen. Der Ahtisaari-Plan, der ja schon mal vorgeschlagen worden und von den Russen abgelehnt worden ist, ist überhaupt nicht mehr zur Debatte gekommen. Nein, ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, wie es da noch einen Weg aus der Situation heraus geben soll, der politisch sinnvoll ist.
    Schütte: Das heißt, für Sie ist das Szenario realistisch, dass das Kosovo einseitig die Unabhängigkeit erklärt. Das wird Serbien nicht akzeptieren. Mit welcher Reaktion aus Belgrad rechnen Sie?
    Reinhardt: Also wir haben im Grunde genommen die Gefahr einer ganzen Kettenreaktion. Ich gehe mal davon aus, dass wenn die Kosovo-Albaner die Unabhängigkeit erklären, sich die Serben im Norden Mitrowitza und nördlich des Iber-Flusses ihrerseits unabhängig von diesem neuen unabhängigen Kosovo erklären. Das kann die Konsequenz haben, dass die Albaner in Südserbien, im Preševo-Tal, in Bujanova, wo sie ja schon seit Jahren immer wieder den Anschluss versuchen, sagen, wenn jetzt im Norden die Serben unabhängig sich vom Kosovo erklären, wollen wir aus dem serbischen Staatenverbund raus. In Nord-Mazedonien haben die Albaner in den letzten Tagen für erhebliche Unruhe gesorgt. Ich hoffe, dass diese Bewegung nicht auf Nord-Mazedonien überschlägt, denn dann würde das Land dort auch vor einem Auseinanderbrechen stehen und dann ist der Druck aus Belgrad nicht zu übersehen, die sagen, wenn Kosovo unabhängig wird, dann wollen wir gucken, ob wir nicht auch die Republika Srpska aus dem Staatenverbund Bosnien-Herzegowina rausbrechen und an Serbien anschießen können. Das heißt, es kann im worst case sich eine Kettenreaktion auf diesen ganzen Bereich ausdehnen, der mir riesige Sorge macht.
    Schütte: Der US-Unterhändler warnt, der Frieden stehe auf dem Spiel. Droht das Engagement der KFOR von einem Sicherheitseinsatz in einer Art Kriegseinsatz zu rutschen?
    Reinhardt: Ich glaube nicht, dass es deswegen zu einem Kriegseinsatz kommt, weil auch die serbische Armee nicht eine besondere Gefahr darstellt. Aber wir haben ja festgestellt, dass der Guerilla-Krieg, der asymmetrische Krieg von Leuten, die Waffen haben – und Waffen hat dort unten fast jeder – durchaus zu erheblichen Konsequenzen führen kann und ich befürchte, dass die ethnischen Auseinandersetzungen, die die letzen Jahren weitgehend durch KFOR unterdrückt werden konnten, ganz massiv aufbrechen, zumal auch die KFOR-Truppe geringer werden wird. Die europäischen Staaten, und da gibt es ja nun zum Beispiel Spanien, Griechenland, die Slowakei, die sich mit einem unabhängigen Kosovo nicht einverstanden erklären, die werden mit Sicherheit ihre Truppen nicht dort unten lassen, um sie für eine Sache kämpfen zu lassen, von denen sie politisch nicht überzeugt sind. Also hier ist ein Auseinanderbrechen auch der europäischen Einheit im politischen Sinn gesehen durchaus wahrscheinlich.
    Schütte: Sie haben es gerade angesprochen, die KFOR-Truppen sollen eigentlich stabilisieren, ohne Partei zu ergreifen. Diese Neutralität wird es dann nicht mehr geben können.
    Reinhardt: Sie müssen trotzdem beide neutral sein, denn in einer solchen Auseinandersetzung, ich habe es ja wieder und wieder erlebt, können Sie nicht sagen, die eine Seite sind die Guten, die anderen Seiten sind die Bösen. Es wird plötzlich eine Auseinandersetzung im zwischenmenschlichen Bereich, zwischen Nachbarn und innerhalb der Dörfer und Städte stattfinden, wobei man im Grunde genommen für alle Seiten da sein muss, um dem, der angegriffen wird, und das ist in verschiedenen Bereichen unterschiedlich, je nach Mehrheit der ethnischen Gruppe, zu unterstützen.
    Schütte: Die Bundeswehr bereitet sich bereits auf Unruhen vor. Ein Reservebataillon von 500 deutschen Soldaten soll aktiviert werden. Muss die Truppenstärke auf Dauer vielleicht doch erhöht und nicht erniedrigt werden?
    Reinhardt: Also dieses Bataillon ist bereits unten und es gibt zwei weitere Bataillone, die im Stand-by stehen, von zwei anderen Nationen. Ich glaube, man muss mit Sicherheit jetzt sehen, dass diese Reservekräfte, die sich vor Ort bereits auskennen, die schon mal dort gewesen sind, so schnell wie möglich runterkommen, um deutlich zu machen, hier darf es zu keinem gewaltsamen Ausbrechen kommen. Die Frage ist, ob es weitere Kräfte gibt, die, wenn das über den Bereich von Kosovo hinaus gehen sollte, dann zum Einsatz kommen kann.
    Schütte: Sie sprechen eine mögliche Kettenreaktion an. Genau davor hat die Bundeswehr gewarnt, auf der Internetseite. Mühsam erreichte Fortschritte könnten wieder zunichte gemacht werden. Das heißt, die Anstrengungen der Soldaten in den vergangen Jahren könnte in rascher Zeit dahin sein, die Provinz aufzubauen?
    Reinhardt: Die Gefahr besteht sehr wohl, die Soldaten haben das ja bis jetzt blendend gemacht, aber die politische Lösung, die ja im Grunde genommen die Zukunft des Kosovo auch als selbständiger, wirtschaftlicher Staat in irgendeiner Form gewährleisten muss, dass auch von außen Investitionen vorgenommen werden. Im Kosovo werden ja im Augenblick keine Werte produziert, ist ganz wichtig. Und das kann natürlich nicht die Aufgabe der Soldaten sein. Die können nur die innere und die äußere Sicherheit gewährleisten, um auf dieser Basis nun die Regierung und die Wirtschaft wieder aufzubauen, das heißt, die Soldaten sind in einer sehr schwierigen Situation. Alles, was sie getan haben bis jetzt hat stabilisiert, aber die politische Stabilisierung hat nicht stattgefunden und sie haben jetzt wahrscheinlich den Kopf hinzuhalten.
    Schütte: General a.D. Klaus Reinhardt, ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO-Sicherheitstruppe KFOR, vielen Dank für das Gespräch.
    Reinhardt: Bitte schön, Herr Schütte.