Archiv


Reinhardt: NATO ist stabilisierender Faktor in Afghanistan

Der ehemalige Bundeswehrgeneral Klaus Reinhardt hat die Entscheidung der NATO begrüßt, die Truppenstärke in Afghanistan auf 16.000 Soldaten aufzustocken. Dies sei der einzige Weg, im gesamten Land eine stabile Demokratie zu etablieren, sagte Reinhardt im Deutschlandfunk. Zur Zeit würden noch viele Gegenden von Warlords kontrolliert. Die NATO-Soldaten müssten dabei helfen, die Macht des Staates zu festigen.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Über die bisherigen Ergebnisse und Ziele des NATO-Treffens möchte ich jetzt sprechen mit General a.D. Klaus Reinhardt, schönen guten Morgen.

    Klaus Reinhardt: Guten Morgen Frau Klein.

    Klein: Lassen Sie uns bei den aktuellen Dingen zunächst bleiben. Die Entscheidung, die NATO bleibt in Afghanistan, sie weitet ihren Einsatz aus, ganz ungeachtet der Proteste, die es jetzt im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit gegeben hat: eine richtige Entscheidung?

    Reinhardt: Ich glaube schon. Die NATO ist nun seit Jahren dort ein stabilisierender Faktor in einem, meine ich, ganz wichtigen Experiment: einen islamisch sehr fundamentalistisch orientierten Staat in eine modernen Demokratie überzuführen. Die ersten Erfolge mit der Regierung Karsai, mit einem eigenen Parlament sind ja ausgesprochen positiv. Es wäre geradezu absurd, sich wegen dieser Dinge jetzt aus diesem Land vertreiben zu lassen, sondern es geht darum, dieses Experiment schrittweise zu einem demokratischen Staat zu überführen.

    Klein: Im Land bleiben ist das eine, Ausweitung des Einsatzes in den ja wesentlich instabileren Süden des Landes das andere. Also die Bedenken, die immer wieder vorgebracht werden dagegen, teilen Sie nicht?

    Reinhardt: Natürlich ist es kritisch und deswegen schickt man ja auch Soldaten und nicht nur zivile Hilfsorganisationen. Aber das Land wird zum Teil noch beherrscht von den so genannten Warlords, den Leuten, die die Macht haben, die Soldaten und Milizkämpfer unter sich haben und die auch den ganzen Drogenanbau kontrollieren. Wenn man dort nicht hineingeht und sie schrittweise zurückdrängt und die Regierungsgewalt von Karsai, also die offizielle Gewalt von Afghanistan und die Regierungsmacht unterstützt - und genau darum geht es, diese neue Regierung zu unterstützen, dass sie das gesamte Land schrittweise unter Kontrolle bekommt - dann wird der gesamte Ansatz keinen Erfolg haben. Ich halte diesen Ansatz, wie er jetzt läuft, schrittweise zu erweitern, die afghanischen Streitkräfte aufzubauen, die afghanische Polizei aufzubauen, die Regierung auch außerhalb Kabuls zu stärken, als den einzig richtigen Weg, der natürlich risikobeladen ist, da gibt es überhaupt keine Frage.

    Klein: Braucht die Truppe dort mehr Kompetenzen wegen der Risiken?

    Reinhardt: Ich glaube, die Truppe hat die Kompetenz. Und wenn ich sehe, was den deutschen Soldaten dort an Möglichkeiten gegeben ist, dann können die sich im Grunde genommen schon so auswirken, wie sie das sich vorstellen und haben eine große Handelsfreiheit. Das Entscheidende ist, dass die Staaten, die nun gesagt haben, wir schicken auch Truppen über die 9000 hinaus, damit man auf das Gesamtziel von 16.000 kommt, dass die das auch wirklich machen, dass es nicht bei Versprechungen und Absichtserklärungen bleibt, sondern, dass sie, wenn es auch Schwierigkeiten gibt, wie jetzt gerade bei den Niederländern, letztendlich zu ihrem Wort stehen, damit die NATO mit einer größeren Präsenz den Warlords im Lande im Grunde genommen entgegen treten kann und damit die Zentralregierung stärken kann.

    Klein: Wir müssen bei dem Problem uns noch kurz die Frage des Drogenanbaus anschauen in Afghanistan. Wie sollte damit ihrer Meinung nach umgegangen werden?

    Reinhardt: Also im Augenblick ist ja der Ansatz so, dass das Militär beim Drogenanbau sich nicht einmischen darf, um nicht mit allen dort überkreuz zu kommen, sondern dass der Drogenanbau durch die Regierungsorganisationen der afghanischen Regierung unter Kontrolle genommen wird. Das scheint im Augenblick nicht zu laufen. Ich kenne mich letztendlich zu wenig aus, aber ich glaube, dass man mit Sicherheit auch mit den militärischen Kräften die dortigen Regierungskräfte massiv unterstützen möchte, wenn man dieses Problem des Drogenanbaus - dass das zentrale Problem auch der Kriminalität im Lande ist - wenn man das in den Griff kriegen möchte.

    Klein: Lassen Sie uns einen Blick werfen auf die Frage nach einem anderen Auslandseinsatz: Stichwort Kongo. Wir hören, es gibt noch kein abschließendes Meinungsbild im Kabinett, so hat sich der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier gestern geäußert. Heute schreibt die Welt, es ist eigentlich schon halbwegs beschlossene Sache, dass 300 bis 500 deutsche Soldaten dort hingeschickt werden. Wie sehen Sie das?

    Reinhardt: Wir haben ja die Situation, dass die UNO die EU gebeten hat, bei den Wahlen im Kongo mit entsprechend zusätzlichen Truppen zu unterstützen und die Europäische Union gesagt hat, dann können wir Teile einer Battle Group schicken, die im Augenblick gerade durch deutsche Truppen gestellt werden. Das ergibt sich rein zufällig so, dass wir im Augenblick dran sind. Ich weiß nicht, was die Erkundungsergebnisse gebracht haben, aber auch hier: Wenn die EU es wirklich wahr machen möchte, wie sie in ihrer europäischen Sicherheitsstrategie niedergelegt hat, dass Afrika im Grunde genommen unser Nachbarkontinent ist, bei dessen Stabilisierung wir mitwirken und wenn wir sehen, dass der Kongo allein, ohne Hilfe von Außen, wahrscheinlich die Wahl nicht durchziehen kann, dann halte ich diese Wahlunterstützung für durchaus reell und auch sinnvoll.

    Klein: Das heißt nun, der Einsatz soll von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht werden. Von welchen soll der abhängig gemacht werden?
    Reinhardt: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich diese Details, die die Bundesregierung dort damit verbunden hat, nicht kenne. Ich kann nur sagen, es sind bereits ja nun UNO-Kräfte im Kongo, die durch diese europäischen Kräfte verstärkt werden sollen, um dem Land die Chance zu geben, demokratisch zu wählen. Und hier geht es nicht um einen Kriegseinsatz, sondern hier geht es um eine Stärke, eine Show Of Force, die die UNO zusammen mit der Europäischen Union vor Ort zeigen möchte und das halte ich für politisch vernünftig und gangbar.

    Klein: Lassen Sie uns einen Augenblick in die Zukunft schauen: Stichwort Reform der NATO hin zu einer globalen Sicherheitsorganisation. Im November sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden, soll diese Reform in Angriff genommen werden. Was ist aus Ihrer Sicht der wichtigste Schritt, der zu erst gegangen werden muss?

    Reinhardt: Zunächst meine ich, ist es absolut richtig, was der frühere Bundeskanzler und auch jetzt Angela Merkel auf der Sicherheitskonferenz in München gesagt haben, dass die NATO sich verstärkt in den gesamten Bereich der Sicherheit einklinken soll und nicht wichtige Fragen ausschalten soll. Das Zweite ist, dass wir mit der NATO Response Force, also der NATO-Eingreiftruppe, ein Problem haben, dass die Länder, die Teile der Eingreiftruppe stellen, für deren Einsatz, für deren Verlegung auch finanziell aufkommen müssen, mit der Konsequenz, dass Länder sagen, ich gehe gar nicht in die Eingreiftruppe, dann werde ich finanziell auch nicht betroffen. Das heißt, die, die die Kräfte stellen, müssen dafür auch noch zahlen und das ist eines der großen Probleme im Augenblick, die geklärt werden müssen, dass die Kräfte, die keine oder die Länder, die keine eigenen Kräfte für einen solchen Einsatz stellen, trotzdem finanziell beteiligt werden können, um einfach die Lasten gleichmäßiger innerhalb der NATO zu verteilen. Ich glaube, das ist die zentrale Frage schlechthin, die damit verbunden ist: Was wollen die Länder der NATO tatsächlich an Kräften für eine solche Eingreiftruppe bereitstellen?

    Klein: Die zentrale Frage, die ja auch im Moment in Taormina diskutiert wird. Aber wie schätzen Sie denn die Bereitschaft in NATO-Staaten ein, sich finanziell über das hinaus zu engagieren, was jetzt im Moment gefragt ist?

    Reinhardt: Die Staaten müssen ja nicht mehr stellen als bisher. Alle haben gesagt, wir wollen die NATO Response Force. Das hat man auf dem Gipfel in Prag 2002 groß versprochen und nun geht es darum, dass die Versprechen Wirklichkeit werden und dass die Einsätze finanziell gleichmäßig verteilt werden. Es betrifft also alle Nationen, es geht darum nicht mehr Geld auszugeben, sondern dass alle Nationen ihren gleichen Anteil für einen solchen Einsatz bereitstellen und da gibt es im Augenblick noch Schwierigkeiten. Aber ich gehe davon aus, dass das mit Sicherheit bis zum Gipfel von Riga geklärt sein wird.

    Klein: Können Sie sagen, was für Sie ein Kompromiss wäre, der realistisch ist?

    Reinhardt: Für mich wäre der Kompromiss, dass bei der Verlegung der Truppe, wo ja die meisten Kosten anfallen, durch den Transport, durch die Logistik, dass dort alle Kräfte, alle NATO-Staaten nach einem einheitlichen Schlüssel zahlen und dass dann, wenn die Kräfte im Einsatz sind, die Nationen, die dort ihre Kräfte dabei haben, für den Einsatz ihrer eigenen Kräfte voll verantwortlich, das heißt auch finanziell verantwortlich, bleiben.

    Klein: Wo glauben Sie, liegt da das größte Hindernis, dass es bisher noch nicht zu dieser Einigung gekommen ist?

    Reinhardt: Weil viele Staaten hoffen, da nicht Mittel bereitstellen zu müssen, aber trotzdem den Schutz der NATO beanspruchen zu können. Und Das geht nicht. Man kann nicht auf der einen Seite sagen: Helft mir, aber ich selber ziehe mich zurück. Das ist im Grunde genommen eine ganz hochpolitische Entscheidung, dass die Nationen, die nun in der NATO sind, sich zu ihren Zusagen stellen. Alle Nationen, alle Staatschefs haben ja diese Zusagen unterschrieben. Nun geht es darum, dass das auch umgesetzt wird.

    Klein: Ein anderer aktueller Fall, der heute wohl auch noch eine Rolle spielen wird, darüber möchte ich zum Schluss unseres Gespräches noch kurz mit Ihnen reden: der Streit um die Karikaturen, Ausbrüche von Gewalt in islamischen Staaten. Darüber wollen die NATO-Verteidigungsminister mit ihren Kollegen aus sechs Mittelmeeranrainerstaaten sprechen. Aus Ihrer Sicht: Welchen Einfluss kann ein NATO-Minister in dieser Hinsicht üben?

    Reinhardt: Ich weiß nicht, ob ein einzelner NATO-Minister was ausüben kann, aber die sechs Staaten sind muslimische Staaten, auf die man einwirken kann, in dem man deutlich macht, die Karikaturen sind mit Sicherheit nicht das absolut beste gewesen. Darüber hat man ja nun sich auch in der EU, in der UNO sehr stark geäußert, aber es kann nicht sein, dass auf derartige Karikaturen eine so große Gewalt ausbricht. Und wenn man in der Zusammenarbeit mit diesen muslimischen Staaten eine gemeinsame Basis finden kann, wie man bei derartigen Dingen vorgeht, um mehr Verständnis wirbt, auch für die Frage unserer Pressefreiheit, dann glaube ich, ist das ein Weg, den man durchaus gehen soll. Es lohnt sich. Ich weiß nicht, was dabei rauskommen soll, aber man hat hier einen Konsens generell im politischen Bereich. Warum den nicht auf diesen Bereich ausdehnen?