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Rekordversteigerung mit "Geschmäckle"

Vor der Versteigerung von Edvard Munchs "Der Schrei" bei Sotheby's in New York kommen Fragen auf nach der Herkunftsgeschichte des Gemäldes. Der Vorbesitzer Hugo Simon, ein jüdischer Bankier, hat es 1937 verkauft - ob zu einem angemessen Preis oder unter Zwang, ist nicht restlos geklärt.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Der Verlust von Mutter und Schwester in jungen Jahren hatte sich tief in die Psyche des jungen Edvard Munch eingegraben. Nach einer Nervenkrise und einem achtmonatigen Aufenthalt in einer Kopenhagener Anstalt kehrte der Künstler 1909 in seine Heimat nach Norwegen zurück. Als manisch-depressiven Menschen würden ihn Psychologen heute bezeichnen. Seine Bilder wurden zu Ikonen der Todesfurcht, der Weltangst und der Beklemmung des modernen Menschen. Sein Bildnis "Der Schrei" – visualisierte Akustik des Schmerzens: das schädelartige Gesicht, die Hände über den Ohren, die Konturen des Himmels, des Meeres, der Brücke wie Schallwellen. In vier Versionen hat Munch das Motiv gemalt, eine 1895, eine Pastellversion. Die, die einzige in Privatbesitz, wird heute Abend bei Sotheby's versteigert. Der Schätzwert liegt bei 80 Millionen Dollar. Das Bild gehört dem Norweger Petter Olsen, seine Familie hat es vom deutsch-jüdischen Bankier Hugo Simon gekauft, nach 1933. Und hier beginnt die Geschichte spannend zu werden. Stefan Koldehoff, welche Verkaufgeschichte hat dieser Schrei?

    Stefan Koldehoff: Na ja, man weiß nicht so genau, wie denn die Verkaufsumstände waren. Was man weiß ist, dass Hugo Simon selbst das Bild 1926 gekauft hat, dass er als Jude, als Bankier, als SPD-Mitglied, als Freund von Albert Einstein, Heinrich Mann, Thomas Mann, Stefan Zweig sehr schnell ins Exil musste, weil er von den Nationalsozialisten zum Staatsfeind erklärt worden war, mit Berufsverbot belegt, sein Vermögen eingezogen worden war. Er hat dann sehr schnell Deutschland verlassen in Richtung Frankreich, nach Paris zunächst mal, später nach Südfrankreich und dann ist ihm die Flucht nach Südamerika gelungen, und man weiß, dass er sehr früh schon versucht hat, nämlich im Oktober 1933, den Schrei zu verkaufen, über eine Amsterdamer Kunsthandlung. Das ist offenbar aber nicht gelungen. Er hat es dann nämlich geschafft, das Bild 1936 im Kunsthaus Zürich einzulagern und von da dann ein Jahr später oder im folgenden Jahr, Januar 1937, an einen Kunsthändler nach Stockholm zu geben, der es schließlich an Familie Olsen verkauft hat.
    Ob jetzt aber tatsächlich dafür ein angemessener Preis gezahlt wurde, ob dieser Preis auch jemals bei Hugo Simon angekommen ist, das steht alles ziemlich in Frage, denn die Erben, die heute noch in Südamerika leben und zu denen ich Kontakt hatte, die beschreiben die Lebensumstände der Familie nach der Emigration als äußerst ärmlich, sodass also durchaus der Verdacht besteht, das Bild musste unter Zwang abgegeben werden, um den Lebensunterhalt zu finanzieren, und möglicherweise ist nie ausreichendes Geld bei Familie Simon angekommen. Wie gesagt: spekulativ, aber solange das nicht bewiesen ist, bleibt der Verdacht bestehen.

    Schmitz: Und einer der Nachfahren von Hugo Simon, nämlich Rafael Cardoso in Brasilien, mit dem Sie gesprochen haben, Herr Koldehoff, kritisiert die Versteigerung. Warum?

    Koldehoff: Weil er sagt, wir stehen seit vielen Jahren mit Sotheby's in Kontakt und wir haben die gebeten, zu einer gütlichen Einigung auch mit uns zu kommen. Wir als Familie wissen, dass wir rechtlich überhaupt keine Ansprüche mehr haben. Was damals geschehen ist, wie auch immer es geschehen ist, ist längst verjährt, also juristisch können wir da nichts mehr durchsetzen, aber wir glauben, dass wir moralisch einen Anspruch haben, gefragt zu werden, und eigentlich hätten wir schon auch gerne eine Kompensation dafür, dass das Bild unter Druck abgegeben werden musste. Es hat wohl ein Angebot gegeben von der Familie Olsen an die Nachfahren von Hugo Simon in Höhe von 250.000 Dollar, allerdings mit der Bedingung, dafür müsse eine Stiftung gegründet werden, und da hat die Familie gesagt, nein, also wir lassen uns nicht noch mal vorschreiben, was mit unserem Eigentum denn geschieht. Man hat das abgelehnt.
    Wenn man jetzt sieht, dass Sotheby's schon im Februar diesen Jahres die große Pressemitteilung herausgegeben hat, hurra, wir haben den "Schrei", wir werden ihn versteigern, und dass in diesen fünf Seiten Press Release keine einzige Zeile über Hugo Simon verloren wird, sondern man mehr das Ganze so beschreibt, dass Familie Olsen, als dann Edvard Munch in Deutschland als verfemt, als entartet galt, Bilder von ihm gerettet hat, dann klingt das mehr so, als habe man das Bild mehr oder weniger direkt von Munch erworben. Dass da ein jüdischer Sammler dazwischen war, der verfolgt wurde, der verkaufen musste, davon keine Rede, und dadurch bekommt das Ganze schon eine Art Geschmäckle.

    Schmitz: Die Washingtoner Erklärung oder das Washingtoner Abkommen zur Restitution von Nazi-Raubkunst greift hier nicht. Warum?

    Koldehoff: Weil diese Erklärung 1998 nur für Bilder in öffentlichem Besitz, also in Museen, die dem Staat, den Ländern, den Kommunen gehören, verabschiedet wurde. An Privatbesitz heranzukommen, auch wenn er beweisbar in der NS-Zeit enteignet wurde, da ist alles längst verjährt, da gibt es keine Chance mehr.

    Schmitz: Wie bewerten Sie denn den Fall, ganz aus einer sehr distanzierten Perspektive, die nicht juristisch sein kann?

    Koldehoff: Es wäre klüger gewesen – und das hat es im Fall Hugo Simon verschiedentlich gegeben -, wenn man sich vorher geeinigt hätte mit den Erben. Es gab verschiedene Hugo-Simon-Bilder, die auf Auktionen gekommen sind. Dann wäre auch nicht mehr der Schatten eines Verdachts auf dieser Auktion.

    Schmitz: Stefan Koldehoff, vielen Dank für diese Erläuterungen zur Versteigerung des Munch-Gemäldes "Der Schrei" heute bei Sotheby's in New York.