Freitag, 19. April 2024

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Rekordzahlen in Museen
Schicke Schau statt kluger Inhalt?

Immer mehr Menschen gehen in Museen und strömen in Ausstellungen. Die Zahlen sind gut, aber sie sagen wenig über die Qualität aus, findet Kunstkritiker Carsten Probst. Er fürchtet, dass bei Museumsmachern kunsthistorische Expertise allein nicht mehr ausreiche. Gefragt sei der Typ des Museumsmanagers.

Carsten Probst im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 19.12.2018
    Burg Museum Moritzburg während der Klimt Ausstellung 2018, Halle an der Saale
    Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) während der Klimt-Ausstellung 2018 (imago / Jürgen Ritter)
    Stefan Koldehoff: 114.375.732 Menschen haben im vergangenen Jahr – also 2017 – ein Museum besucht. Die Zahlen kommen trotz elektronischer Kassen immer mit fast einem Jahr Verspätung, sind aber trotzdem beeindruckend. Das ist nämlich schon wieder eine Steigerung um 2,2 Prozent. Und das sind immer noch sehr sehr sehr viel mehr Menschen als die, die im selben Jahr eine Sporthalle oder ein Stadion besucht haben. Mein Kollege, der Kunstkritiker Carsten Probst, hat gehörig zu dieser Rekordzahl beigetragen. Ihn habe ich aber gefragt, was diese Zahlen eigentlich aussagen: Gibt es immer mehr große tolle Ausstellungen, in die die Massen strömen? Oder haben die Museen kontinuierlich steigenden Zulauf – und man bekommt es nur nicht so mit … ?
    Carsten Probst: Man muss mit diesen Nutzerzahlen auch immer ein bisschen vorsichtig umgehen, finde ich. Das sind ja fast so was wie die Einschaltquoten in den Museen. Und in diesem Jahr fällt natürlich auch der eklatante Widerspruch zur prekären Situation einiger Häuser auf. Sicherlich muss man sagen, die Erfolgsbesucherzahlen sagen erst einmal relativ wenig über die Qualität der Programme aus. Und auch über die Situation nach der letzten documenta konnte man ja - obwohl die jetzt kein Museum im engeren Sinne ist - aber doch ziemlich unmittelbar erleben, wie problematisch wichtig diese Zahlen einfach sind: gerade für das Verhältnis von Museen, gerade öffentlichen Museen, und Politik, Kulturpolitik. Die Besucherzahlen waren erstmals seit Jahrzehnten bei der documenta rückläufig, und schon war es für die Stadt Kassel und das Land Hessen fast wie ein Weltuntergang. Das ganze documenta-Konzept wurde plötzlich in Zweifel gezogen, und es hieß, man müsse wieder publikumsorientierter werden.
    Und die Museen selbst arbeiten ja eigentlich mittlerweile, oder seit vielen Jahrzehnten, daran, Besucherzahlen kontinuierlich zu steigern und hochzuhalten. Das geht bis in die Architektur. Also ich finde das gerade aktuell wunderbar zu beobachten an den Diskussionen rund um die neuen Bauhausstandorte, die Bauhaus-Museenstandorte, die derzeit entstehen. Vor allem im Hinblick auf den Neubau des Bauhausarchivs in Berlin, der ja eigentlich gar kein Museumsneubau mehr sein wird, sondern eigentlich ein riesiges, gläsernes Foyer, wo man sich dann aufhalten soll, Kaffee trinken soll, vielleicht so ein paar Informationsfilme anschauen kann, Veranstaltungen besuchen kann. Aber eigentlich soll der Bau die Leute erst einmal explizit nur zum Aufenthalt verführen, ohne dass die sich gezwungen fühlen sollen, das Museum zu besuchen. Man setzt also sehr auf diese Form von Niederschwelligkeit. Die Besucherzahlen, die da hineinfallen, sagen herzlich wenig darüber aus, wie es inhaltlich um die Museen bestellt ist.
    Zweckdenken und der Wunsch zu verkaufen
    Koldehoff: In Wuppertal hat eine Museumsdirektorin vor vielen, vielen Jahren mal alle Cafébesucher als Museumsbesucher mitgezählt: übrigens auch die Handwerker, die während der Renovierungsarbeiten immer rein und raus und rein und raus sind. Finden Sie denn, dass die Qualität der deutschen Museen sich nicht widerspiegelt in den Zahlen? Habe ich Sie da richtig verstanden?
    Probst: Ja, das ist eben dieses etwas unselige Verhältnis der Abhängigkeit von Zuschüssen und von Förderungen. Daran wird von Seiten der Kulturpolitik relativ häufig gemessen, wie gut, wie erfolgreich, wie sinnvoll, wie Standortfaktor-relevant ein Museum ist. Ich würde sagen: Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied, ob man auf Zahlen schaut oder eben von fachkundiger Seite her beurteilt, wie sinnvoll ein Programm ist. Also dieser Switch, welcher Zweck und welcher Inhalt mit einem Museum verfolgt wird, hat in den letzten Jahrzehnten doch deutlich in Richtung Zweckdenken ausgeschlagen. Hat sich verändert in der Hinsicht, dass man erst einmal denkt: Das wäre eine gute Idee für eine Ausstellung. Aber dann der zweite, zentrale Gedanke: Wie richten wir das eigentlich her, dass möglichst viele Besucher kommen, dass möglichst viele das verstehen, dass möglichst viele die Merchandising-Artikel kaufen? Und das ist, glaube ich, der entscheidende Turn dabei.
    Abhängigkeit vom Standort
    Koldehoff: Das spiegelt sich zum Teil ja auch in den Museumsshops wider, wo man kaum noch Bücher und Kataloge findet. Wie sieht es denn beim Führungspersonal aus? Wenn man jetzt, im Dezember 2018, mal in Gedanken durch die deutschen Museen streift, dann stellt man fest: Da sind viele Direktorenjobs im Moment vakant. Und an vielen Stellen, wenn man sich die Ausschreibungen dazu dann kommen lässt, dann ist auch gar nicht mehr so ganz klar: Sind da überhaupt noch Kunsthistoriker gefragt, oder nicht eher Manager? Das würde ja zu dem passen, was Sie gerade beschrieben haben.
    Probst: Ja, das finde ich auch. Ich musste gerade wieder an Werner Hofmann denken, den legendären Leiter der Hamburger Kunsthalle, also dieses selbstbewusste Standing von Leuten wie ihm, die so aus brillanter kunsthistorischer Expertise oft mit ganz einfachen Sammlungsausstellungen ganz neue Zugänge zur Kunstgeschichte geöffnet haben. Die wären heute fast so ein bisschen aus der Zeit gefallen. Das reicht gar nicht mehr, diese fachliche Expertise. Der Idealtyp, so finde ich, des heute passenden Museumsmanagers wäre eigentlich eher so jemand wie Max Hollein, der es versteht, aktuelle Themen mit Kunst aufzugreifen, natürlich auch eine kunsthistorische Expertise hat, aber eben auch ein Know-how, wie man das entsprechend vermarktet.
    Die Leute kommen dann eben nicht mehr nur ins Museum für die Ausstellung, sondern sie kommen für das eigens kreierte Drumherum herein. Und natürlich auch wegen der Aktualität, und das macht heute eigentlich den entscheidenden Faktor aus. Wir sehen das ja gerade bei vielen Notlagen von Museen. Sie sprachen von Wuppertal, wo Ausstellungen regelrecht gecancelt wurden. Wir können auch von Leverkusen sprechen, wo das ganze Museum zeitweilig in Frage stand. Das sind Städte, die nicht ganz selbstverständlich einfach größere Etats für Kultur oder Museen haben, und die gerade deswegen darauf angewiesen zu sein scheinen, sage ich jetzt einmal, dass das Museum sich nicht nur selbst trägt, sondern Leute in die Stadt zieht, die normalerweise nicht nach Leverkusen kommen würden. Also hier haben wir eine relativ verhängnisvolle Abhängigkeit vom Standortfaktor.