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Religiöses in der NS-Sprache
Heil Hitler statt Seelenheil

Der Linguist Matthias Heine hat "verbrannte Wörter" zusammengestellt, die in der Nazizeit geprägt wurden und bis heute gebraucht werden. Darunter sind auch solche mit religiösen Bezügen: Opfergang und Heil zum Beispiel.

Von Mechthild Klein | 11.04.2019
    Massenveranstaltung während der NS-Diktatur: Die Bevölkerung mit zum Hitlergruß erhobenem rechten Arm beim Aufmarsch der Fahnen während einer Erntedankfeier auf dem Bückeberg bei Hameln (undatiert)
    Massenveranstaltung während der NS-Diktatur: Die Bevölkerung mit zum Hitlergruß erhobenem rechten Arm beim Aufmarsch der Fahnen während einer Erntedankfeier auf dem Bückeberg bei Hameln (picture-alliance / dpa)
    Der Nationalsozialismus hatte eine eigene Sprache, viele Wörter waren nicht neu, sie wurden jedoch umgedeutet. Nicht nur, aber auch aus dem Vokabular der Religionen bedienten sich die Ideologen. Der Historiker und Linguist Matthias Heine hat in seinem Buch "Verbrannte Wörter" 80 Begriffe untersucht, die in der Nazi-Zeit neu geprägt wurden. Darunter sind auch religiöse Begriffe. Der wichtigste greift den Opfer-Gedanken auf.
    Opfergang - der Lieblingsbegriff der NS-Rhetorik sollte den Tod von Menschen im Kampf um das Deutschtum mythisch überhöhen. Das Wort war am Ende der NS-Zeit als Ausdruck hoher Moral so etabliert, dass es in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen schwärmerisch gebraucht werden konnte.
    Von Heldentod und Opfergang
    "Opfergang ist in der Tat in diesem Glaubensbekenntnis an die neue Religion den Nationalsozialismus oder in diesem Glauben ein zentraler Begriff. Man spricht in Zusammenhang mit Heldentod und ähnlichen Dingen von Opfergang", sagt der Autor Matthias Heine. "Das Interessante daran ist, dass es ursprünglich gar nicht in der religiösen Sprache, in der eigentlichen religiösen Sphäre gar nicht die Bedeutung hatte, die es heute hat. Sondern es bezeichnete einen prozessionsartigen Gang durch die Kirche, bei dem Spenden eingesammelt wurden. Die Kollekte gewissermaßen. Das lässt sich auch nachweisen anhand von Quellen, das ist keine Erfindung von mir, sondern das war so."
    Der Opfergang war ursprünglich ein Brauch in der Kirche, der bis zum Ende des Mittelalters praktiziert wurde. Es war eine Ehre für den Spender, dass er oder sie nach vorne zum Altar ging und Essensgaben darbrachte, sozusagen opferte. Später war es dann Geld. In einigen Ländern war der Brauch des Opfergangs bis ins 20. Jahrhundert lebendig.
    "Und dieser mythisch aufgeladene Begriff kommt dann erst in den 1920er Jahren in dem Roman 'Volk ohne Raum' auf. Da wird dann Opfergang bezogen auf Deutsche im Ausland, die von Slaven und anderen Gruppen unterdrückt und niedergemacht werden."
    Als die Siegesmeldungen ausbleiben
    Der Roman von Hans Grimm ist ein Schlüsselwerk zur Vorbereitung der nationalsozialistischen Ideologie. Der Einzelne soll sein Leben geben fürs Vaterland, der Tod dient einem höheren Ziel als dem militärischen Sieg, so suggeriert es die NS-Propaganda, vor allem, als die Siegesmeldungen ausbleiben.
    "Dann spielt es eine große Rolle in der NS-Ideologie im Zusammenhang mit den Abwehrkämpfen. Man liest es auch: Der Opfergang der Sechsten Armee in Stalingrad und solche Dinge."
    Nach jeder Begriffserläuterung gibt Matthias Heine eine Empfehlung: Kann man das Wort noch benutzen oder nicht? Wer das Wort Opfergang heute verwendet, schreibt er, der solle prüfen, "ob er sich nicht die gleiche aufgeblasene, kitschige und quasireligiöse Todesverherrlichung zu eigen macht wie die Nazis".
    "Es geht nicht um generelle Wortverbote, um Sprachpolizei oder etwas ähnliches. Es geht vor allem um Aufklärung und um Neugier. Ich finde es auch interessant, woher die Wörter kommen und inwieweit die Wörter und ihre Geschichte durch die NS-Zeit beeinflusst und mitgeprägt wurde."
    Seelen-Heil
    Ein anderes Beispiel der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten ist der Begriff "Heil". Zum Beispiel im Hitlergruß, der heute verboten ist.
    "Heil - ist klar - in Zusammenhang mit dem Seelenheil - hat in den germanischen Sprachen, im Englischen auch seit über Tausend Jahren einen religiösen Beiklang. Wurde dann schon mit Mittelalter auch als Grußformel benutzt. Man wünschte sich Heil. Und dann in der Nazi-Zeit eben in dieser Grußformel "Heil Hitler" quasi wiederbelebt."
    "Heil Hitler - Vor allem in den ersten Jahren nach Einführung des sogenannten Deutschen Grußes im Sommer 1933 wurde ein starker Druck ausgeübt, von nun an mit "Heil Hitler" zu grüßen. Victor Klemperer berichtete in seinem Tagebuch über seine Nachbarin, deren Mann bei der Reichspost arbeitete: ein Kollege ihres Mannes sei Knall auf Fall entlassen, weil er nicht mit Armaufheben gegrüßt habe."
    Zum Hitlergruß erhob man den rechten Arm – der Begrüßte erwiderte die Geste. Wer das nicht machte, dem drohte nicht nur Jobverlust, sondern auch Gefängnisstrafe oder Konzentrationslager – was einem Todesurteil gleichkam.
    "Und Tilman Allert, der Soziologe, der eine Monographie über den Hitlergruß geschrieben hat, interpretiert das als eine quasireligiöse Bekenntnisformel mit der man Hitler als eine Art Gott-ähnliche Figur anerkennt und von ihm das Heil sich wünscht. Was dann mit einem Abwinken gewährt wird."
    Glaube an den Messias
    Die NS-Zeit ist auch durch einen unerschütterlichen Glauben an den Führer geprägt, bei der Hitler sich Messias-ähnlich inszenierte. Zum Credo der NS-Ideologie gehörte eben auch der Glaube an den Führer, den Erlöser.
    "Das ist ein zentraler Begriff dieser neuen Religion als der sich der Nationalsozialismus ja inszeniert hat. In meinem Buch zitiere ich einen Schulaufsatz aus den frühen 1930er Jahren, in dem Hitler mit Jesus verglichen wird. Und vom Glaube an Hitler, vom Glaube an den Endsieg in einem quasireligiösen Sinne ist in der NS-Zeit sehr sehr oft die Rede.
    Dass das was Religiöses hatt und nicht rational begründet ist, zeigt sich auch daran, dass dieser Glaube an den Führer und der Glaube an den Sieg noch 1945 als dann wirklich nichts mehr zu erhoffen war, von einfachen Leuten auf der Straße immer noch beschworen wird. Man glaubt in einem quasireligiösen Sinne daran, dass der Führer als gottähnliche Gestalt noch irgendwas bewirken wird. Obwohl alles, was man in der Realität beobachtet, längst dagegen spricht."
    Das Nazi-Glaubensbekenntnis
    Man wartete also auf Wunder.
    Auch wenn die Nationalsozialisten religiös aufgeladene Bilder nutzten, von Gott war nie die Rede, allenfalls vom Allmächtigen oder von Vorsehung, wie Heine sagt. An die Stelle von Gott-Vater, -Sohn und Heiliger Geist trat das Nazi-Glaubensbekenntnis: ein Volk, ein Reich, ein Führer.
    "Das hat man sehr bewusst gemacht, weil man auch an religiöse Sprache anknüpfen wollte. Man muss dazu sagen, dass es in Deutschland keine Tradition öffentlicher demokratischer Rede gab, lange Zeit so wie in England oder Frankreich. Nur eine Tradition öffentlicher Rede in Kirchen, an die man in der Frühzeit des öffentlichen politischen Sprachgebrauchs angeknüpft hat."
    Religiöse Begriffe gehörten eben auch zum Grundwortschatz der nationalsozialistischen Propaganda, neben Begriffen aus Technik und Sport, sagt Heine. Das fiel auch Papst Pius XI. auf. Der warnte 1937 in seiner Enzyklika "Mit brennender Sorge" die deutschen Katholiken. Er schrieb damals: "Ein besonders wachsames Auge, Ehrwürdige Brüder, werdet ihr haben müssen, wenn religiöse Grundbegriffe ihres Wesensinhaltes beraubt und in einem profanen Sinne umgedeutet werden."