Donnerstag, 25. April 2024

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Religion in Rumänien vor 1989
Verrückte Kirchen in Bukarest

Wer die Kirche nicht mag, der sprengt sie. So geschehen in der DDR. Auch in Rumänien ließ der sozialistische Diktator Ceauşescu abreißen. In einigen Fällen wurden Kirchen im Zentrum Bukarests aber auch versetzt - und zwar auf Schienen. Dazu ist jetzt ein Fotobuch erschienen.

Von Werner Bloch | 20.03.2018
    Eine Kirche liegt versteckt in einer Gasse zwischen zwei Hochhäusern
    Unter Ceauşescu wurden die Bukarester Kirchen entweder abgerissen oder in kleine Nischen verlegt (Anton Roland Laub | © www.antonlaub.de)
    Eine Straßenbahnfahrt durch Bukarest. Am Fenster ziehen öde Wohnsilos vorbei, erbaut in sozialistischen Zeiten. Nichts Spektakuläres weit und breit. Doch plötzlich, scheinbar ohne Anlass, bekreuzigen sich einige Fahrgäste, manche murmeln Gebete. Diese spontane Frömmigkeit hat ihren Grund. Sie ist eine indirekte Folge der Politik von Nicolae Ceauşescu, dem ehemaligen Staatschef, der Rumänien über 20 Jahre lang autokratisch regierte, sagt der Fotograf und Buchautor Anton Laub:
    "Ceauşescu war auf einer Visite in Nordkorea und hat sich dort inspirieren lassen. Er war so beeindruckt von diesen Prachtalleen und der Umgestaltung der Stadt, und dann hat er sich gedacht: Das kann ich auch machen, schön alles abreißen, das jüdische Viertel, Art déco, Klassizismus, Art Nouveau, Modernismus - alles plattgemacht. Und dieses Buch handelt davon. Das ist dann das Bukarest disparu."
    Eine technische Meisterleistung
    Das verschwundene Bukarest: Rund 30 Kirchen und Synagogen standen dem damals allmächtigen Diktator Ceauşescu im Wege, als er Bukarest mit einem Masterplan sozialistischen Größenwahns völlig umkrempeln wollte. 23 Kirchen wurden abgerissen, doch für sieben Gotteshäuser fand man eine erstaunliche Lösung: Sie wurden versetzt - von ihrer ursprünglichen Position im Stadtzentrum an andere Stellen, wo sie das Auge des Diktators nicht störten.
    Ein Dokumentarfilm aus den 80er-Jahren zeigt die Verschiebung der Kirchen auf Schienen - eine technische Meisterleitung, die der Ingenieur Eugen Iordachescu entwickelt hatte. Angeblich war er von den Kirchenschätzen im Inneren so begeistert, dass er die Kirchen unbedingt retten wollte.
    "Diese Kirchen wurden zu Monumenten gemacht durch die Versetzung. Sie wurden durchgeschnitten, indem man davor erst gebuddelt hatte, drum herum alles ausgebuddelt, um dann darunter eine Plattform aus Beton zu gießen und dann wurde das angehoben und weggezogen."
    Ein Geniestreich. Und: es funktionierte. Manche Kirchen wurden nur sieben Meter verschoben, andere über 300. Jede Woche kam Ceauşescu, um sich vom Fortschritt der Umsiedlungsaktion zu überzeugen.
    Millimeterweise krochen die Kirchen voran, auf eigens gebauten Gleisen. Sechs Monate dauerte die Vorbereitung. Dann brauchte es noch über 100 Stunden, bis die erste Kirche, die Michaeliskirche, an ihrem neuen Standort eintraf.
    Ort der Unsichtbarkeit
    Durch die Aktion wurden die Gotteshäuser gleichsam neutralisiert, sie verschwanden aus dem Blickfeld, oft hinter Wohnhäusern oder in einem Innenhof. Ceauşescu nannte das verharmlosend "Systematisierung".
    Immerhin: die Kirchen haben überlebt. Doch sie wurden aus ihrer Umgebung herausgeschält, in der sie teils seit Jahrhunderten gestanden hatten. Die Michaeliskirche aus dem Jahr 1591 zum Beispiel stand ursprünglich auf einem Hügel, wo sie die benachbarten Häuser überragte. Sie gehörte zu einer Klosteranlage, von der jetzt nichts mehr zu sehen ist. An ihrem neuen Ort zwischen Plattenbauten wird sie geradezu erstickt.
    Im Hinterhof einiger Bukarester Plattenbauten hat eine Kirche ihr neues Zuhause gefunden
    In Bukarest verbergen sich Heiligtümer hinter Plattenbauten ( Anton Roland Laub | © www.antonlaub.de)
    Übrigens wurden nicht nur Kirchen ins Abseits gerückt, sondern auch Teile der rumänischen Geschichte - etwa aus dem Faschismus. Eine komplexe Geschichte, die die Rumänen aber nicht allzu sehr interessiert, meint Fotograf und Buchautor Anton Laub:
    "Ich glaube nicht, dass so ein großes Interesse besteht in Rumänien, was die Vergangenheitsbewältigung angeht. Diese nahe Vergangenheit. Und auch andere Filme oder Themen, die sich jetzt mit der Vergangenheit auseinandersetzen, werden gar nicht so wahrgenommen in Rumänien."
    "Wir kennen keine Grenzen"
    Anton Laub, der in Bukarest geboren und aufgewachsen ist und jetzt in Berlin lebt, hat in seiner Heimatstadt Archive besucht, die miserabel erhalten sind, Dokumente gesichtet und manchmal auch gerettet - eine historische Grundlagenarbeit, die in Rumänien nun offenbar auch von Künstlern übernommen wird.
    Zu den verrückten Kirchen hat Anton Laub ein fast persönliches Verhältnis. Als Student lebte er in einer Wohnung, von deren Fenster aus man auf eine der verschobenen Kirchen blickte. Seine Fotos sind sachlich, aber auch leise und poetisch.
    Das Buch "Mobile Churches" widmet jeder dieser Kirchen ein Kapitel. Der Blick geht dann von außen nach innen, von der Fassade zur Innendekoration. Anton Laubs Fotos sind manchmal ausgesprochen humorvoll. Offenbar gibt es in Rumänien einen Hang zum Absurden, meint der Fotograf.
    "Ich weiß nicht, vielleicht liegt es am Humor. Wir kennen keine Grenzen, würde ich sagen, wir machen uns lustig über alles, da geht immer noch mehr."
    Ein absurdes Spektakel erleben die Rumänen täglich: dafür sorgt schon die Regierung. Politiker sind an der Macht, die längst der Korruption überführt sind, aber einfach weiterregieren.
    "Das sind alles korrupte Politiker, das ist auch absurd. Sie spielen nur mit dem System, die versuchen, das zu biegen und zu beugen, die jonglieren mit den Gesetzen. Vielleicht hat diese Absurdität damit zu tun. Man jongliert mit dem allen, ob es Kirchen sind oder Gesetze sind, mit allem."
    Kathedrale mit Merchandise-Bereich
    Und es geht weiter. Zurzeit wird in Bukarest an einer riesigen Kirche gebaut, der zweitgrößten Kathedrale der orthodoxen Welt. Diese sogenannte "Kathedrale der Erlösung des Volkes" soll 130 Meter hoch werden und damit sogar Ceauşescus Protzpalast überragen, das zweitgrößte Gebäude der Welt, den sogenannten "Palast des Volkes" mit seinen 3000 Räumen.
    Der Neubau, die neo-byzantinische Kathedrale, soll das Symbol des neuen Rumäniens sein. Schon zu Beginn der Bauarbeiten wurden 200 Millionen Euro veranschlagt - heute sieht man die Türme im Rohbau ohne die Kuppeln. Ende des Jahres, so die Planung, soll alles fertig sein. Dann wird Rumänien 100 Jahre alt.
    Der Fotograf Anton Roland Laub, mit Vollbart und Brille auf einem Schwarz-weiß-Porträt
    Anton Roland Laub (Photo: Anton Roland Laub | © www.antonlaub.de)
    Auch Anton Laub hat bereits Bilder der neuen, sogenannten "Nationalkathedrale" auf seinem Laptop:
    "Ich habe hier ein Bild von der 'Kathedrale des Volkes', so wird das übersetzt. Sie wird sieben Etagen unter der Erde haben - mit zwei Garagen und Merchandise Malls. Das ist so ein Muskelmessen - oder wie das heißt im Deutschen - zwischen der orthodoxen Kirche in Rumänien und der Politik."
    Die rumänische Kirche setzt also massiv auf Monumentalität. Sie will sich selbst ein Denkmal setzen - und sieht sich im Trend.
    "Es gibt so einen neo-orthodoxen Trend seit der Wende. Darin passt auch diese Kathedrale."
    Um den Triumph des Glaubens über den Kommunismus zu markieren, wäre auch eine andere Lösung denkbar gewesen: Man hätte eine der verschobenen Kirchen auf Schienen zurückholen und zeigen können, dass man aus der Geschichte gelernt hat. Doch diese Idee wurde in Bukarest nicht diskutiert.
    Anton Roland Laub: "Mobile Churches"
    Kehrer, 2017, 144 Seiten, 59 Fotos, 29 Euro
    Eine Fotoserie zeigt den Abbau und die Verschiebung einer Bukarester Kirche auf Schienen
    Eine Kirche auf Reisen (Anton Roland Laub | www.antonlaub.de)