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Religionsgeschichte
Abgrenzung gegen die Ostkirchen

Die Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom war ein Affront gegen den Kaiser in Konstantinopel, der als einziger den Titel "Kaiser der Römer" beanspruchte. Karls Berater legitimierten dessen Machtanspruch vor allem mit theologischen und kirchenpolitischen Argumenten.

Von Rüdiger Achenbach | 23.01.2014
    "Ich besitze eine Handschrift, aber sie ist an vielen Stellen fehlerhaft. Deswegen habe ich mein Exemplar mit einem anderen verglichen, das ich hier in der Bibliothek entdeckt habe. Ich hoffte, es sei besser als meines, aber es ist noch fehlerhafter. Ich bitte dich deshalb dringend, mir deine Handschrift zukommen zu lassen."
    Schreibt der Gelehrte Lupus von Ferrieres an den Chronisten Einhard von der Hofschule Karls des Großen. Es ging in diesem Fall um eine Schrift des römischen Schriftstellers Cicero. Dieser Brief zeigt, wie intensiv man sich zur Zeit der sogenannten karolingischen Renaissance um eine korrekte Überlieferung des antiken Schriftgutes bemühte. Und die Schule am Hof Karls unter der Leitung des angelsächsischen Gelehrten Alkiun war das Zentrum dieses umfangreichen Kulturprogramms. Ohne das akribische Sammeln und Korrigieren der antiken Schriften durch die Gelehrten des 8. und 9. Jahrhunderts wären große Teile der antiken Literatur unwiederbringlich verloren gegangen.
    Eine der herausragendsten Korrekturarbeiten, die Alkuin persönlich durchführte, war die Überarbeitung des Bibeltextes der Vulgata, der im Frankenreich nur in einer sehr fehlerhaften Form vorlag. Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt:
    "Als Alkuin sich daran machte, den Vulgatatext zu revidieren, ging es ihm ganz einfach um Rechtschreibung und die Behebung von all zu offensichtlichen Fehlern. Mit seinen schätzungsweise 4000 Eingriffen hat Alkuin keineswegs schon einen korrekten Text erreicht. Die Revision ging nach seinem Tod weiter."
    Der Angelsachse Alkuin war sozusagen der Kulturminister Karls des Großen und gestaltete viele Jahre die Bildungs- und Kirchenpolitik im Frankenreich. Besonders aber, nachdem sich Karl der Große im Jahre 800 in Rom zum Kaiser hatte krönen lassen, war ein Ratgeber vom Format Alkuins unverzichtbar. Der Kirchenhistoriker Manfred Gerwing:
    "Karl träumte davon, so zu werden wie der Kaiser in Byzanz und ein Reich zu schaffen, das so mächtig und prächtig wie Ostrom sein sollte. Um seinen Plan zu verwirklichen, brauchte er sachkundige Berater und Helfer. Alkuin war der bedeutendste unter ihnen."
    Giftige Polemik in den Libri Carolini
    Wie sehr auch theologische Fragen dabei mit den Ansprüchen der Machtpolitik verbunden waren, zeigen die sogenannten Libri Carolini. In diesen Büchern gelang den Hofgelehrten Karls die spektakulärste und offensivste Abgrenzung gegen den Kaiser und die Theologen in Byzanz. Der Philosophiehistoriker Kurt Flasch:
    "Karl wollte das Buch mit seinem eigenen Namen verbunden wissen. Die wirklichen Verfasser werden daher nicht genannt. Man hat lange an Alkuin gedacht, und höchstwahrscheinlich hat er mitgearbeitet. Aber der Hauptverfasser war vermutlich Theodulf von Orleans. Denn der Text zeigt eine scharfe, giftige Polemik, die Alkuin weniger lag."
    Bis heute ist unter den Forschern umstritten, wie stark Alkuin an diesem Werk beteiligt war. Dass die Libri Carolini aber mit seinen Vorstellungen übereinstimmten, ist dagegen unbestritten. Nachdem Ostrom nach langem Streit 787 wieder die Verehrung religiöser Bilder zugelassen hatte, erkannte man am Hof Karls des Großen, dass dies eine geeignet Chance bot, sich auch theologisch gegen Byzanz abzusetzen. Anlass dafür war die religiöse Kunst, also der Bilderkult in Byzanz. Dem hielten die Franken nun entgegen:
    "Bilder sind ein Machwerk unserer Hände. Sie bestehen aus Holz, Stoff und Farben. Auch ein frommer Künstler kann dem Stoff nicht seine Religiosität mitteilen. Man muss das Ewige immer vom Zeitlichen, das Stoffliche vom Geistigen trennen. Es ist unbestritten, dass die Malerei wirklich geschehene Taten ins Gedächtnis zurückrufen kann. Sie kann aber auch täuschen, in dem sie etwas, das nie geschehen ist, als wirklich ausgibt."
    Das ist unverkennbar der praktisch-ethische Anspruch, den Alkuin an die christliche Religiosität stellt. Die Libri Carolini lassen es sich auch nicht nehmen, fast ganz nebenbei, mit dem oströmischen Kaisertum abzurechnen. Denn die griechischen Theologen hatten die Bilderverehrung auch mit dem Argument verteidigt, dass die Kaiser von Byzanz ihr Bild in den Provinzen öffentlich ausstellten und dafür ebenso viel Respekt forderten wie für ihre Person. Aus Aachen ist dazu zu hören:
    "Das waren die Gewohnheiten von Babylon. Diese religiöse Verherrlichung des Kaisers ist ein Kennzeichen des Teufelsreiches. Weder der Herrscher noch sein Bild dürfen religiös verehrt werden."
    Karl der Große als oberste Instanz
    Karl demonstriert also mit der Unterstützung Alkuins und Theodulfs von Orleans, dass er selbstverständlich auch die oberste Instanz für die Auslegung der rechten christlichen Lehre ist. Ost-Rom wird dagegen ein häretisches Verständnis von Politik und christlicher Kunst vorgeworfen. Kurt Flasch:
    "Die Libri Carolini bedeuteten eine markante Selbstaufwertung des Westens. Sie machten dem Papst und den Griechen klar, dass der Übergang der Macht zu den Franken auch eine kulturpolitische und religiöse Realität war."
    Alkuin stimmte mit Karl völlig überein, dass diesem neben seiner politischen Macht auch ein universales Lehramt in Philosophie und Theologie zukam. Das wird besonders in Alkuins Hauptwerk "Über die Dreieinigkeit" aus dem Jahr 802 deutlich, in dem er die offiziellen Richtlinien der kaiserlichen Politik und Theologie festschreibt.
    "Die kaiserliche Würde ist von Gott sinnvoll eingerichtet, und zwar zum Zweck, dass der Kaiser dem Volk vorstehe und ihm nütze. Deswegen gehört zum Kaisertum Macht und Weisheit. Mit beidem hat Gott den Kaiser ausgestattet. Der Kaiser soll Recht sprechen, Anweisungen geben und zum religiösen Leben ermahnen."
    Kein Wort über den Papst und die Bischöfe. Der Kaiser ist für Alkuin unbestritten die höchste geistige, geistliche und weltliche Autorität. Nachdem Karl der Große durch seine vielen Kriege zum mächtigsten Herrscher auf dem europäischen Kontinent geworden war, sorgte Alkuin also nun für die entsprechende Reichsideologie. Der Kirchenhistoriker Manfred Gerwin:
    "Alkuins Buch brachte die kaiserliche Theologie zu Wort und die karolingische Politik in Form. Das Meiste stammte von Augustinus, war aber im Blick auf die damalige Situation hin reduziert. Am Ende der blutigen Eroberungskriege Karls sollte gezeigt werden, was jetzt, nach dem Sieg, zu tun war: die Einheit zu sichern, und zwar durch 'gottgegründete Beziehungen'. Die Theologie Alkuins war politische Theologie."
    Seit 796 hat sich Alkuin dann immer häufiger aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und überwiegend in Tours gelebt, wo ihn Karl zum Abt des angesehenen Martinsklosters ernannt hatte. Hier ist Alkuin im Jahr 804 gestorben. Zwei Jahre, nachdem er in seiner Schrift über die Dreieinigkeit, die offiziellen Richtlinien der kaiserlichen Religionspolitik formuliert hatte.
    Diese Schrift hatte er an Karl den Großen genau zu dem Zeitpunkt geschickt, als dieser in Aachen eine Versammlung mit dem Klerus abhielt. Im Bewusstsein, seine Aufgabe pflichtgemäß erfüllt zu haben, vermerkt Alkuin voller Bescheidenheit im Widmungsschreiben an Karl:
    "Wenn der Kaiser das Buch gutheißt, wird ihm niemand mehr widersprechen. Die Autorität des Kaisers, der das Buch den Versammelten zu lesen gibt, wird mehr geachtet als die Frömmigkeit des Verfassers."
    Obwohl Alkuin überall in Europa als größter Gelehrter seiner Zeit gepriesen wurde, hat er es doch immer verstanden seine Person in der Öffentlichkeit zurückzunehmen. Der Angelsachse war also schon im 8. Jahrhundert sozusagen ein Vertreter des britischen "Understatements".