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Religionswissenschaftler: Es gibt kein einheitliches Christentum

Der Religionswissenschaftler Michael von Brück hat das Christentum und den Buddhismus in seinen Veröffentlichungen immer wieder verglichen. Dazu äußerte er sich auch am Karfreitag im Deutschlandfunk-Interview.

    Christiane Kaess: Um Körper und Geist geht es eigentlich in allen Religionen, wenn auch der Schwerpunkt heute unterschiedlich gesetzt wird. Dass es viele Gemeinsamkeiten gibt, ist deshalb nicht verwunderlich, weil es immer wieder auch Berührungspunkte gab. So hat man sich zum Beispiel für den Buddhismus im christlich geprägten Europa bereits im 19. Jahrhundert interessiert. Intellektuelle wie Arthur Schopenhauer waren stark beeinflusst von der buddhistischen Philosophie. Michael von Brück ist Professor für Religionswissenschaften an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Der Theologe ist nach einer Ausbildung in Indien und Japan auch Zen und Yogalehrer, und er hat in seinen Veröffentlichungen das Christentum und den Buddhismus immer wieder verglichen. Ich habe ihn gefragt, ob es denn im Buddhismus auch ein Ritual wie das Fasten gibt.

    Michael von Brück: Fasten ist ja nicht nur eine Angelegenheit der Speisevorschriften, sondern Fasten bezieht sich auf alle Sinne. Und wir haben in allen Religionen Fastenmöglichkeiten, Fastenempfehlungen dieser Art. Das heißt also, Reduktion der sinnlichen Wahrnehmung, im Bereich des Hörens, im Bereich des Sehens, des Schmeckens, des Tastens. Also wir haben den Rückzug in die Wüste, wir haben den Rückzug in die Wälder, den Rückzug in Höhlen, in denen man jeweils einsam ist, keine Geräusche, keine Stimmen, keine menschlichen Kontakte hat und natürlich dann auch die Nahrungsaufnahme reduziert.

    Kaess: Es werden ja oft Bräuche und Techniken, wie Yoga, Meditation oder Fasten in einen Topf geworfen. Gibt es denn entscheidende Unterschiede?

    von Brück: Ja, das sind natürlich jetzt Begriffe, die ganz Unterschiedliches bezeichnen. Yoga ist also ein ganz bestimmtes System der indischen Tradition, die mit Körper und Geist und vor allem Atem in bestimmter Weise umgeht. Und da ist das Fasten ein Aspekt. Ähnlich ist es im Buddhismus, wo wir also zum Beispiel im Zen-Buddhismus oder in anderen buddhistischen Formen, Meditationspraktiken haben, das heißt also entweder Konzentrationsübungen, mit Gegenständen - dass man sich auf ein Bild konzentriert - oder auch ohne Gegenstände - dass man bestimmte Atempraktiken hat - und die dann auch verbindet mit einer Reduktion der Speiseaufnahme, oder nur ganz bestimmte Speisen zu sich nimmt und andere weglässt. Also das sind unterschiedliche Ebenen, sozusagen, die Sie ansprechen.

    Kaess: Es geht ja im Buddhismus ganz stark um die Schulung des Geistes. Wirkt sich das denn auf den Körper aus, oder ist der Zusammenhang eher umgekehrt zu sehen, über den Körper auf den Geist?

    von Brück: Das ist eine Wechselwirkung, und zwar kennen wir das sowohl aus der Praxis der Meditation, der Praxis der verschiedenen geistigen Schulen, im Buddhismus, aber selbstverständlich auch im Christentum. Aber wir kennen das heute auch aus der psychosomatischen Medizin und können das sogar ein bisschen quantitativ erfassen. Also sowohl der Körper, das heißt zum Beispiel, die Ruhe des Körpers, oder die Reduktion von Speiseaufnahme, hat eine Wirkung auf den Geist, im Sinne von Klarheit, im Sinne von Konzentration, im Sinne von Wachheit. Und umgekehrt hat die Konzentration des Geistes eine Wirkung auf den Körper. Dass also zum Beispiel bestimmte Schmerzzustände nachlassen können, dass ein bestimmter Drang zur Nahrungsaufnahme, also, drastisch gesagt, Fresssucht, durch Konzentration, durch Meditationsübungen, reduziert werden kann und so weiter. Es ist also ein Wechselverhältnis.

    Kaess: Würden Sie sagen, dass Körper und Geist im Buddhismus eine größere Rolle spielen als in anderen Religionen?

    von Brück: Es ist eher so, dass die Entwicklung der letzten Jahrhunderte in Europa eine Ausnahme darstellt. Wir haben also sowohl in der alten griechischen, europäischen Tradition, als auch in den indischen, den chinesischen, afrikanischen Kulturen ein Wissen darüber, dass körperliche und geistige Phänomene ganz eng miteinander zusammenhängen. Es ist eher in Europa die Ausnahme gewesen, dass nach der Renaissance, und dann auch im Zusammenhang mit der Aufklärung, diese beiden Aspekte auseinander getreten sind.

    Kaess: Zum Buddhismus gehört nicht der Glaube an einen Schöpfer, oder an einen Schöpfungsprozess, wie das zum Beispiel das Christentum hat, sondern es gibt diese Vorstellung von Anfang und Ende nicht. Was bedeutet das denn für den Körper und für den Geist?

    von Brück: Sie haben Recht. Das ist also wirklich eine Ausnahme unter den Religionen, dass er keinen Schöpfergott, oder kein letztes, sagen wir personales, Prinzip annimmt, was die Welt in Gang gesetzt hätte. Sondern er spricht davon, dass alle Phänomene der Wirklichkeit, und zwar sowohl die physischen, körperlichen, materiellen als auch die geistigen durch wechselseitige Verursachung entstehen. Man spricht von dem so genannten Gesetz des Entstehens in gegenseitiger Abhängigkeit. Das bedeutet für unsere Frage nach Körper und Geist, dass nicht ein Urzustand da ist, sagen wir ein körperlicher oder ein geistiger, sondern dass alle Phänomene, körperliche und geistige, sich ständig in wechselseitiger Beeinflussung befinden, in ständig wechselnder Veränderung. Nichts ist also ein ursprünglicher Zustand, nichts ist ein Endzustand, der festgelegt und fixiert wäre, sondern alles verändert sich ständig.

    Kaess: Und wie knüpft da die Vorstellung von Reinkarnation an?

    von Brück: Reinkarnation ist im Buddhismus in einem sehr eindrücklichen Bild veranschaulicht worden. Das Paradoxe im Buddhismus ist ja, dass man nicht an eine Seele glaubt, oder ein permanentes Ich, aber doch von Reinkarnation spricht. Und die Frage ist ja, was wird dann eigentlich wiedergeboren, wenn es keine Seele oder kein Festes gibt. Und in einer sehr frühen Schrift des Buddhismus, im so genannten Milindapanha, in dem ein buddhistischer Mönch einem Griechen, einem griechischen König, genau diese Frage erklären will, sagt er: Es ist, wie wenn man eine Flamme an einer anderen entzündet. Es wird also ein Energieimpuls weitergegeben, aber keine Substanz. Und so ist es, dass ein geistiger Energieimpuls, wir könnten vielleicht sagen, ein Formprinzip, weitergegeben wird, von einer materiellen Gestaltung, einem Körper also, zum nächsten.

    Kaess: Würden Sie zu dieser Vorstellung der Wiedergeburt Parallelen ziehen können zur Vorstellung der Auferstehung im Christentum? Oder sind das zwei gänzlich verschiedene Auffassungen?

    von Brück: Das ist natürlich schon sehr verschieden, zunächst einmal, weil die Auferstehung ja bedeutet, dass die gesamte Welt von Gott neu geschaffen wird. Die Auferstehung ist nicht denkbar ohne einen Schöpfergott, jedenfalls in diesem Bild, in dem das biblisch gesagt wird. Es ist ja gerade nicht so, dass Auferstehung, im Sinne der alten griechischen Philosophie, des Platonismus etwa, bedeuten würde, eine unsterbliche Seele lebt nach dem Tode des Körpers weiter. Sondern, auch das frühe Christentum ist der Meinung, dass Körper und Geist ganz eng zusammenhängen. Der ganze Mensch stirbt und der ganze Mensch wird neu geschaffen zu einer Auferstehung, zu einem Auferstehungsleib, der ganz unvorstellbar ist, jenseits von Raum und Zeit. Also das ist schon etwas anderes, als die Vorstellung von Karma.

    Kaess: Inwieweit sind denn der Buddhismus und das Christentum in ihren Vorstellungen von Körper und Geist von ihren jeweiligen Kulturen beeinflusst worden, in denen sie sich ausgebreitet haben?

    von Brück: Jede Religion ist ganz stark davon beeinflusst, wie sie sich ausbreitet, in welcher Kultur sie sich ausbreitet. Das gilt für das Christentum genauso, wie für den Buddhismus. Und hier müssen wir natürlich zur Kenntnis nehmen, dass das Christentum ja zunächst aus der helenistischen Umwelt, also aus einer griechischen und jüdischen Tradition, sich ausgebreitet hat sowohl nach Westen, also sowohl in die germanisch-europäischen, zunächst einmal lateinischsprechenden germanischen Gebiete, als auch nach Osten. Das Christentum ist ja also keineswegs nur nach Europa gekommen, sondern dann nach Indien, nach China, schon in recht früher Zeit. Und dort hat es die verschiedenen Vorstellungen, die verschiedenen kulturellen Muster, anthropologischen Muster, aufgenommen und verarbeitet. Und genau so ist das beim Buddhismus. Es gibt nicht einen einheitlichen Buddhismus, so wie es auch nicht ein einheitliches Christentum gibt. Sondern der indische Buddhismus unterscheidet sich doch ganz wesentlich vom chinesischen, oder vom zentralasiatischen und dann später vom ostasiatischen, Japan, Korea und so weiter. Und er nimmt auch heute neue Gestalt an in der Auseinandersetzung mit den europäischen und amerikanischen Kulturen.

    Kaess: Der Theologe Michael von Brück über die Vorstellung von Körper und Geist in den Religionen.