Dienstag, 19. März 2024

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Religionswissenschaftler Hans-Joachim Schoeps
Preuße durch und durch

Er hat die Bundesrepublik mit aufgebaut, war einer der ganz großen Religionswissenschaftler: Hans-Joachim Schoeps. Ein Konservativer durch und durch. Mehr noch: Zeitweise hegte er Sympathien für die Nazis. Als Jude. Sein Sohn hat eine Biographie in Auftrag gegeben. Er wollte Klarheit.

Von Carsten Dippel | 10.01.2020
Ein Porträtfoto zeigt Hans-Joachim Schoeps (Foto von Fritz Eschen)
Hans-Joachim Schoeps war nach dem Krieg eine der prägenden Figuren der Bundesrepublik (Moses Mendelssohn Stiftung / Fritz Eschen)
Im Jahr 1933 verfasste ein junger jüdischer Religionswissenschaftler einen Brief an Adolf Hitler. Der "Führer" möge sich doch bitte dafür einsetzen, dass die Juden des Deutschen Reiches im neuen nationalsozialistischen Deutschland einen angestammten Platz und ein Bleiberecht erhielten. Wenige Jahre später musste Hans-Joachim Schoeps, so der Name des Briefschreibers, Deutschland verlassen. Er floh, bereits auf einer Gestapo-Liste stehend, am Weihnachtsabend 1938 vom Berliner Flughafen Tempelhof. Sein aus heutiger Sicht verwirrender, damals aber durch und durch ernst gemeinter Appell an den "Führer", war natürlich wirkungslos verhallt. Die Eltern von Hans-Joachim Schoeps wurden deportiert und ermordet. Er selbst überlebte im schwedischen Exil und kehrte 1946 ins kriegszerstörte Deutschland zurück. Professor Micha Brumlik:
"An seiner Treue zu Deutschland und seiner überaus starken Treue zu seiner Idee von Preußen hat sich wirklich nie irgendetwas geändert. Er war schlicht nicht in der Lage zu sehen, dass es sich da um einen Fehler gehandelt habe, weil ja seine Weltanschauung, sein Preußentum, seine Ablehnung eines menschheitlichen Universalismus und seine Abneigung gegen das Laissez-faire der liberalen Demokratie, das ist gleich geblieben."
Schoeps gründete einen jüdischen Nazi-Bund
Nach dem Krieg zählte Hans-Joachim Schoeps zu jenen jüdischen Rückkehrern, die einen maßgeblichen, wenn nicht den entscheidenden Beitrag zur intellektuellen Wiedergründung Deutschlands leisteten, so der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik. Schoeps wurde auch zu einem führenden deutschen Religionswissenschaftler. 1909 in Berlin geboren, war Hans-Joachim Schoeps ein eigensinniger und überaus streitbarer Denker. Micha Brumlik, selbst ein ausgewiesener Kenner der deutsch-jüdischen Sozialgeschichte, hat sich der Biografie dieses schillernden Mannes angenommen.
"Er teilte gewisse Abneigungen gegen die Moderne, gegen das, was er vielleicht für einen entgrenzten Kapitalismus gehalten hat. Was auch er als Amerikanismus bezeichnet hat und nicht zuletzt eine Abwehr gegen das, was damals als Bolschewismus ein Feindbild gewesen ist."
Brumlik legt in seiner Biografie Facetten eines Mannes offen, die auf den ersten Blick kaum miteinander vereinbar scheinen. Da ist einmal der erklärte Preußenfan, der so weit ging, Bismarck vorzuwerfen, dieser habe Preußen an Deutschland verraten. Seine preußenaffine, aber auch deutschnationale Gesinnung gipfelte im Februar 1933 in der Gründung des sogenannten "Vortrupps". Der "Deutsche Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden" war ein nationalgesinnter Verein deutscher Juden, die dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstanden. Es verwundere ihn nicht, so sein Biograf Micha Brumlik, wenn sich heute die "Juden in der AfD" auf Hans-Joachim Schoeps berufen und ihn zu ihrem Vorbild erklären.
"Man muss überlegen: Das war jemand, der in den 60er-Jahren, als die CDU weit rechts von dem stand, was sie heute ist, dass er noch rechts von der damaligen CDU dieses kurzlebige Projekt einer konservativen Sammlungsbewegung starten wollte."
Es gebe jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen dem 1980 verstorbenen konservativen Religionsphilosophen und seinen selbsternannten Jüngern.
"Die Juden in der AfD sind nicht zuletzt Juden in der AfD, weil sie gegen die angeblich drohende Islamisierung Deutschlands sind und sie somit sehr stark für Israel und den Zionismus votieren. Das war nun aber wirklich nicht Schoeps Anliegen. Er war ein scharfer Kritiker des Zionismus. Er hielt an einer fundamentalistischen Haltung fest, wonach es allererst der Messias sein könne, der die Juden ins gelobte, verheißene Land zurückführen werde."
Preußen - "antinationalistisch und antiliberal"
Schoeps hat nach dem Krieg an seiner Haltung festgehalten, allerdings dann eher die Betonung auf Preußen gelegt. Es sind die inneren Widersprüche und Risse, die Hans-Joachim Schoeps für seinen Biografen so interessant machen.
"Das Wesentliche dieser Generation war, dass sie ein Bewusstsein von Menschenwürde und Demokratie hierher gebracht haben. Das gilt sogar für den späten Hans-Joachim Schoeps, der mal gesagt hat, dass er deswegen Preuße sei, weil er antinationalistisch und antiliberal sei."
Vorkämpfer für die Rechte Homosexueller
Der bekennende Antiliberale sprengte allerdings jeden Rahmen: Er bekannte sich zu seiner Homosexualität. Als einer der ersten überhaupt tat er dies auch öffentlich. Und das in einer Zeit, in der in der Bundesrepublik Homosexualität nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern auch strafbar war. Schoeps ließ sich davon nicht beirren, sondern ging sogar einen entscheidenden Schritt weiter.
"Er hat tatsächlich eingefordert, dass etwa die deutschen Regierungen nicht nur Juden und andere für das erlittene Leid entschädigen sollten, sondern sich für alle von den Nazis Verfolgten einsetzen sollte. Und er sagte wörtlich: 'Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende', was damals einen ordentlichen Sturm im Blätterwald zur Folge hatte."
Eine Brücke zwischen Judentum und Christentum
Micha Brumlik sieht die Bedeutung Schoeps aber vor allem in seinen Arbeiten zur jüdischen Geistes- und Religionsgeschichte. Hans-Joachim Schoeps war Herausgeber der von ihm begründeten Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, einem wichtigen Debatten-Forum. Bahnbrechend seien vor allem seine Forschungen über das frühe "Judenchristentum". Die sogenannten Ebioniten waren religiöse Gruppen, die in den ersten zwei Jahrhunderten noch changierten zwischen Kirche und Synagoge, zwischen dem rabbinisch geprägten jüdischen Glauben und dem frühen Christentum. Schoeps könne hier als Vordenker heutiger Forscher gelten.
Die Publizist und Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille Micha Brumlik folgt am 06.03.2016 in Hannover (Niedersachsen) dem Festakt zur Eröffnung der diesjährigen christlich-jüdischen Woche der Brüderlichkeit.
Micha Brumlik zeichnet in seiner Biografie Hans-Joachim Schoeps das Bild eines widersprüchlichen Charakters (dpa / Hauke-Christian Dittrich)
Zudem stand Schoeps dem Erneuerer der evangelischen Theologie Karl Barth nahe, der einen klaren Offenbarungsglauben postuliert hat. Eine Auffassung, die unter jüdischen Theologen so eigentlich nicht zu finden sei.
"Er versucht, so etwas wie einen jüdischen Offenbarungsglauben zu postulieren. Das kam ihm insofern entgegen, als dass er zugleich eine Brücke darstellte zum Christentum. Und Hans-Joachim Schoeps als einer der Vordenker und Begründer des jüdisch-christlichen Dialogs ist in der Tat noch wiederzuentdecken."
"Ein unabhängiger Geist"
Brumlik beschreibt Hans-Joachim Schoeps als einen religiösen Menschen. Schoeps akzeptierte gewissermaßen zwei Offenbarungen: die eine am Sinai und die andere im Leben und Sterben des Jesus von Nazareth. Der Offenbarung sei in geradezu autoritärer Weise bindend, befand Schoeps. Allerdings auch hier mit einer entscheidenden Einschränkung: Schoeps war durch und durch assimiliert und nicht religiös praktizierend. Micha Brumlik:
"Was die Geltung der rabbinischen, halachischen Weisungen angeht, hat er überhaupt nicht weisungsgemäß gelebt, schon allein deswegen, weil er in der Emigration sich mit einer anderen Emigrantin zwei Söhne abgerungen hat, obwohl er ein offener und bekennender Homosexueller gewesen ist."
Nach dem Krieg war Hans-Joachim Schoeps, seit 1950 als Professor an der Uni Erlangen, mit seinen Werken zur jüdischen Geistesgeschichte ein durchaus viel gelesener Autor, sagt Brumlik.
"Was von ihm bleibt ist persönlich ein ganz und gar unabhängiger Geist, ein Nonkonformist im besten Sinne des Wortes, wenn auch um den Preis, sich politisch und kulturell gehörig vergaloppiert zu haben. Was aber seine positiven Beiträge vor allem zur Religionsgeschichte in keiner Weise mindert."