Dienstag, 16. April 2024

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Renaissance des Okkulten
Fake News als magische Trickserei

Magie und Okkultes tauchen wieder verstärkt in der Popkultur auf - und nicht nur dort. Auch Fake News könnten als eine "Form magischer Praxis" gesehen werden, sagte die Kunsthistorikerin Susanne Witzgall im Dlf. Dahinter stecke der Versuch, "Einfluss auf die Entscheidungen der Bevölkerung zu nehmen".

Susanne Witzgall im Corsogespräch mit Juliane Reil | 10.01.2018
    Eine junge Frau beugt sich über Kerzen, die in der Form eines Pentagramms innerhalb eines Kreises aufgestellt sind.
    Komplexes Phänomen: Okkultismus und Magie als kulturelles Phänomen (imago stock&people)
    Juliane Reil: Magie, Teufelszeug, dunkle Aura - schwarze Magie hat die Popkultur schon immer beeinflusst. Nicht umsonst war der britischer Okkultist und Schriftssteller Aleister Crowley neben den vielen anderen Berühmtheiten auf dem Beatles-Cover von "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" zu sehen. Aber auch der Sound von Popmusik selbst kokettiert mit dem Okkulten. Witch House zum Beispiel, also Hexen-House, geisterte in den späten Nuller Jahren Anfang 2010 durch die Musikblogs. Live aus der Gruft, hat man so das Gefühl. Die amerikanische Band Salem war das gerade, runtergepitchte Stimme, verlangsamte Tonspuren und fetter Halleffekt. Unheimlich ist dieser Track gewesen, "Trapdoor" von 2012. Aber auch die Popkultur der Gegenwart ist von der Welt des Okkultismus stark beeinflusst, das meint die Kunsthistorikerin Susanne Witzgall. Sie ist Herausgeberin des Essay-Bandes "Reale Magie". Frau Witzgall, herzliche Willkommen zum Corsogespräch.
    Susanne Witzgall: Herzlichen Dank für die Einladung.
    Reil: Sie schreiben: "In der amerikanischen Populärkultur der Gegenwart scheint das Magische allgegenwärtig." Es sei geradezu inflationär. Wo taucht denn das Okkulte ganz genau auf?
    Witzgall: Also es ist nicht nur in der amerikanischen Populärkultur allgegenwärtig, sondern ich würde sagen, in vielen westlichen Ländern. Also auch in der europäischen Populärkultur. Und wenn man beispielsweise die Jugendbücher anschaut, die Fantasy-Romane, also angefangen von Harry Potter, über Shadowhunter, Shadow Falls, Magisterium, Tintenherz, die Seiten der Welt, Reckless oder die Saga von Askir fängt es schon an, dass das Magische oder Okkulte eine extrem große Rolle spielt. Aber wir können auch an Filme denken wie, also die Harry-Potter-Verfilmungen bis hin zu Filmen wie True Detective oder - die eben keine Fantasyfilme sind, sondern in denen es eher um okkulte Ritualmorde geht.
    "Alles, was in die anderen Konzepte nicht reinpasste"
    Reil: Ich habe immer so das Gefühl, dass Magie ein wahnsinnig weiter Begriff ist, also im Prinzip so alles und nichts bedeuten kann. Was meinen wir denn eigentlich, wenn wir sagen, dass etwas magisch ist?
    Witzgall: Das ist eine sehr gute Frage, denn die Frage, wie man Magie definiert, etwas ist, worüber sich Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten, sich den Kopf zerbrechen und es gibt keine einheitliche Magiedefinition. Der Religionswissenschaftler Bernd-Christian Otto und auch Michael Stausberg haben zum Beispiel gesagt, dass Magie immer ein sehr vielstimmiges semantisches Feld ist, das umso komplexer wird je mehr Teilsynonyme wie beispielsweise Hexerei und Zauberei oder so moderne wissenschaftliche Kategorien wie Fetischismus, Okkultismus oder Schamanismus darin eingeschlossen werden.
    Im Grunde gilt Magie oft als eine Form von Aus- und Abgrenzungskategorie, wenn man so will, ein Aus- und Abgrenzungskonzept. Das heißt, es wurde im europäischen Aufklärungsdiskurs natürlich diesen Kategorien Religion - also im Sinne des Christentums - und der Wissenschaft gegenübergestellt und diente so ein bisschen als Auffangbecken für nicht einzuordnende Phänomene und abweichende Praktiken. Also all das, was in die anderen Konzepte nicht reingepasst hat, hat man in den Bereich der Magie gesteckt.
    "Eine Art widerständige Praxis"
    Reil: Sie haben vorhin einen Schlüsselbegriff, für meine Ohren zumindest, genannt: Ausgrenzung. Und Popkultur, Popmusik kokettiert ja auch sehr gerne mit dem Ausgrenzen, mit dem Sich-Absetzen und dem Gegenkulturellen. Glauben Sie, dass Popkultur besonders anfällig ist für das Okkulte und für das Magische?
    Witzgall: Da gibt es einen sehr engen Bezug, also gerade seit den 60er-, 70er-Jahren, aber das ist dann tatsächlich wieder eine andere Form von Magieverständnis, also eher ein Magieverständnis, was mir jetzt auch näher wäre oder was ein zeitgenössisches Magieverständnis, eine zeitgenössische Magiedefinition wäre. Indem man Magie als etwas versteht, was eben auch so eine Art von widerständige Praxis sein kann. Also eine Praxis, die sich gegen Normen in der Gesellschaft auflehnt, gegen neoliberale Interessen, gegen rationalistisches Zweckdenken. Das ist, glaube ich, was, was die Popkultur da aufgegriffen hat, gerade seit den 60er, 70er Jahren und woran sie sehr interessiert ist.
    Wir haben noch länger mit Susanne Witzgall gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Reil: Was für eine Rolle spielt die Digitalisierung, also das Internet für die Verbreitung des Magischen?
    Witzgall: Es spielt eine sehr große Rolle, denke ich. Weil viele magische Bücher, also angefangen von den Büchern von Aleister Crowley über Peter Carroll und Starhawk, um eine zeitgenössische Hexe auch zu nennen, gerade diese früheren historischen Werke waren oft unter Verschluss, die waren nicht so leicht zugänglich und das Netz macht sie jetzt zugänglich. Wir können all diese Schriften, auch von Austin Osman Spare usw. vom Anfang des 20. Jahrhunderts oder noch früher können wir jetzt im Internet finden und die sind da zugänglich.
    Echte Erkenntis durch magische Praktiken?
    Reil: Magie muss sich ja immer den Vorwurf Gefallen lassen, nicht richtig echt zu sein. Also eigentlich eine Trickserei, eine Halbwahrheit und im Internet kursieren seit langer Zeit auch die Fake News. Könnte man da eine Parallele sehen? Könnte man die Verbreitung von Fake News als okkulte Praxis beschreiben?
    Witzgall: Ja, in negativer Form vielleicht ja. Man könnte sagen, es ist eine Form von Trickserei, eine Form von illusionistischer Fehlleitung, im negativen Sinne, die versucht, Einfluss auf die Wirklichkeit, auf die Entscheidungen der Bevölkerung, der Rezipienten zu nehmen. Man könnte das als eine Art von Form magischer Praxis bezeichnen. Im positiven Sinne könnte man aber auch sagen, dass Magie als eine Form von kognitiver oder körperlicher Praxis verstanden werden kann, die eben als trickreiche und sich teilweise selbst unterlaufende Art und Weise eben versucht, Zugang zu verborgenen und nicht-benennbaren Dimensionen der Wirklichkeit zu erreichen, die vielleicht auch zu einer wirklichen Erkenntnis führen.
    Reil: Wir haben vorhin ein bisschen Musik hier angespielt, Witch House. Ja, die Popmusik ist stark von dem Bezug zum Magischen infiltriert. Was würden Sie sagen, wie kann man heutige Erscheinungen von Musik beschreiben, die sich eben auch zur Schwarzen Magie hingezogen fühlen. Haben Sie ein Beispiel?
    Witzgall: Nicht zur schwarzen Magie, aber zur Magie allgemein - ich denke da an Demdike Stare, die sich speziell beispielsweise mit dem Genre der Programmmusik auseinandersetzen. Also ein Genre, was ja Atmosphären erzeugen sollte, als Hintergrund für bestimmte Radiosendungen oder auch TV-Shows und die Demdike Stare jetzt entdeckt haben als eine Musikform, die wirklich so in alternative Welten entführt.
    Reil: Susanne Witzgall, sie hat das Buch "Reale Magie" herausgegeben. Nächste Woche erscheint es bei Diaphanes. Danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Witzgall: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Susanne Witzgall (Hg.): "Reale Magie"
    Diaphanes 2018, 224 Seiten, Erscheint am 12.01.2018.