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Renata Adler
Flucht aus New York

Mit "Pechrabenschwarz" geht die Wiederentdeckung von Renata Adler in die nächste Runde. Der Roman erschien 1983 und somit in einer Zeit, in der die Autorin und Journalistin gemeinsam mit Susan Sontag und Joan Didion zu den spannendsten intellektuellen Frauen New Yorks gehörte.

Penelopes Irrfahrten | 24.06.2015
    Skyline von New York , USA, 2010
    Skyline von New York , USA (picture alliance / dpa / Daiel Gammert)
    "Zu Homer möchte ich nur so viel sagen. Die Stelle in der Odyssee, wo es um das Weben und Auftrennen und die Freier geht, sie kann nicht stimmen, jedenfalls nicht so, wie sie da steht, und Homer hat, glaube ich, nie erwartet, dass wir sie ihm abnehmen."
    Die Geschichte ist bekannt: Penelope soll sich während der Abwesenheit von Odysseus die Freier vom Leib gehalten haben, indem sie behauptet, ein Leichentuch weben zu müssen. Dieses Webstück trennt sie jede Nacht aufs Neue auf, sodass sie niemals fertig werden und sich immerzu auf dieselbe Ausrede berufen kann. Kate, die Ich-Erzählerin aus Renata Adlers zweitem Roman "Pechrabenschwarz" hegt Zweifel an Penelopes Geschichte - hält sie aber für durchaus symptomatisch.
    "Dass seine Frau nachts nichts aufgetrennt hat und folglich tagsüber kaum etwas gewebt haben kann, soviel ist uns allemal klar, seit wir gelernt haben, nicht was Liebe, sondern was Berichterstattung ist, wie Gestalten des öffentlichen Lebens einzuschätzen sind und wie viel mehr, als man uns je zu erwarten gelehrt hat, in Wirklichkeit Lüge ist."
    Penelopes Irrfahrten
    Die Ausführungen zu Homer sind nicht die einzigen Anmerkungen zur Literatur, die Kate mit einem beeindruckend selbstbewussten und subjektiven Blick vorträgt. Durch und durch lakonisch zudem. Diese junge Frau, die ebenso wie die Autorin selbst in den 1960er-Jahren in Harvard studiert hat, ist genauso vertraut mit der Geistesgeschichte wie mit den zeitgenössischen Vorstellungen des Feminismus. Und dennoch kann es geschehen, dass ausgerechnet eine solche Frau in den, wie sie es nennt, "Zwischenräumen" im Leben eines Mannes strandet, als Dauergeliebte des verheirateten Jake, der nicht willens scheint, für sie aus seinem arrivierten Leben auszuscheren.
    Was Kate über Homer befindet, verweist so auch auf ihr eigenes Dilemma. Nicht nur hinsichtlich der möglicherweise sehenden Auges hingenommenen Verblendung. Sondern auch dort, wo es um das, vielleicht ja doch erfolgte, Weben und anschließende Auftrennen geht. Dem permanenten Auftrennen scheint ebenfalls der erste Teil des Romans "Pechrabenschwarz" anheimgefallen zu sein. Wie eine hektisch zusammengeflickte Patchworkdecke erscheinen diese Seiten: eine Montage aus Vergangenheitsbruchstücken und Nebenschauplätzen, ein Vorstoßen und Zurückziehen, ein ausweichendes, suchendes Erzählen, um dem Eigentlichen aus dem Weg zu gehen.
    Kate selbst hat ein sehr viel lapidareres Bild ihrer Poetologie parat. Zumindest kommt man nicht umhin, es als ein Solches zu lesen: Ein stotternder Außenbordmotor, der ewig nicht in Gang kommen will, so oft man auch an der Leine zieht. Aber irgendwann, wenn man schon nicht mehr damit rechnet, schnurrt der Motor plötzlich. Und so kommt auch Kate, kommt Renata Adler ins Erzählen. Nicht nur dem Leser offenbart sie sich in diesem Erzählen, sondern vor allem dem Geliebten, der immer wieder direkt angesprochen wird. Ein Roman als ausführlicher Brief, von dem lange unsicher bleibt, ob der Adressat ihn je erhalten wird.
    Leben in den Zwischenräumen
    Noch immer ist es, wie bei Renata Adler auch nicht anders zu erwarten, ein Erzählen, das mitunter in Andeutungen verbleibt, in dem Motive und einzelne Passagen sich in Variationen wiederholen.
    Renata Adler erzählt von einer Flucht. Von Kates Versuch, durch immer neue Reisen dem Bannkreis des Geliebten zu entkommen, das Kräfteverhältnis gleichsam umzudrehen, um nicht diejenige zu sein, die verlassen wird.
    Das Fatale an dem im Grunde ja einigermaßen alltäglichen Schicksal dieser doch eigentlich so selbstbewussten jungen Frau: Renata Adler zeichnet sie, ohne je wehleidige Töne anzuschlagen, in einer Mischung aus Zähigkeit und Schmerz als einen Menschen, dem durch das erzwungene Leben in den Zwischenräumen eines Mannes das Vertrauen in ihre Umgebung gänzlich abhandengekommen ist. Paranoia wäre ein zu großes Wort. Aber wenn Kate etwa nach Irland reist, in das Landhaus eines wohlhabenden Bekannten, dann fühlt sie sich immerzu bedrängt durch den Argwohn und die Böswilligkeit, die sie in allen Gesten der Bediensteten oder bei anderen Begegnungen zu spüren meint.
    Fast kafkaeske Züge nimmt das Ganze an, als Kate wegen eines unerheblichen Unfalls mit ihrem Mietwagen, einer Schramme nur, sich in die Fantasie hineinsteigert, eine gesuchte Verbrecherin zu sein, die nur unter falschem Namen das Land verlassen kann. Dass Renata Adler solche Szenarien immer selbst durchbricht, indem sie die eigentlich überzogenen Bezüge etwa zu Kafka offenlegt, führt dazu, dass diese nie peinlich erscheinen. Stattdessen wirken sie, wie Kate selbst, in einer Weise verdreht und schräg, der man seine Sympathie kaum verwehren kann. Wirklich einfach allerdings macht es einem diese Frau nicht, aber das ist bei der Eigenwilligkeit ihrer Schöpferin auch nicht zu erwarten.
    Welche Wendung die über lange Jahre unglückliche Liaison von Kate und Jake schließlich nimmt, erfahren wir nur als Beteuerung.
    "Da sagtest du, ein zweites Mal, Ich werde etwas an den Dingen ändern, Kate, wenn es das ist, was du willst. Und dann, in dem bewussten Tonfall, Es ist ein Liebesbrief, in gewisser Weise. Und ich sage, Was sonst. Da wären wir also."
    Immerhin, der Brief scheint seinen Empfänger also erreicht zu haben, und so darf man annehmen, dass damit auch Kates Irrfahrten nun endlich ein Ende haben. Dass Renata Adler hingegen sich nach Jahren wieder aufgemacht hat und die Leser durch ihre zugleich rätselhafte und kraftvolle Stimme ein wenig in Aufruhr versetzt, ist mehr als erfreulich.
    Renata Adler: "Pechrabenschwarz"
    Aus dem Englischen von Helga Huisgen. Bibliothek Suhrkamp, Berlin 2015. 228 S., geb., 19,95.