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Rente mit 57, aber arm dran: ein Rentner in Maroussi

Maroussi, eine Stadt vor den Toren Athens. 70.000 Einwohner, zumeist Mittelstand. Aus dem einst verschlafenen Vorort mit viel Grün ist eines der wichtigsten Zentren für Verwaltung geworden, für Dienstleistungs- und Pharmaunternehmen. Vom Athener Stadtzentrum fährt die S-Bahn eine halbe Stunde bis hierher. Wegen Bauarbeiten dauert die Fahrt an diesem Nachmittag doppelt so lang.

Von Panagiotis Kouparanis |
    Jorgos Spyropoulos wartet schon. Man merkt es ihm an: Er wartet ungern. Auch als Rentner möchte er noch, dass alles zügig und effektiv vorangeht. Vier Jahrzehnte als Maschinenbauingenieur und in der Finanzabteilung von Privatunternehmen haben ihre Spuren hinterlassen. Jorgos Spyropoulos sieht sich nach einem geeigneten Platz für ein Gespräch um. Das Café mit den vielen freien Plätzen im Schatten lehnt er ab. 3.50 für einen Café – doch nicht in diesen Zeiten! Er steuert lieber die nahegelegene Bank an.

    "Wir waren darauf alle nicht vorbereitet, vor allem auf die Tragweite der Krise. Die heutige Regierungspartei hat uns hinters Licht geführt, als sie vor den Wahlen versprach, dass Geld vorhanden sei und sie dass Problem in 100 Tagen lösen werde. Weil ich dem vertraute, habe ich sie gewählt."

    Es kam, was kommen musste, stellt Jorgos Spyropoulos lapidar fest. Wer ständig auf Pump lebt, muss irgendwann die Rechnung dafür zahlen. Die ist nun ziemlich heftig ausgefallen.

    Jorgos Spyropoulos bekommt 900 Euro Rente im Monat, mehr als andere. Obwohl die Rentenkürzungen ihn nicht oder noch nicht betreffen, bekommt auch er zu spüren, dass die Regierung die Mehrwertsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer drastisch erhöht hat. Mehr als eine Tankfüllung im Monat ist jetzt nicht mehr drin. Aber vielleicht ist das ja ganz gut für die Gesundheit, fügt er sarkastisch hinzu und fasst sich an den Bauch, er muss jetzt mehr zu Fuß gehen.
    Bisher hat sich Jorgos Spyropoulos mit den Einschnitten irgendwie arrangiert. Was ihn belastet, ist die Unsicherheit, wie es weitergeht. Seine Stimme wird entschieden.

    "Ich bin aufgebracht über das Verhalten der Regierenden in all den (die) Jahren. Aber wir müssen das Land retten. Das ist es, was mich zurückhält. Wenn ich aber feststelle, dass es nicht vorangeht, dass in den Führungsetagen der Politik keine Katharsis stattfindet, dann werde ich auf die Straße gehen, weil ich mir sagen werde, sie halten mich für blöd."

    Denn wie alle Beschäftigten in der Privatwirtschaft hat Jorgos Spyropoulos immer seine Steuern abgeführt - 37 Jahre lang, genauer gesagt 11.110 Arbeitstage. So steht es auf seinem Rentenbescheid.

    Um diese Arbeitstage zusammenzukriegen, müsste ein deutscher Kollege 44 Jahre lang arbeiten. Für mich, sagt Jorgos Spyropoulos, galt die Fünf-Tage-Woche nur auf dem Papier. Mehr als drei Wochen Urlaub im Jahr waren nicht drin, und trotz der vielen Heiligen, sagt er lachend, gab es nur zehn Feiertage.

    Das klingt, als müsste er sich dafür rechtfertigen, dass er mit 57 in Rente gegangen ist. Natürlich wurde Schindluder mit der frühen Verrentung getrieben, ärgert sich Spyropoulos, aber nicht im privaten Sektor, wo drei Viertel der Beschäftigten arbeiten. Im Staatsdienst ja. Bis vor kurzem noch konnten zum Beispiel Militärs schon nach 25 Jahren aus dem Dienst ausscheiden.

    Jorgos Spyropoulos guckt hinüber zum nahe gelegenen Spielplatz. Seine Kinder sind erwachsen. Die beiden Söhne sind aus dem Haus und finanziell unabhängig. Nur die Tochter wohnt noch bei den Eltern. Ein Glück, dass seine Frau noch arbeitet, sagt Spyropoulos. 600 Euro bekommt sie als Sekretärin in einem kleinen Büro, ihr Einkommen ist unverzichtbar für die Familie.

    "Sehen sie, meine Tochter hat gerade ihr Ingenieursstudium in Werkstoffkunde abgeschlossen. Man könnte meinen, ein tolles Studium. Aber sie findet keine Stelle in diesem Bereich. Deshalb sucht sie jetzt irgendeine Arbeit, damit sie sich ihr eigenes Taschengeld verdient - egal was."

    "Ich bin so verrückt zu glauben, dass der Mensch, der die geringsten Bedürfnisse hat, der glücklichste ist." Der Schriftsteller Henry Miller hat diesen Satz geschrieben, in seinem Buch "Der Koloss von Maroussi" – dem Ort also, in dem Jorgos Spyropoulos heute lebt. Er schüttelt den Kopf. Nein, sagt er, Henry Miller hat nicht Recht: Griechische Rentner müssen sich mit wenig begnügen, aber deswegen sind sie doch nicht glücklich.