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Rentendebatte
"Ich verstehe die Hektik nicht"

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, warnt vor hektischen Aktivitäten in der Rentendebatte. Dafür gebe es keinen Anlass, sagte Kampeter im Deutschlandfunk. Die Grundsatzentscheidung, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, sei ein richtiger Schritt.

Steffen Kampeter im Gespräch mit Dirk Müller | 28.11.2016
    Porträt von Steffen Kampeter
    Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der BDA (imago / Müller-Stauffenberg)
    Es gebe kein überraschendes Problem der Alterssicherung, sagte Kampeter im Deutschlandfunk. Der demografische Wandel sei seit Langem bekannt. Eine positive Rentenentwicklung sei abhängig von der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb sei es das beste für die Rentenversicherung, Beschäftigung zu schaffen. Darauf müsse der Fokus liegen. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken.
    Zum Thema Altersarmut betonte Kampeter, die eigentlichen Risiken lägen bei bestimmten Personengruppen, beispielsweise bei Alleinerziehenden. Hier müsse die Politik gegensteuern.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Rente ist alles andere als sicher. Das weiß auch Andrea Nahles. Die Arbeitsministerin will mit höheren Beiträgen und Steuerzuschüssen ein Mindestniveau absichern und das über das Jahr 2030 hinaus. Am Telefon ist nun Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arbeitgeber (BDA), zuvor viele Jahre als CDU-Politiker Staatssekretär von Wolfgang Schäuble im Finanzministerium. Guten Morgen.
    Steffen Kampeter: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Kampeter, wir hören es gerade: vielleicht ein bisschen Netzprobleme bei der Telekom. Wir haben im Deutschlandfunk auch darüber in den Nachrichten berichtet. Sie sind ein Leidtragender, wir erreichen Sie jetzt auf dem Handy. Wir wollen über Andrea Nahles sprechen, die kostspielige Rentenreform. Herr Kampeter, können die Sozialdemokraten immer noch nicht rechnen?
    Kampeter: Na ja, zumindest verstehe ich nicht, was die hektische Rentendebatte auslöst. Erstens: Haben wir einen Beschäftigungseinbruch? Nein! Die Beschäftigung ist besser als prognostiziert. Sinkt die Rente? Nein! Sie steigt unerwartet hoch. Haben wir Probleme bei der privaten Vorsorge? Nein! Wir renovieren sie gerade.
    Haben wir bei der Betriebsrente ein Problem? Auch sie wird auf den neuesten Stand gebracht. Das Einzige was sich verändert hat ist, dass alle auf den Wahltermin gucken. Die vor 15 Jahren beschlossene Rentenreform, die sich an der Generationen-Fairness und an Langfristigkeit orientiert, muss weiter Bestand haben. Für hektische Rentenaktivitäten sehe ich keinen Anlass.
    Müller: Das ist jetzt schön zu erfahren an diesem Morgen, Steffen Kampeter. Sie sagen jetzt den ganzen Zuhörern, die uns heute Morgen hier am Radio lauschen: Wir haben gar kein Rentenproblem.
    Kampeter: Ja zumindest keins, was überraschend sich von dem unterscheidet von vor einem oder vor 15 Jahren. Wir haben gesagt, wir haben einen demografischen Wandel. Deswegen ist gesagt worden, wir müssen das fair zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern aufteilen, und haben einen kontinuierlichen Anstieg der Lebensarbeitszeit, um diese Fairness zu erreichen. Jetzt wird plötzlich die Frage aufgeworfen, war die Entscheidung vor 15 Jahren richtig. Darüber kann man trefflich streiten. Tatsache ist aber: An der Demografie hat sich nichts geändert.
    Wer jetzt das Rentenniveau weiter steigen lassen möchte, muss dafür erhebliche Mehrkosten in Anspruch nehmen. Und wenn die Bundesarbeitsministerin sagt, 25 Prozent seien ihr Ziel, und möglicherweise in der Krankenversicherung auch noch Bewegung nach oben ist durch Demografie und technischen Fortschritt, dann weiß ich nicht, ob die dann fast 50 Prozent Sozialversicherungsbeiträge plus zusätzliche Steuern diese Fairness zwischen den Generationen und zwischen Beitragszahlern, Steuerzahlern und Rentenempfängern noch aufrecht erhält. Wir sollten an den bewährten Prinzipien der damals rot-grünen Rentenreform festhalten.
    "Das Volumen der empfangenen Rente sinkt nicht"
    Müller: Das ist ja auch interessant, dass Sie die rot-grüne Rentenreform jetzt loben, Herr Kampeter, als langjähriger CDU-Politiker. Aber nicht alles, was vor 15 Jahren beschlossen wurde, muss ja heute noch richtig sein. Sie müssen uns da in einem Punkt noch mal helfen, habe ich Sie vielleicht auch falsch verstanden. Sie sagen, wer Interesse daran hat, das Rentenniveau weiter zu erhöhen. Dabei haben wir doch jetzt so rund 48 Prozent, was das Rentenniveau anbetrifft, und es geht ja darum: Fällt das auf 45, 44, eventuell auf 42, 41 Prozent bis 2030. Da sagt die Ministerin, weniger als 46 Prozent ist mit mir nicht zu machen. Das heißt, es geht ja gar nicht darum, das Ganze zu erhöhen; es geht darum, das Niveau nur ein wenig zu erhalten beziehungsweise dass die Verluste nicht zu stark sind. Was ist daran falsch?
    Kampeter: Herr Müller, erstens: Die Renten steigen pro Monat weiter nach Angaben von Frau Nahles im Schnitt um zwei Prozent fürs Jahr und die Rentenbezugsdauer steigt auch an durch die Demografie. Das heißt, das Volumen der empfangenen Rente sinkt nicht. Was lediglich sich verändert - und das war damals politisch gewollt und ist ja nicht nur von Rot-Grün, sondern von den Unions-Parteien im Bundesrat unterstützt worden - ist das Rentenniveau. Das war auch politisch gewollt als Beitrag der Rentenempfängerinnen und Rentenempfänger für diese Generationen Fairness, um beide, nämlich Rentenbeitragszahler und Rentenempfänger daran teilhaben zu lassen.
    Eine neue Sachlage kann ich derzeit überhaupt gar nicht erkennen. Im Gegenteil! Die Entwicklung beim Rentenniveau hat sich in den letzten Wochen beispielsweise eher nach oben entwickelt durch die guten Beschäftigungszahlen. Und was ein Rentenniveau in 2030 oder, wie Frau Nahles jetzt bis 2045 nach vorne blickend sagt, wert ist, hängt sehr davon ab, wie viele Menschen wir in Beschäftigung haben. Und das Beste für die Rentenversicherung ist, die Beschäftigung in Deutschland hochzuhalten. Wir haben bis 2030 nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sechs oder sieben Millionen weniger Menschen, die bereit oder in der Lage sind zu arbeiten. Daran muss man zur Stabilität auch des Rentenversicherungssystems eher steuern, als jetzt plötzlich eine Niveau-Debatte zu beginnen, von der weder Sie noch ich wissen, was 2045 oder 2030 mit diesem Niveau zu erwarten ist.
    "Die Löhne steigen offensichtlich schneller als das Rentenniveau"
    Müller: Herr Kampeter, wir brauchen ja vielleicht dann nur bis 2030 zu gehen. Jetzt sind das ja nur noch 13 respektive 14 Jahre. Das heißt, Sie garantieren, auch wenn das Rentenniveau so wie vorgesehen, so wie prognostiziert auf 41 Prozent sinkt - noch einmal: jetzt haben wir 48 Prozent -, sind das trotzdem in den nächsten 14 Jahren immer noch Rentenerhöhungen?
    Kampeter: Das sagt die Bundesregierung, das sagt Frau Nahles selber, denn man verwechselt ja immer die absolute Rentenhöhe mit dem Rentenniveau. Tatsache ist: Die Löhne steigen offensichtlich schneller als das Rentenniveau. Das ist ja auch eine Begründung dafür, dass man dafür private Vorsorge tun kann. Das war damals ja die Zusage. Die erste Säule, die gesetzliche Säule steigt nicht mehr so dynamisch. Nichts mehr ist damals beschlossen worden. Dafür stärken wir die zweite und dritte Säule. Das sind die Betriebsrenten, das ist die private Vorsorge, Stichwort Riester. Beim Ersten waren wir sehr, sehr konsequent. Beim zweiten holen wir jetzt in diesen Monaten die Beschlüsse nach. Aber das Image der Rentenversicherung zerstören wir doch durch diese Debatte, das Vertrauen der jüngeren in die Stabilität des Rentensystems, aber wir lösen mit hektischen Diskussionen eigentlich überhaupt kein Problem, was nicht vor zehn oder 15 Jahren bereits bekannt war.
    Müller: Aber so hektisch, Herr Kampeter, ist das ja vielleicht gar nicht. Immerhin drei Jahre hat sich die Arbeitsministerin jetzt Zeit gelassen für dieses Konzept. Und es gibt immer mehr ältere, es gibt immer weniger jüngere, die dann in Arbeit sind. Das heißt, das Demografieproblem, das haben Sie eingeräumt, ist das objektive Problem. Und das zweite objektive Problem bei der Rente und bei der Rentendiskussion ist ja sicherlich, dass man frühzeitig prophylaktisch über 10, 15, 20 Jahre planen muss. Sie würden jetzt als verantwortlicher Minister im Arbeits- und Sozialministerium die Hände komplett davon weglassen?
    Kampeter: Ja, und zwar, weil die Grundsatzentscheidungen richtig waren, dass man die Lebensarbeitszeit verlängert. Ich würde der Arbeitsministerin empfehlen, das was mit Flexirente beschlossen ist, weiter fortzuentwickeln und einen flexiblen Altersübergang zu organisieren. Denn es gibt ja nicht nur Leute, die vor der Regelarbeitszeitgrenze ausscheiden wollen oder müssen, sondern wir haben auch in Deutschland eine ganze Reihe von Menschen, auch durch den medizinischen Fortschritt, auch durch gesellschaftliche Veränderungen, die länger arbeiten wollen.
    Ich prognostiziere Ihnen, Herr Müller, in zehn Jahren werden wir nicht über eine feste Regelarbeitsgrenze bei der Rentenversicherung nachdenken, sondern werden uns freuen, dass wir Flexibilitätsmöglichkeiten haben, die sozial verantwortlich sind, dass diejenigen beispielsweise im Rahmen einer verbesserten Erwerbsminderungsrente, die wir ja derzeit auch gerade renovieren, ein Stück weit früher ausscheiden können, und diejenigen, die weil sie länger arbeiten wollen, Spaß daran haben und auch gesundheitlich in der Lage sind, länger im Erwerbsleben tätig sind. Das wird ein flexibleres, nachhaltigeres Rentensystem bringen. Wenn man darüber als Arbeitsministerin nachdenkt, hielte ich das für vertrauensbildender, anstatt jetzt den Eindruck zu erwecken, als wolle man Rentenempfänger und Beitragszahler gegeneinander ausspielen.
    "Wir müssen die Erwerbschancen von Alleinerziehenden verbessern"
    Müller: Vielleicht hört Andrea Nahles uns heute Morgen ja zu, was wir hoffen. Ein weiteres Stichwort, was seit vielen Monaten und Jahren schon diskutiert wird: Altersarmut. Da sagen Sie auch vom BDA, Altersarmut alles Quatsch, kann nicht kommen?
    Kampeter: Das stimmt nicht, dass wir so blauäugig durch die Welt marschieren. Richtig ist vielmehr, die eigentlichen Armutsrisiken liegen nicht im Alter, sondern beispielsweise bei Alleinerziehenden. Dort ist das statistische Armutsrisiko doppelt so hoch. Deswegen ist die Diskussion hier fehl am Platze zu sagen, das sei das Altersrisiko Nummer eins. Tatsache ist, wir müssen die Erwerbschancen von Alleinerziehenden beispielsweise durch die Verbesserung von Betreuungsinfrastruktur, sprich Kitas, Kindergärten, Ganztagsangebote in Schulen verbessern. Da leisten wir erheblich mehr zur Vermeidung von Armut in Deutschland, als wenn wir die drei Prozent, die derzeit nicht mit der gesetzlichen Rente auskommen, so adressieren, als ob es 30 oder 40 Prozent sind. Tatsache ist: 97 Prozent der Menschen kommen mit der gesetzlichen Rente und ihrer privaten Vorsorge aus.
    Müller: Jetzt, Herr Kampeter!
    Kampeter: Was wir allerdings machen müssen, ist, dass wir die private Vorsorge besser berücksichtigen. Das heißt, ein Freibetrag von privater Vorsorge zur Vermeidung von Altersarmut und Abgleiten in die sogenannte Grundsicherung ist geboten. Auch da hat die Politik bereits reagiert, entsprechende Vorschläge, die ich begrüße, liegen auf dem Tisch.
    Müller: Viele in der Politik, Herr Kampeter, nicht nur viele in der Politik fordern, dass die Unternehmer höhere Löhne bezahlen. Denn 25 Prozent - das sind die Zahlen, die uns im Moment ja vorliegen, hat Oskar Lafontaine in der vergangenen Woche auch noch einmal genannt als politisches Argument -, 25 Prozent der Beschäftigung in Deutschland ist inzwischen im Niedriglohnsektor. Die These ist, dass alle, die in diesem Niedriglohnsektor über viele, viele, viele Jahre arbeiten, nachher nur eine Rente bekommen, die nicht höher ist als die Grundsicherung. Wie groß ist diese Gefahr?
    Kampeter: Zuerst einmal: Deutschland ist ja kein Billiglohn-Land, wie manche es beschreiben. Tatsache ist: Wir werden in den nächsten Jahren nur dann hohe Löhne zahlen, wenn wir eine produktivitätsorientierte Wachstumspolitik betreiben, das heißt, die Chancen für wirtschaftliches Wachstum und für technologischen Fortschritt, die es gibt, auch tatsächlich nutzen. Das bedeutet beispielsweise, dass wir die Digitalisierung der Arbeit nicht befürchten, sondern entschieden vorantreiben. Dies bedeutet, dass wir die Chancen durch Freihandel besser nutzen, um Arbeitsplätze und Lohnerhöhungsspielräume in Deutschland zu nutzen. Und dies bedeutet schließlich, dass wir unser soziales Sicherungssystem auch nicht durch Fehlentscheidungen so unattraktiv machen, dass es eine Einladung ist, Arbeitsplätze aus Deutschland heraus zu verlagern.
    Müller: Herr Kampeter, wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich muss da noch mal kurz nachhaken. Aber ist das so? Räumen Sie das ein, dass diejenigen, die lange Zeit in diesem Niedriglohnsektor arbeiten, dann hinterher keine vernünftige Rente bekommen?
    Kampeter: Ich räume ein, dass unser gesetzliches Rentensystem sagt, wer mehr einzahlt, bekommt eine höhere Rente und wer weniger einzahlt, bekommt eine geringe Rente. Das ist die Logik seit über 100 Jahren, Herr Müller.
    "Wir müssen mehr gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland schaffen"
    Müller: Und wer wenig verdient hat Pech gehabt?
    Kampeter: Mein Argument ist, wir müssen mehr gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland schaffen, indem wir die Chancen, die die Technologie, die Freihandel und andere Möglichkeiten bieten, Arbeit in Deutschland besser zu entwickeln, auch tatsächlich nutzen, als sie durch Bürokratisierung, Überregulierung und Ähnliches geradezu vom Gesetzgeber empfehlen, ins Ausland zu verlagern. Der Standort Deutschland muss attraktiv bleiben, dann bleibt auch das Sozialversicherungssystem attraktiv.
    Müller: Entschuldigung, Herr Kampeter. Leider die Musik im Hintergrund, wir stehen ganz kurz vor den Nachrichten. Danke ganz herzlich, dass Sie für uns Zeit gefunden haben Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.