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Rentendebatte
"Nahles versucht, mehr Möglichkeiten für die Rente mit 63 zu schaffen"

Andrea Nahles wolle Koalitionsvereinbarungen über den Zugang zur Rente mit 63 brechen, sagte der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag (CDU), Michael Fuchs, im DLF. Die CDU lehne eine solche Ausweitung aus Kostengründen ab. Er sprach sich zudem gegen Rentenbeitrags- und Steuererhöhungen zur Finanzierung der sogenannten Mütterrente aus.

Michael Fuchs im Gespräch mit Dirk Müller | 26.02.2014
    Porträt von Michael Fuchs (CDU)
    Rente schon ab 63 Jahren? Die Bundesregierung streitet darüber, wer dazu berechtigt sein soll. (dpa / Karlheinz Schindler)
    Dirk Müller: Mehr Einmischung geht nicht! Unerhört! Unverschämt! Was bildet der sich ein! – Das alles ist zu hören seit Beginn dieser Woche auf den Fluren im Berliner Regierungsviertel. Gemeint ist diesmal EU-Kommissar Olli Rehn. Gemeint ist dessen Kritik an den milliardenschweren deutschen Rentenplänen und dessen Drohung, notfalls dagegen vorzugehen mit einem Verfahren. Mit der Kritik steht er allerdings nicht alleine da; auch die OECD sieht das so, auch Washington, auch der IWF, auch die deutschen Unternehmen, auch Millionen von Arbeitnehmern, auch Millionen junge Menschen hierzulande, die die Zeche schließlich zahlen müssen. Die abschlagsfreie Rente mit 63 und die geplante Mütterrente wird wohl über 160 Milliarden Euro kosten in den kommenden Jahren. Zudem ist immer noch unklar, wie viele Rentner künftig davon profitieren werden. Offenbar viel, viel mehr, als bislang von Andrea Nahles als zuständige Ministerin angenommen. Warum also das ganze? Wer will und kann das bezahlen? Wer bringt das der jungen Generation bei? Fragen, die sich jeden Tag auch Michael Fuchs stellt, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion. Guten Morgen!
    Michael Fuchs: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Fuchs, wird das langsam für Sie eine Gewissensfrage?
    Gesamtgesellschaftliche Aufgabe
    Fuchs: Nein. Es ist so, dass wir ja eine klare Vereinbarung mit der SPD haben, die die SPD allerdings momentan doch deutlich ausweitet. Das kann nicht der Fall sein. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, dass wir den Einstieg in die volle Mütterrente machen. Das ist auch nicht ganz richtig gewesen, was damals passiert ist. 1991/92 hat man ja gesagt, ab 92 beziehen die Frauen, die Kinder bekommen, Mütterrente und vorher nicht. Eine Erklärung dafür hat es nicht gegeben, das war falsch, das haben wir korrigiert, das wollen wir jetzt korrigieren, aber auch nur einstiegsweise. Das muss allerdings am Ende des Tages aus Steuern bezahlt werden, weil es eine gesamtwirtschaftliche Aufgabe ist.
    Die SPD möchte unbedingt die Rente mit 63 einführen. Da haben wir gesagt, ja, wir machen mit, aber unter sehr engen Voraussetzungen, und da liegen momentan die Diskussionspunkte. Viele der Voraussetzungen werden ausgeweitet, und das können wir nicht mitmachen.
    Müller: Die Ministerin weitet ihre Kompetenzen aus?
    Fuchs: So würde ich es nicht sagen, sondern sie versucht, mehr Möglichkeiten für die Rente mit 63 zu schaffen. Das wollen wir nicht, weil das zu teuer wird. Zum Beispiel, indem sie sagt, Arbeitslosigkeit wird voll angerechnet. Wir haben klar ausgemacht, dass maximal fünf Jahre Arbeitslosigkeit auf die 45 Jahre angerechnet wird, und zwar ALG-I-Bezug, also nicht ALG II, nicht Hartz IV, sondern ausschließlich ALG-I-Bezug und maximal fünf Jahre. Das war eine Vereinbarung, die wir in den Koalitionsverhandlungen haben. Da will sie momentan nicht so richtig heran. Das muss aber passieren, denn das ist eine Grundvoraussetzung, dass wir einverstanden sein können.
    Müller: Aber Sie sagen, Michael Fuchs, wenn ich Sie richtig verstehe, die Ministerin ist gerade dabei, Andrea Nahles, diese Vereinbarung zu hintergehen, zu brechen?
    Fuchs: Nein! Sie möchte einfach noch zusätzliche Möglichkeiten schaffen. Sie möchte längere Arbeitslosigkeit haben, sie möchte auch Hartz-IV-Bezug haben. Das haben wir nicht vereinbart und das wollen wir dann auch nicht machen.
    "Brauchen erhebliche Beträge"
    Müller: Also will sie die Vereinbarung brechen?
    Fuchs: Das kann man so sehen. Ich bin der Meinung, dass wir uns an die Dinge, die wir in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben, eng halten müssen. Das werden wir auch tun.
    Müller: Jetzt hört sich das alles ganz gut an. Sie sagen, die Gerechtigkeitslücke bei der Mütterrente, das müssen wir rückgängig machen, beziehungsweise die müssen wir schließen. Niemand hat das damals verstanden mit der Begrenzung auf 1992, was die Geburt der Kinder anbetrifft. Jetzt versteht niemand, wieso wir so viel Geld haben, diese Gerechtigkeitslücke, wie Sie es nennen, zu schließen. Wissen Sie jetzt schon, wie viel Geld wir dafür brauchen?
    Fuchs: Das ist schwer zu sagen. Wir werden meiner Meinung nach erhebliche Beträge brauchen, die in der Größenordnung von zwischen sechs und sieben Milliarden Euro pro Jahr liegen. Das muss a la longue finanziert werden, denn das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir wollen ja haben, dass mehr Kinder kommen. Im Prinzip sind die Kinder diejenigen, die nachher dafür sorgen, dass das Rentensystem überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Genau deswegen war dies damals von Kohl und Blüm geplant worden. Aber meiner Meinung nach ist es schon ein bisschen ungerecht zu sagen, eine Frau, die vor 92 Kinder bekommen hat, wird nicht gefördert. Das kann dann nicht richtig sein.
    Müller: Es ist ja auch ungerecht beispielsweise, dass viele von uns damals Wehrdienst gemacht haben und heute nicht. Man kann ja nicht alles rückgängig machen, wenn man kein Geld hat.
    Problem stichtagsbezogener Maßnahmen
    Fuchs: Das stimmt, da haben Sie recht. Es ist natürlich immer das Problem mit den stichtagsbezogenen Maßnahmen, die der Staat macht. Aber die CDU hat seit Jahren für die Mütterrente und für die Ausweitung der Mütterrente gekämpft. Das ist ein Parteitagsbeschluss der CDU, der jetzt auf dem letzten Parteitag in Leipzig gefasst wurde, und der muss von uns umgesetzt werden.
    Müller: Wir bekommen von Ihnen, Herr Fuchs, heute morgen die Garantie, dass diese Steuermittel, die dafür gebraucht werden – Sie sagen, im Moment sechs bis sieben Milliarden pro Jahr -, nichts mit Steuererhöhungen zu tun haben werden?
    Fuchs: Steuererhöhungen haben wir klar ausgemacht und der Bundesfinanzminister wird das auch durchsetzen, dass die nicht kommen. In dieser Legislaturperiode gibt es keine Steuererhöhungen. Das ist CDU-Politik pur und das muss auch so umgesetzt werden. Deswegen müssen wir auch darüber nachdenken, ob in dem riesigen Etat von Frau Nahles – Frau Nahles hat ja mit weitem Abstand den größten Etat; ich glaube, fast annähernd 50 Prozent des Bundeshaushaltes ist der Sozialetat -, da muss man mal nachdenken, ob da nicht irgendwelche anderen Einsparmöglichkeiten sind, um so was zu finanzieren.
    Müller: Hätten Sie da schon eine Idee? Vielleicht hört Frau Nahles ja zu.
    Fuchs: Ich könnte mir vorstellen, dass wir beispielsweise bei den Arbeitseingliederungsmaßnahmen durchaus Einsparungen machen können, denn es ist ja so, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland stark gesunken ist, vor allen Dingen in der letzten Legislaturperiode stark gesunken ist. Dann muss es ja auch möglich sein, dort Einsparungen zu machen. Es gibt immer noch 88 Programme bei der Bundesagentur für Arbeit und da sollte man eng prüfen, was sein muss und was nicht sein muss.
    Müller: Was könnte das bringen, Michael Fuchs? 50 Millionen, zehn Millionen, 100?
    Fuchs: Nein, nein, nein, nein, nein! Wir reden hier über große Beträge. Wir reden hier schon in einer Größenordnung von Milliarden-Beträgen.
    Müller: Das kostet Milliarden, wovon Sie jetzt gesprochen haben?
    Fuchs: Die Eingliederungsbeihilfen bei der Bundesagentur für Arbeit sind größere Milliarden-Beträge.
    Müller: Aber man würde dann auf die Wahrscheinlichkeit verzichten, dass noch mehr Leute in Arbeit kommen?
    Arbeitsmarkt momentan "äußerst günstig"
    Fuchs: Das sehe ich nicht so. Wir haben momentan eine äußerst günstige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt Regionen in Deutschland, wo wir faktisch keine Arbeitslosigkeit mehr haben. Aber die Eingliederungsmaßnahmen sind genauso groß, die Menge an Eingliederungsmaßnahmen ist genauso groß wie zu Zeiten, als wir noch fünf Millionen Arbeitslosigkeit hatten. Da muss es ja wohl Möglichkeiten geben, Veränderungen zu schaffen.
    Müller: Jetzt sagen Sie, zur Finanzierung dieser Mütterrente brauchen wir keine Steuererhöhungen und es wird per Steuer finanziert. Wie schwierig ist das für Sie? Ist das immer noch ein Stich, so ein bisschen im Herz, wenn Sie daran denken, dass die Beitragssenkungen, die ja angebracht gewesen wären, nicht zulassen, obwohl so viele Milliarden in der Rentenkasse sind?
    Fuchs: Das ist wahr. Ich hätte es lieber so gesehen, dass wir die Beiträge gesenkt hätten. Das ist klar, das muss ich auch zugeben. Aber wir haben nun mal die Vereinbarung getroffen in der Partei, dass die Mütterrente kommen soll, und dementsprechend bin ich dann Demokrat. Wenn das so entschieden ist, dann müssen wir das auch umsetzen.
    Müller: Wir reden also nicht über Beitragserhöhungen zur Finanzierung des Ganzen in den kommenden Jahren?
    Fuchs: Das darf nicht der Fall sein. Wir haben uns klar – das steht nebenbei auch im Koalitionsvertrag; ich weiß sogar die Seite: auf Seite 8 – die Maxime gegeben, dass die Gesamt-Sozialversicherungsbeiträge nicht über 40 Prozent steigen dürfen. Das muss eingehalten werden, das werden wir auch einhalten. Also können wir es nicht über Beitragserhöhungen machen, auch nicht über Steuererhöhungen, sondern wir müssen es durch Einsparungen andererseits hinbekommen.
    Müller: Und Sie meinen, dass die Arbeitsministerin genau weiß, wie viel Geld sie in der Kasse hat?
    Fuchs: Ich gehe mal davon aus. Sie ist im Amt und ich gehe davon aus, dass sie sich mit ihrer Kasse sehr genau auskennt. Es wäre traurig, wenn es nicht so wäre.
    Müller: Jetzt haben wir ja im Fokus auch die Kritik von Olli Rehn, wir haben ganz kurz im Vorgespräch darüber gesprochen, der sich ja ganz weit aus dem Fenster gelehnt hat, der EU-Kommissar, und hat gesagt, dieses ganze hier, diese Milliarden, die da gebraucht werden zur Finanzierung dieser Rentenpläne, das ist staatsstabilitätsgefährdend, in der Form, dass die Staatsfinanzen ganz gründlich durcheinandergeschüttelt werden können. Hat er da vollkommen unrecht, oder ist da was dran?
    "Kann Olli Rehn verstehen"
    Fuchs: Ich sage mal, prinzipiell würde ich mir wünschen, dass alle europäischen Länder so stabil aufgestellt wären, wie Deutschland das zurzeit ist, und ich glaube auch nicht, dass durch diese Maßnahme nun die Staatsfinanzen komplett durchgeschüttelt werden. Auf der anderen Seite kann ich Olli Rehn verstehen, wenn er den Finger, den Zeigefinger hebt und sagt, seid mal schön vorsichtig, denn eins steht fest: Deutschland kann ebenfalls in eine Krise reingeraten und dann wird es kritisch. Momentan ist die Situation nicht dramatisch. Momentan ist die Situation in Deutschland sehr überschaubar. Wir werden nächstes Jahr vermutlich das erste Mal einen ausgeglichenen Bundeshaushalt haben. Auch in vielen Ländern sieht es gut aus, leider nicht in allen, aber nehmen Sie Bayern, nehmen Sie Sachsen, die haben alle Überschüsse. Also die Situation ist wirklich in der jetzigen Phase ziemlich gut. Aber das ist nicht garantiert, das ist nicht für die Zukunft garantiert. Wer weiß, welche Krisen auf der Welt kommen, die dann auch die deutsche Wirtschaft belasten und dementsprechend die Situation verändern.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Fuchs. Danke für das Gespräch, einen schönen Tag.
    Fuchs: Ich bedanke mich bei Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.