Freitag, 19. April 2024

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Rentenpaket
"Die Steuerfinanzierung ist deutlich gerechter als die über Beiträge"

Der Finanzwissenschaftler Aloys Prinz hält es für undenkbar, dass die Rentenkasse ohne Steuergelder auskommt. Durch sozialpolitische Maßnahmen wie die Mütterrente würden Rentenansprüche verwässert, sagte er im Dlf. Für derlei Umverteilung sei eine Steuerfinanzierung die beste Lösung.

Aloys Prinz im Gespräch mit Dirk Müller | 08.11.2018
    Ein älteres Paar sitzt in einem Park auf einer Bank im Sonnenschein.
    Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer betrug im Jahr 2016 19,4 Jahre insgesamt (picture alliance/dpa)
    Dirk Müller: Die Rente in einer Dauerkrise, weil so gut wie immer finanziell nachgeschossen wird. Wozu haben wir Rentenbeiträge, wenn dennoch Milliardensummen zusätzlich gebraucht werden? - Das ist unser Thema mit dem Münsteraner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Aloys Prinz. Guten Tag!
    Aloys Prinz: Guten Tag!
    Müller: Herr Prinz, ist das völlig naiv zu denken, dass die Rentenkasse ohne Steuergelder auskommt?
    Prinz: Ja. Das muss man einfach so brutal sagen. Das ist undenkbar, und zwar deshalb, weil sozialpolitisch etliche Leistungen über die Rente fließen, wie zum Beispiel Kindererziehungszeiten und andere Veränderungen, die nicht beitragsbezogen sind. Und diese nicht beitragsbezogenen Komponenten in der Rentenversicherung muss man wohl oder übel mit Steuern finanzieren.
    Müller: Da fällt mir ein Stichwort ein, wenn ich das richtig gespeichert habe. Das ist viele Jahre her, darüber haben wir aber häufig damals diskutiert: Versicherungsfremde Leistungen unter Helmut Kohl.
    Prinz: Genau.
    "Versicherungsfremde Leistungen sind teuer"
    Müller: Sind das immer noch diese Folgen?
    Prinz: Es sind nicht nur immer diese Folgen, sondern es sind die Ausweitung der Kindererziehungszeiten, Mütterrente und diese Komponenten. Die kommen mittlerweile sehr teuer. Natürlich spielen die anderen Komponenten auch noch eine Rolle. Alle Komponenten, die in der Vergangenheit eingeführt worden sind, die nicht Rente im Sinne der Rentenversicherung sind, wo Ansprüche erworben werden durch Beitragszahlung, das sind alles versicherungsfremde Leistungen, und diese versicherungsfremden Leistungen sind teuer.
    Müller: Ist das ein Missbrauch des ursprünglichen Rentensystems?
    Prinz: Ich bin mir nicht sicher, ob man das Missbrauch nennen kann. Es ist eine Methode, bestimmte Leistungen im Alter den Personen zur Verfügung zu stellen, die man dafür geeignet hält, oder Personengruppen. Insofern, denke ich, kann man nicht von einem Missbrauch reden. Es wäre ein Missbrauch der Rentenversicherung, meiner Ansicht nach, wenn man sie nicht steuerfinanzieren würde.
    Müller: Das müssen Sie mir erklären. Warum das?
    Prinz: Die Versicherten zahlen ja Beiträge, um aus dieser Beitragszahlung später eine Rente zu bekommen. Das heißt, sie erwerben Rentenansprüche mit diesen Beiträgen. Wenn jetzt diese Ansprüche verwässert werden durch sozialpolitische Maßnahmen, und zwar lösen die ja eine Umverteilung dann innerhalb der Versichertengemeinschaft aus …
    "Steuerfinanzierung für Umverteilung die beste Lösung"
    Müller: Das wird ja gerade gemacht!
    Prinz: Das ist aber nicht beabsichtigt. Eigentlich ist beabsichtigt, dass die Umverteilung dann, wenn es tatsächlich Umverteilung ist, über Steuern finanziert wird. Steuerfinanzierung ist deutlich gerechter als die über Beiträge, weil Beiträge beispielsweise in Prozent, mit einem konstanten Prozentsatz erhoben werden, während die Einkommenssteuer bekannterweise ja eine progressive Steuer ist, die höhere Einkommen stärker belastet. Und es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze bei der Einkommenssteuer und bei anderen Steuern. Das heißt, eine Steuerfinanzierung ist für Umverteilungsmaßnahmen allemal die beste Lösung.
    Müller: Jetzt ist das ja sehr umstritten, inwieweit sämtliche Fremdleistungen, wenn wir das so bezeichnen dürfen jetzt in unserem Gespräch, tatsächlich auf Steuermittel zurückgehen, oder ob dafür nicht auch wirklich substanziell in die Rentenkasse reingegriffen wird. Wir lesen jetzt, 38 Milliarden Rücklage hat die Rentenversicherung immerhin noch zur Verfügung. Warum wird das nicht erst mal eingesetzt?
    Prinz: Das wird ja auch eingesetzt. Nur das ist vorgesehen für die kommenden Jahre, wenn die demographische Entwicklung dazu führen wird, dass die Personen, die eine Altersrente beziehen, entsprechend stärker wachsen als die Zahl der Beitragszahler. Genau das schafft ja dann das Problem.
    Das ist ein Problem, das tatsächlich in jeder umlagefinanzierten Rentenversicherung substanziell enthalten ist. Das bekommt man dort nicht raus. Deshalb ist auch die gesetzliche Rentenversicherung nicht die einzige Säule der Alterssicherung. Man sollte sich manchmal an die Prinzipien des Sozialstaats erinnern, auch der Rentenversicherung, und die Rentenversicherung soll eigentlich auf drei Säulen stehen, nämlich auf der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen Alterssicherung und der privaten Vorsorge.
    "Renditen der Riester-Rente eigentlich zu niedrig"
    Müller: Auf Walter Riester?
    Prinz: Ja, das war eine Idee, die nicht gut umgesetzt wurde. Die Riester-Rente hat das Manko, dass sie keine Gruppenversicherung darstellt, und das führt dazu, dass ihre Renditen eigentlich zu niedrig sind, und das ist eines der Probleme. Dieses Problem hätte man beispielsweise jetzt beheben können und ich vermisse bei der gesamten Diskussion um die Rentenversicherung diese beiden anderen Säulen und insbesondere die betriebliche Altersvorsorge. Das ist die Säule, die meiner Ansicht nach sehr, sehr stark vernachlässigt wird und die weitaus mehr dazu beitragen könnte, die Rentnerinnen und Rentner im Alter besserzustellen, als die gesetzliche Rentenversicherung es kann.
    Müller: Aber da sagen, Herr Prinz, die Unternehmer, was haben wir jetzt auch noch zusätzlich mit der Rente zu tun, wenn wir auch noch betriebliche Altersversorgung mitfinanzieren müssen beziehungsweise noch ausweiten müssen. Ist das ein Argument?
    Prinz: Nein. Ich denke sogar, dass die meisten Unternehmen dem sogar zustimmen würden und das begrüßen würden, weil die meisten das eh schon tun. Das Problem sind eher die kleineren und mittleren Unternehmen. Da hat man jetzt auch tatsächlich mit einer Neuregelung eine Möglichkeit geschaffen, nämlich dass man praktisch nur Beitragszusagen macht und dann mit späteren Rentenerhöhungen und so weiter nichts zu tun hat. Bisher waren diese Unsicherheiten Faktoren, die kleinere und mittlere Betriebe davon abgehalten haben, Betriebsrenten zuzusagen. Ich hoffe hier, dass es auch mit Hilfe von Kollektivverträgen, mit Tarifverträgen gelingt, auch diese Betriebe einzubeziehen, und dann wäre auch hier schon die nächste Möglichkeit geschaffen, um da stärker die Alterssicherung voranzubringen.
    Drei Maßnahmen nötig
    Müller: Schauen wir vielleicht noch einmal auf die Zahlen, die wir auch in der Redaktion gefunden haben, basierend auf den jüngsten Studien, die Experten veröffentlicht haben. Wir reden jetzt von 30 Milliarden für dieses Paket. Bis 2025 soll das ja gehen. Das Rentenniveau bleibt auf 48 Prozent. Die Beiträge sollen nicht über 20 Prozent steigen. Das ist diese doppelte Haltelinie.
    Der Orientierungsmarsch, den die Bundesregierung vorgegeben hat; 35 Milliarden kostet dieses Paket. Jetzt sagen Experten, wenn das bis 2030 erhalten bleiben soll, 45 Milliarden, und dann 2060 sogar 180 Milliarden an Zusatzkosten. Würden Sie sagen, weil Sie ja grundsätzlich gesagt haben, das ist schon richtig, dass Steuermittel dafür aufkommen müssen, ist das wirklich eine politische, finanzpolitische Perspektive, 180 Milliarden aus dem Staatssäckel, um die Rente zu sichern?
    Prinz: Ehrlich gesagt: Nein! Das wird alleine über die Steuern nicht finanzierbar sein. Es gibt ja entsprechende Berechnungen, wie viele Mehrwertsteuerpunkte das wären und so weiter, und das zeigt sich, dass das unrealistisch ist. Es werden wahrscheinlich drei Maßnahmen zusammenkommen müssen. Es wird zu Beitragserhöhungen kommen. Es wird zu einer Erhöhung des Bundeszuschusses kommen. Und es wird zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit kommen. Anders wird es kaum gehen. Das Letztere ist das Unbeliebteste, ich weiß das …
    Müller: Sie sind jetzt schon bei 67.
    Prinz: Ich weiß! Mir ist das durchaus bekannt. Aber schauen Sie sich die durchschnittliche Rentenbezugsdauer an. Im Jahr 2016 betrug die 19,4 Jahre insgesamt, über Männer und Frauen gemittelt. Im Jahr 1990 beispielsweise waren das noch 15 Jahre. Das heißt, dort haben wir einen weiteren Zuwachs. Das heißt, jede private Lebensversicherung müsste höhere Beiträge verlangen, um diese Absicherung über eine längere Lebenszeit zu leisten, und das spielt auch in der gesetzlichen Rentenversicherung noch zusätzlich eine Rolle und erhöht praktisch diesen Teil der Personen, die von Beiträgen beziehungsweise von anderen Mitteln unterstützt werden müssen oder leben im Alter. Das wie gesagt ist ein Problem, das sich nur oder wahrscheinlich nur dadurch lösen lässt, dass man auch eine moderate Erhöhung der Lebensarbeitszeit von Zeit zu Zeit durchführt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.